Morgens, mittags, abends: Dreimal am Tag versammelt sich die Belegschaft am Fließband.
Morgens, mittags, abends: Dreimal am Tag versammelt sich die Belegschaft am Fließband.

Am Fliessband zum Krankenhausbett

Wo der Kochlöffel so groß ist wie ein Ruder und täglich 1 300 Mahlzeiten über ein Fließband Richtung Krankenhausbett rollen, beginnt der Tag früh – und mit System. In der Klinikküche des Elbe Klinikums Stade geht es um Präzision, Planung und Pasta in XXL. Was hier zählt, ist nicht nur Geschmack, sondern Genauigkeit.

7:00 Uhr. Vier Sekunden pro Patient. Noch ist der Arbeitstag erst eine Stunde alt, aber in der Großküche des Klinikums läuft die erste Hochphase bereits auf Hochtouren. Die Diätassistenten, Köche und Küchenmitarbeiter bestücken die Frühstücksteller der Patienten. Am Fließband. Knapp vierhundert Tabletts. Die Auswahl ist groß. Milch, Zucker, Süßstoff, Brot oder Brötchen, Marmelade oder Kaffeesahne, Butter oder Margarine, Obst, Joghurt oder Quark, dazu Saft, Teller, Deckel, Kaffeebecher. Die Komponenten kommen nach Plan und Wunsch auf das richtige Tablett. Frühstück auf Bestellung. Frühstück mit System. Die Brötchen stammen vom lokalen Bäcker. 700 Stück. Täglich. Wurstsorten? Allein 25 verschiedene. 

In der Großküche des Elbe Klinikums Stade ist der Arbeitstag ein Uhrwerk. Maximal 32 Menschen bewegen sich auf 1400 Quadratmetern durch ein fein getaktetes System aus Spülküche, Kühlhäusern und Kesselreihen. Ein bisschen wie ein Ballett – nur mit Haarnetz und Hygieneschleuse — und einem Küchenchef, der mit Witz, Volumen und Wortspiel durchs Programm führt.

Er ist der König des Kühlhauses

Lars Kirstein, seit Juni 2023 Küchenchef, ist keiner, der nur delegiert. Er ist mittendrin. Zuvor war er 17 Jahre Betriebsleiter bei einem Caterer für ein Seniorenheim – jetzt hat er seinen Traumjob endgültig gefunden. Seine Krone trägt er höchstens beim Schützenfest, als zweiter Begleiter des Königs. In der Küche ist er der Erste. Nicht brüllend, nicht herrisch – eher witzig und ironisch. „Ich passe mich an“, sagt er, „mal doller flapsig, mal weniger.“ Hauptsache: kein mies gelaunter Küchenchef. Den gibt’s hier nämlich nicht. Nie. „Wenn ich schlecht drauf bin, rede ich einfach nicht.“

Kirsteins Kompositionen

Der Speiseplan? Eine sechswöchige Komposition aus 26 abwechslungsreichen Gerichten pro Woche. Dazu kommen noch wechselnde Tagesdesserts. Erst nach sechs Wochen beginnt der Menüplan von Neuem. In vielen Kliniken undenkbar. In Stade: seit jeher Standard. Kirstein entscheidet, was gekocht wird. Saisonal, vielfältig – mit Spielraum. Wenn Spargel – dann eben mehr Milchreis, um das Budget auszubalancieren. Ein Drittel sind Personalkosten, der Rest ist eine Kalkulation aus teuren und günstigen Zutaten. 

Heute stehen vier Gerichte auf dem Menüplan. Gemüse-Curry-Fischpfanne mit Gemüsereis, Königsberger Klopse mit Rote Bete Salat und Salzkartoffeln, Rinderbraten mit Karotten und Salzkartoffeln und Rigatoni mit Tomaten, Blattspinat und Käsesauce. Doch letztendlich kann jeder Patient jede Komponente bei der Bestellung anpassen, wie im Baukastensystem. Hinzu kommen weitere für die Wahlleistungen der Privatpatienten. 

Die Küche bestellt täglich ihre Produkte –- Brot wird an sechs Tagen geliefert, Brötchen täglich. Mehrmals pro Woche rollen LKW-Ladungen mit Milch, Fleisch und Gemüse an. Gelagert wird in neun Kühlhäusern und zwei Tiefkühlhäusern. Und weil das Elbe Klinikum ein sogenanntes „kritisches Haus“ ist, muss der Vorrat für drei Tage reichen – für den Fall, dass draußen nichts mehr geht.

8:00 Uhr. Bratzeit

Während auf den Stationen das Frühstück serviert wird, brät Koch Rainer Windt Schweinenackensteaks für den kommenden Tag an. Dreißig Stück auf einmal, auf einer Grillplatte, die mehr Fläche hat als mancher Küchentisch. Die Kochkessel? Reichen für 250 Liter. Die Werkzeuge dazu: Kochlöffel so groß wie Schaufeln, Schneebesen bis zu einem Meter. Die Küche denkt in Litern, nicht in Löffeln. Die Mengen: 3 325 Liter Kaffee pro Woche, 1 000 Kisten Wasser, 9 000 gespülte Teile am Tag – Teller, Besteck, Tassen, Tabletts. XXL ist hier Alltag.

Alles wird frisch zubereitet, auch wenn TK und Dose mitkochen. Die Köche haben ihre Rezepte im Kopf. Drei bis vier Köche arbeiten parallel am Tagesmenü. Nebenan dampfen die Kartoffeln, daneben gart der Gemüsereis, mittendrin läuft der Rinderbraten heiß. „Das ist wie in einer kleinen Küche – nur eben größer“, sagt Koch Rainer Windt. Er liebt die Mengen. Und die Arbeitszeiten. Spätschichten? Gibt’s nicht. Schichtende ist um 14:30 Uhr. Familienfreundlichkeit in Weiß und Edelstahl.

Die mit dem Fax kamen

Auch das Personal isst mit. Rund 50 bis 80 frühstücken, 100 bis 200 essen mittags in der Kantine. Lieblingsgericht? Currywurst mit Pommes. Neben drei Hauptgerichten, eins davon vegetarisch, gibt es eine Suppe und ein Dessert zur Auswahl. Der Menüplan der Kantine hat auch Specials im Repertoire, wie Currywurst/Pommes, Burrito, Burger und Pizza. Heute gibt es Pizza Salami und Pizza Margarita. 150 Stück belegen die Köche im Akkord. 

Die OP-Mitarbeitenden bekommen ihr Essen geliefert. Per Fax – anders geht’s ja nicht. „Die können ja nicht einfach raus“, sagt Kirstein. Und schickt täglich rund 40 Essen direkt vor die OP-Tür. Auch die Palliativstation wird besonders bedacht. Wunschessen, wenn möglich. Menschlichkeit in Menüform.

Beratung am Bett

Die Küche jongliert mit Allergien, Unverträglichkeiten, Sonderwünschen. Ein Gericht pro Tag ist immer „Leichte Kost“ – wenig Fett, wenig Würze, viel Rücksicht. Vier Diätassistentinnen sprechen mit den Patienten, planen, bestellen, beraten. Was darf gegessen werden? Was nicht? Was schmeckt – und was vielleicht bald wieder schmecken könnte? Das Ergebnis wird in die Essensauswahl überführt.

Mittagszeit ist dann wieder Tablettzeit: die Kollegen versammeln sich alle in der Mitte des Raumes am Fließband, jeder ist einem Platz zugewiesen. Der erste legt die Karte aufs Tablett – Name, Station, Diätform. Dann ruckt das Tablett los. Stück für Stück wandert es die Linie entlang, wird ergänzt, ergänzt, ergänzt. Mit Fleisch oder Fisch, Gemüse, Beilage – und feiner Saucenauswahl: Hollandaise, Entensauce, Kapernsauce, Fischsauce, glutenfrei, laktosefrei, natriumarm. Wer zögert, bringt den Takt aus dem Gleichgewicht. Wer sich vertut, riskiert falsches Essen an falschem Bett. Wieder sechs Handgriffe. Vier Sekunden. Heute müssen 466 Mittags-Tabletts gefüllt werden. Alles muss heiß raus. Alles muss stimmen. Alles läuft. Die Diätassistentinnen prüfen am Ende jedes einzelne Tablett – stimmt die Auswahl, passt die Kostform, fehlt was? Dann übernehmen die Kollegen vom Transportdienst und schieben die Wagen aus der Küche, zwanzig an der Zahl à maximal 40 Einschüben — für 21 Stationen.

Nach dem Mittagessen ist vor dem Abendessen. Bereits um 13:15 Uhr versammeln sich die Kollegen erneut am Fließband. Dann fürs Abendessen. 1 300 Mahlzeiten kommen so an einem Tag zusammen. Gekocht. Gepackt. Verteilt.

Deichlust

Text: Mona Adams · Fotos: Volker Schimkus