Viele Reisende träumen auf der Suche nach Ruhe von einsam gelegenen Urlaubsorten. Ein Chalet in den Bergen, ein Hotel in der Wüste, ein Eishotel im Schnee. Deichlust-Reporterin Leonie Ratje fand die Einsamkeit im Süden der Großstadt Hamburg. Tür an Tür mit dem Flugzeugbauer Airbus hat sie als erster und einziger Gast eine Nacht im neuen Moxy-Hotel verbracht. Ganz allein. Mit Dämonen im Gepäck.
Wie so viele Business-Reisende erreiche ich mein Hotel an diesem Montagabend: leicht gestresst und ganz schön kaputt. Die große Drehtür dreht sich schleppend wie ich in diesen Abend. Aus der Lobby wabert mir unaufdringliche Lounge-Musik entgegen, einen Tick zu laut vielleicht. Wir sind das Moxy, sagt der Beat, wir sind cool.
An der langen Hotelbar, die zugleich die Rezeption des Drei-Sterne-Hotels ist, steht Daniel Rubow, der Hotelmanager, und grinst. „Hi“, sagt er, „schön, dass du da bist.“ Der erste Gast im neuen Hotel, welch eine Ehre. Das Check-in ist schnell erledigt. Ich nehme die Zimmerkarte, vergewissere mich noch einmal, dass ich mich im gesamten Gebäude frei bewegen darf und gehe zum Fahrstuhl.
Endlich allein
Eine Nacht allein im Hotel, das ist genau mein Ding. Seit ich vor zehn Jahren Mutter wurde, habe ich mir das schon einige Male gegönnt. Raus aus dem Familienchaos, rein in eine kleine Auszeit. Nur ich, ein gutes Buch, tolles Essen, ein gemütliches Bett, ein großer Fernseher.
Zuhause rödelt die Waschmaschine, piept der Geschirrspüler, mahnt der Staubsauger. Die Kinder wuseln und wollen, der Laptop voller Arbeit, der Kühlschrank gähnend leer. Im Alltag bin ich die Direktorin meines eigenen Hotels namens Mama, das 24/7 geöffnet hat. Ein Hotel jedoch schenkt mir Raum für mich. In dieser Nacht sind es sogar gleich 135 Räume. Eine ganze Herberge für mich allein. Drei Etagen plus Untergeschoss mit Tiefgarage, eine eigene Bar, eine Großküche, ein Fitnessraum mit pinkem Boxsack, Kurzhanteln und Cardio-Geräten.
Mit dem Dienstleistungszentrum ElbAir hat sich Airbus
in Hamburg-Finkenwerder, dem drittgrößten Luftfahrtstandort der Welt, ein repräsentatives Eingangstor in die Airbus-Welt erschaffen. Die drei großzügigen Gebäudekomplexe des ElbAir sind über eine Plazza in der Mitte miteinander verbunden und beheimaten einen vielfältigen Mietermix. Neben dem Airbus-Empfang mit modernem Showroom sind hier auch das neue Besucherzentrum und das Delivery Center des Unternehmens eingezogen. Außerdem finden Besucher einen Flugsimulator-Anbieter, ein Reisebüro, ein Fitnessstudio, eine Niederlassung der Techniker Krankenkasse, einen Supermarkt, einen Bäcker und ein italienisches Restaurant im ElbAir – und außerdem das Moxy, ein Hotel der renommierten Marriott-Gruppe, das in Kürze eröffnet wird.
Zimmer mit phänomenaler Aussicht
Dritte Etage, Zimmer 305, ganz am Ende eines langen Flures. Das Zimmer ist größer als erwartet, das Bad kleiner. Ansonsten ist ein Hotelzimmer ein Hotelzimmer. Kennst du eines, kennst du alle. Dass hier alles neu und frisch und modern ist, ist allerdings schon schön. Eine nette Nachricht am Spiegel und einige Süßigkeiten heißen mich, den Premierengast des Hauses, willkommen. Dieses Zimmer hat keine Geschichte. Ich bin der erste Mensch, der hier schläft. Und auch meine Spuren werden schon in wenigen Stunden wieder vom Personal getilgt.
Ich trete ans Fenster, ziehe die Vorhänge zurück und blicke direkt auf die Start- und Landebahn des Airbus-Flughafens. Dahinter liegen im rotgoldenen Licht der untergehenden Sonne die Produktionshallen des Flugzeugbauers. Vor einer steht eine BelugaXL, Wahnsinn. Offenbar bin ich in
der inoffiziellen Planespotter-Suite des Hauses gelandet. Ein schneller Check auf www.flightradar24.com zeigt, dass an diesem Abend allerdings leider kein Flugzeug mehr landet oder abhebt.
Ich will ehrlich sein: Unter normalen Umständen, wenn ich privat hier wäre, in einem Hotel voller Gäste, würde jetzt gar nichts mehr passieren. Alleinsein mag verpönt sein, ich liebe es. Eine heiße Dusche und eine große Pizza auf dem Hotelbett sind für mich das Paradies. Am liebsten im Bademantel, aber den gibt es hier ohnehin nicht. Stattdessen gehe ich nun wieder runter, an die Bar. Hotelbars sind besondere Orte. Hier begegnen sich Fremde vor dem Einschlafen. Urlauber, Geschäftsleute, Feierwütige, Singles, Paare, Gestrandet kommen für ein paar Stunden zusammen, allesamt losgelöst vom Alltag, ehe sie weiterreisen, zurück in ihre Leben. Kein Wunder, dass Hollywood die Hotelbar liebt.
Parallelen zum Horrorklassiker
Im Moxy stehen die vielen neuen Barhocker an diesem Abend ein wenig verloren an dem langen Tresen. Außer ein paar Grünpflanzen und mir ist niemand da. Elektronische Musik füllt die Stille, während ich ziellos umherstreife und mich schließlich setze. Als ich gerade überlege, ob ich mir wohl selbst einen Wein aus der Kühlung nehmen kann, taucht Daniel Rubow auf. „Hi, Lloyd”, sage ich, „little slow tonight, isnt‘it?” Er versteht. „Yes, it is, Mr Torrance“, sagt er und schenkt mir ein Glas Grauburgunder ein.
Shining, der Horrorfilmklassiker von Stanley Kubrick aus dem Jahr 1980, zählt zu meinen liebsten Filmen. Er erzählt die Geschichte um ein verfluchtes Hotel. Autor Jack Torrance, gespielt von Jack Nicholson, nimmt einen Job als Hausverwalter des Overlook-Hotels an, das im Winter geschlossen ist. Seine Frau und sein Sohn, der übernatürliche Fähigkeiten besitzt und unheimliche Visionen hat, begleiten ihn. Abgeschnitten von der Außenwelt verfällt der Schriftsteller zunehmend dem Wahnsinn. Vor allem an der Bar gibt er sich den dunklen Kräften hin. Seine Dialoge mit Barkeeper Lloyd symbolisieren seinen fortschreitenden Verfall. Großartiger Gruselgenuss, den ich schon als Jugendliche liebte.
Endspurt Richtung Eröffnungstag
Daniel Rubow poliert Gläser. Sein Team und sind im Schlussspurt Richtung Hotel-Eröffnung, die für den 17. September geplant ist. Zimmer, Flure und Lobby sind längst fertig eingerichtet, die Haustechnik installiert, alle Küchengeräte angeschlossen, der Fitnessraum ausgestattet. Aktuell führt Daniel Rubow die vorerst letzten Bewerbungsgespräche; einige neue Kolleginnen und Kollegen aus Finkenwerder konnte er bereits gewinnen. Mit zwölf Leuten will der Hotelmanager starten.
Vieles dreht sich in diesen Tagen um IT-Systeme für Check-ins und Abrechnungen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter absolvieren Schulungen, unter anderem werden alle Snacks und Speisen, die das Moxy bietet, mehrmals probehalaber durchgekocht.
Das Drei-Sterne-Haus im ElbAir ist das siebte Moxy der Hotelgruppe, aber das erste Hotel für Daniel Rubow. Nie zuvor hat der 40-Jährige ein Hotel eröffnet und geleitet. „Das Marriott-Konzept ist sehr umfassend, da wird wenig dem Zufall überlassen“, sagt er. Er schätzt die Struktur und Sicherheit. Anfang September kommen seine Vorgesetzten zur großen Design Review und checken, ob alle Vorgaben eingehalten sind und das Konzept stimmig umgesetzt wurde. Freiräume genieße er freilich dennoch. Das Thema Luftfahrt prägt die Lobby im Industrial Style. In einer Ecke stehen Flugzeugtüren, den Tresen zieren Original-A380-Fenster, von der hängenden Bar baumeln Sauerstoffmasken. „Komm mit“, sagt er und führt mich in einen Sitzbereich, der hinter raumtrennenden Regalen ein wenig im Verborgenen liegt. An der Wand hängen Zeichnungen, Gemälde und Aquarelle des Künstlers Christian Meier, der in Finkenwerder lebte. 2020 verstarb er nach langer, schwerer Krankheit.
Moxy-Team setzt auf gute Nachbarschaft
Die Verbundenheit zur Region ist Daniel Rubow wichtig. Dazu gehört, dass es in der Moxy-Bar beispielsweise Bier aus der Hamburger Bio-Brauerei Wildwuchs geben wird. „Wir wollen eine Begegnungsstätte für die Menschen aus der Gegend werden.“ Es wird unter anderem eine besondere Nachbarschaftsrate für Buchungen aus den umliegenden Postleitzahlenbereichen geben. (21614, 21629 und 21635 sind auch dabei.) Das Moxy-Team plant überdies Afterwork-Partys, Quiz- und Spieleabende und andere Events, Kontakte zu verschiedenen Anbietern touristischer Formate im Alten Land sind geknüpft. Natürlich erwarte er viele Buchungen aus dem Airbus-Umfeld, sagt Daniel Rubow, „aber wir sind kein reines Business-Hotel. Bei uns haben alle Gäste eine gute Zeit.“
Darum legt der Chef in erster Linie Wert auf ein gutes Arbeitsklima.
„Ich bin überzeugt, dass sich Gäste nur dann gern in einem Hotel aufhalten, wenn das Personal auch gern dort arbeitet.“
Inzwischen ist es längst dunkel. „Gute Nacht“, murmele ich und schlurfe zum Fahrstuhl. Ich widerstehe der Versuchung, in der zweiten Etage auszusteigen, um Zimmer 237 zu suchen. Im Overlook-Hotel ist dieser Raum der Schauplatz unvorstellbaren Grauens. Während ich über den langen Flur gehe, vorbei an Türen, hinter denen niemand wohnt, geht mir eine Filmszene durch den Kopf: Jack betritt Zimmer 237 und sieht eine nackte junge Frau in der Badewanne. Sie geht auf ihn zu und legt ihre Arme um seinen Hals. Er gibt sich ihrem Kuss hin. Als er die Augen wieder öffnet, sieht er im Spiegel, dass er den verwesten Körper einer alten Frau in den Armen hält.
Der Teppich schluckt meine schneller werdenden Schritte. Ich ziehe die Zimmerkarte aus der Hosentasche; klickklack, grünes Licht, drinnen. Ich blicke in den Spiegel und muss lachen. So ein Quatsch. Doch bei dem Gedanken daran, den Rest der Nacht allein zu sein, wird mir doch ein wenig mulmig. „Dann lieber noch eine kleine Aperol-Spritztour“, denke ich und mache mich doch noch einmal auf den Weg zurück zu Daniel in die Bar.
Unverhoffte Hotel-Bekanntschaft
Als sich die Fahrstuhltüren langsam öffnen, erwarte ich fast, dass wie im Shining-Trailer schwallartig dunkelrotes Blut herausströmt. Stattdessen sitzt ein riesengroßer knallpinker Teddybär im Lift. Das ist anders gruselig. „Guten Abend“, nicke ich ihm höflich zu und drücke die 0. Mit meinem flauschigen Begleiter im Arm kehre ich zurück in die Lounge. Keine Musik, kein Daniel, kein Drink. Auf einem der Sofas kuschele ich mich an meinen neuen Bären-Freund und starre ins Nichts. Auch mal schön. Die Müdigkeit kriecht mir in Geist und Körper, und wie Jacks Sohn habe auch ich eine dunkle Ahnung: Wenn ich jetzt nicht ins Bett komme, wird es nichts mit dem Schreiben. Und überhaupt: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.
Ich schlüpfe in meinen Pyjama, werfe mich auf das herrlich gemütliche Bett und klappe den Laptop auf. Der Redaktionsschluss ist nah. Der Cursor blinkt, ich überlege. Um mich Ruhe. Gespenstische Ruhe. War die Drehtür unten verschlossen? Wo ist eigentlich Daniel abgeblieben? Was verbirgt sich in der Tiefgarage? Wie allein bin ich hier wirklich? Irgendwo habe ich mal gelesen, dass man einen Kaffeebecher an die Türklinke hängen soll, um sicher zu gehen, dass man bemerkt, wenn jemand eindringen will, während man schläft. Öffnet jemand von außen die Tür, fällt er herunter und weckt mich auf. Mein Blick schweift durchs Zimmer Einen Becher oder eine Tasse gibt es hier nicht. Und überhaupt: Im Ergebnis würde ich meinem Albtraum dann einfach nur wach entgegenblicken. Ich beschließe, dass es an der Zeit ist, das Fürchten zu lernen und öffne erneut meine Zimmertür.
Im Keller wartet die Erlösung
Vorsichtig blicke ich in den langen, leeren Korridor. Warum zur Hölle machen mir lange Flure und leere Räume Angst? Das Overlook-Hotel in Shining ist verwinkelt, luxuriös und etwas morbide. Das Moxy hingegen ist schick, modern, freundlich. Ich würde immer wieder hier einchecken. Nur: Möglichkeiten für Wahnsinnige, ihren Opfern aufzulauern, gibt es auch hier mehr als genug. Ich lausche angestrengt in die Stille. Nichts. Nur das Rauschen der Klimaanlage in den Rohren und des Bluts in meinen Adern. Die Einsamkeit schärft meine Sinne, Adrenalin flutet meinen Körper. Würde jetzt Jacks Sohn Danny auf seinem Dreirad um die Ecke gefahren kommen, ich wäre nicht überrascht. Mein Herz rast, der Fahrstuhl hält. Immerhin: weder ein pinker Teddy noch tote Zwillingsmädchen darin. Come and play with us. Forever. And ever. And ever.
Ich fahre direkt ins Untergeschoss und öffne die Tür zum verwaisten Fitnessraum. Mein Pulsschlag passt bereits zur Umgebung, aber ich weiß: Hier finde ich die (Er-)Lösung. Rudern gegen die Panik. 30 Minuten später hänge ich auf der Treppe alle meine Dämonen endgültig ab und renne verschwitzt vier Stockwerke hinauf. Die Zimmertür fällt schmatzend ins Schloss. Die dunkle Nacht senkt sich über Landebahn, Elbe, das Moxy und seinen einzigen Gast, der sich erschöpft, aber glücklich unter die herrlich weiche Bettdecke kuschelt.
Coffee to fly
Am nächsten Morgen schreibt Daniel Rubow: „Kaffee?“ Den ersten trinken wir gemeinsam. „Wie war die Nacht?“, fragt er. „Fantastisch“, sage ich. Den zweiten Kaffee nehme ich mit hinauf in mein Zimmer. Um 9.30 Uhr blicke ich ein letztes Mal aus dem Fenster. Ein Airbus A321neo steht auf der Start- und Landebahn. Ich trinke einen Schluck und atme tief durch. Das Flugzeug fährt los, beschleunigt, ich schultere meine Tasche. Die Nase des Flugzeugs hebt sich, jetzt lösen sich die Reifen vom Boden. Der Airbus steigt hinauf in einen strahlend blauen Himmel über der Elbe. Tschüss, Moxy. Das heißt: Auf Wiedersehen!
Kontakt & Buchungen:
Moxy Hamburg Finkenwerder Neßdeich 188 · 21129 Hamburg
www.marriott.com/en-us/hotels/hamfo-moxy-hamburg-finkenwerder

Text: Leonie Ratje · Fotos: Volker Schimkus