Wenn ein ehemaliger Airbus-Manager Fahrräder verkauft und ein Café im Alten Land betreibt, dann klingt das eher wie die Story eines Mannes, der sich am Ende seines beruflichen Lebensweges einen Traum erfüllt. Das mit dem Traum unterschreibt Martin Duscha sofort, doch vom Ende eines beruflichen Lebensweges ist bei einem 38-Jährigen nicht zu reden. Im Gegenteil. Der ehemalige Airbus-Mann startet durch: mit Fahrrädern.
Text: Wolfgang Stephan · Fotos: Volker Schimkus
Eigentlich sprach alles gegen diese Geschäftsgründung. Mitten in der Pandemie am Ende der Sommersaison mit dem Projekt „velo.“, einem Fahrradladen und Café im Hinterhof des Söhl-Motorradladens mitten in Jork, zu starten, war definitiv nicht die beste Ausgangslage für die Realisierung einer Idee, die den gebürtigen Harsefelder schon lange umgetrieben hat und deren Ursprung in Südafrika liegt. Da war Martin Duscha 2017 mit der Familie im Urlaub. Mitten im legendären Weingebiet Stellenbosch unweit von Kapstadt traf die Familie auf einen Fahrradladen mit angeschlossenem kulinarischem Treffpunkt. „Das war die Geburtsstunde meiner Idee“, erzählt Duscha, der als begeisterter Radfahrer sofort Feuer gefangen hatte. Mit dem Rennrad ist er zu dieser Zeit nahezu täglich von Eimsbüttel nach Finkenwerder gefahren. 17 Jahre lang war der Maschinenbau-Ingenieur bei Airbus beschäftigt, zuletzt als Teamleiter in der A320neo-Produktion, bevor er die Geschäftsführung einer Zulieferfirma unweit des Werkgeländes in Finkenwerder übernahm.
Die „Vartan Aviation Group“ machte gleich zu Beginn der Pandemie auf sich aufmerksam, weil sich Martin Duscha mit Kurzarbeit für seine 140 Beschäftigten nicht abfinden wollte. Statt Krisenmodus Schubumkehr. Als es noch keine Maskenpflicht in Deutschland gab, ließ der Geschäftsführer Masken produzieren. „Masken zu nähen, war nun wahrlich nicht unsere Geschäftsidee, aber eine gute“, sagt der mit Frau und zwei Kindern in Jork beheimatete Martin Duscha. Der Großauftrag für Masken mit dem Logo des FC St. Pauli brachte ihn in die Schlagzeilen.
Doch die Idee aus Südafrika war mittlerweile zu einem Gründerplan gereift. Der Business-Plan war längst geschrieben. Als dann das Fenster mit einer Räumlichkeit auf dem Söhl-Gelände im Jorker Ortskern aufging, war die Zeit reif. Werkstatt, Café, kleiner Verkaufsraum und die Aussicht, ein halbes Jahr später in den großen Verkaufsraum von Söhl-BMW zu ziehen. Jork hatte einen neuen Fahrradladen, eröffnet am 17. Juli 2021.
Aber braucht das Alte Land einen neuen Fahrradladen? „Sicher nicht“, sagt Martin Duscha. Er hat nämlich kein weiteres Fahrradgeschäft mit Leihrädern für Touristen eröffnet. Seine Neugründung sei einmalig, einmalig vor allem im Norden – und das ist das Geschäftsmodell. Ein Store für hochwertige Fahrräder. Wer in dem chic eingerichteten Verkaufsraum eines der ausgestellten Exponate erwerben will, muss schon mehr als 2000 Euro mitbringen, für herkömmliche Räder ohne Elektro-Antrieb. Wer das Rad für 9000 Euro haben möchte, geht ebenfalls nicht leer aus.
Aber ist das nicht eine verrückte Preisspanne? Wie kann so ein Geschäft existieren? Wer kauft Fahrräder in dieser Preisklasse? „Wir hatten unsere Kunden von Anfang an“, sagt Duscha. Schließlich verkaufe er nicht Fahrräder, sondern Bikes der Premium-Marke „Storck“. Fahrräder, die bei jedem ambitionierten Radfahrer auf dem Wunschzettel stehen. Storck-Bicycle sind Mountainbikes und Rennräder für höchste Ansprüche mit Carbon als Rahmenmaterial der edlen Maschinen. Die in Idstein im Taunus beheimatete Edel-Marke beschreibt sich als „innovationsfreudiger Trendsetter mit Traditionsverbundenheit und Premiumanspruch“.
Im „velo.“ ist das Angebot bewusst übersichtlich. Gut 20 Premium-Räder mit allem Schnickschnack, teilweise auch elektronischer Gangschaltung, wie beim Fly-and-Wire-System im Airbus. Wer so ein Bike im Kopf habe, wisse auch, was er dafür ausgeben muss, sagt Duscha. Und er wisse, dass er für die Realisierung seines Traumes eine Lieferzeit von bis zu einem halben Jahr in Kauf nehmen müsse.
Das Alte Land ist Programm. Wenn Selbstständigkeit, dann hier, erzählt Duscha. Für die Kunden sei die Lage nicht maßgeblich, denn die kommen aus dem ganzen Norden und seit der Schließung des Storck-Store in Berlin auch aus der Hauptstadt.
Im Angebot sind vorwiegend die „Gravel-Bikes“, Mountanbikes auf hohem technischen Niveau und Rennräder. Verliehen werden die nicht, Probefahrten sind Programm in dieser Größenordnung. Duscha: „Insofern mache ich mit diesem Angebot auch keinem der etablierten Händler in der Region Konkurrenz.“
Während im Fahrradhandel die Elektro-Bikes mittlerweile den Löwenanteil ausmachen, ist es bei „velo.“ genau umgekehrt. Übrigens, der Punkt im Firmennamen ist Programm. „velo“ heißt Fahrrad und der Punkt soll den Treffpunkt signalisieren.
Der gehört auch zum Projekt. Das Café mit heimischen Produkten, Snacks, Kuchen, kleinem Mittagstisch und Getränken aller Art, möglichst aus heimischer Produktion, denn Nachhaltigkeit gehört auch zur Philosophie des Unternehmens-Gründers. Ein Treffpunkt mitten in Jork, nicht nur für Bike-Fans, aber eben auch. Daneben die Fahrradwerkstatt für alle, die eine Reparatur brauchen, also auch Touristen oder Altländer. Die Werkstatt funktioniert, das Café schwächelt noch, was saisonbedingt sei, sagt Duscha. Auch das sei im Businessplan berücksichtigt gewesen. Dass er mitunter auch selbst Kuchen backen musste, eher nicht, aber das gehöre zum Gründer-Gedanken dazu. Normalerweise backen die Servicekräfte selbst.
Umgerechnet drei Arbeitsplätze hat Martin Duscha bisher geschaffen, er selbst steht meist selbst im Verkaufsraum oder er sitzt im Büro, um Pläne zu schmieden. Die samstägliche Ausfahrt für alle Biker, ob Kunden oder nicht, hat er schon im vergangenen Jahr etabliert, rund zweieinhalb Stunden wird mit Führung durch die Region geradelt. Jeder kann kommen, ohne Anmeldung. „Ich möchte dazu beitragen, das Radfahren populärer zu machen“, sagt Duscha, und: „Den Radfahrern auch neue Fahrtwege zeigen, die sie noch nicht kennen.“ Dazu eignen sich das Alte Land mit der angrenzenden Geest, aber auch die Harburger Berge vorzüglich.
Im Sommer wird es eine viertägige Etappenfahrt auf der alten Hanseroute über Lübeck, Wismar, Greifswald nach Stettin geben, auch Live-Events auf seiner Parkfläche inmitten des Jorker Ortskerns sind denkbar. Apropos: Von der Unterstützung aus dem Jorker Rathaus schwärmt er in höchsten Tönen: „Die haben immer an meine Idee geglaubt und mich mit viel Rat unterstützt.“