Ding Dong DEICHLUST

Wie wohnen die Altländer? Oder noch konkreter: Wer wohnt da eigentlich? Gute Fragen, spannende Antworten. Aber wer öffnet seine Tür und gibt einen Einblick in seine heiligen Räume? DEICHLUST-Fotograf Volker „Schimmy“ Schimkus zerstreute alle Bedenken schnell, denn schließlich hatte er für die Mopo einst eine legendäre Serie realisiert und über 200 Hamburger in ihren Wohnzimmern fotografiert. „Wir klingeln einfach“, kündigte er optimistisch an. Die Serie „Ding, Dong, Deichlust“ nahm ihren Lauf. 

Von Röntgenräumen und Kinderträumen

Familie Gosch lebt Geschichte

Text: Mona Adams · Fotos: Volker Schimkus

Ein Bürgermeister a.D., ein Riesenschnauzer und ein Mittelschnauzer heißen uns in ihrem Anwesen willkommen. Zwei tun das, indem sie lautstark bellen. Einer schüttelt höflich die Hand. Michael, Leopold und Boje sind nur drei der acht
Bewohner. Carlotta, Paul, Greta, Benedikt und Karen sind in der Schule. Letztere zum Lehren, die anderen zum Lernen. Michael Gosch steht im großzügigen Flur. Im Zentrum thront der Kamin, der die weiten Räume des Hauses im Winter beheizen kann, und die Treppe, die in die obere Etage führt. Treppenstufe um Treppenstufe läuft es sich wie in einer Galerie, die viele Kinder- und Familienportraits sowie gerahmten Kunstwerke der Kinder zeigt.

Die Anfänge: Nicht verwandt und nicht verschwägert. Es wird 1895 gewesen sein, als Dr. Wiechmann aus Stade das 250 Quadratmeter große Haus in Steinkirchen bauen ließ und wenig später mit seiner Haushälterin dort einzog. Bauunterlagen gibt es keine mehr. Es war wohl auch die Zeit, als der Efeu sich an der östlichen und der südlichen Hauswand seine Wege bahnte. Einige behaupten, dass es auch mal Rosen waren, doch Fotos gibt es aus der Zeit so gut wie keine mehr. Bewachsen war das Haus zumindest immer. Heute von wunderschönem Efeu. Einmal im Jahr stutzen und schneiden die jetzigen Hausbesitzer Karen und Michael Gosch die Rankenpflanze. Dann lassen sie eine Arbeitsbühne kommen, auf der sie Fenster für Fenster freischneiden.

Michael Goschs Großvater, der Mediziner Paul Hugo Friedrich und sein Mittelschnauzer, machten das Haus vor über hundert Jahren, es war 1912, zum Familienanwesen, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Wie auch der einstige Bauherr war Friedrich praktizierender Mediziner und nutzte die Räumlichkeiten zum Wohnen und Arbeiten. Eine Tradition, die blieb. Denn auch sein Sohn, der Chirurg Hans Gosch, betrieb bis zu seinem Tod in seinem Haus eine Hausarztpraxis. Zwischen spielenden Kindern gingen die Patienten ein und aus. Praxisbesucher  und  Familienmitglieder teilten sich eine Toilette, Mitarbeiter und Familienmitglieder die Kaffeemaschine.

Michael Gosch erinnert sich noch an die Schularbeiten neben dem Röntgenapparat. Und an das Telefon, das die gesamte Familie nachts aus dem Schlaf holte, die schrille Glocke, die durch das gesamte Haus tönte. Oftmals begleitete Michael Gosch seinen Vater dann zu seinen Patienten. Schönere Erinnerungen hat der Jurist an die Pianomusik, die Tag für Tag durchs Haus klang. Seine Oma war eine begabte Pianistin. Jeden Nachmittag zwischen 15 und 18 Uhr spielte sie Chopin. „Ich ärgere mich, dass ich nicht die Disziplin hatte, das auch zu lernen“, so der 67-Jährige. Bis auf sechs Studienjahre in Kiel war das Altländer Haus immer sein Zuhause. Früher, als kleiner Junge, noch mit Oma, Schwester und Eltern, später mit Ehefrau Karen und ihren Schnauzern. Heute sind vier Kinder zwischen 9 und 18 Jahren dazu gekommen. Die Kinder bewohnen die obere Etage des Einfamilienhauses.

Veränderungen: Der Röntgenraum von damals ist der großen Küche gewichen. Im Schlafzimmer von Karen und Michael Gosch fanden einst Bestrahlungen statt. Ihre Speisekammer war mal ein Labor. Einige Wände ließen die Eheleute zurückbauen, fanden Dielenböden und Stuckverzierungen versteckt unter Linoleum und Zwischendecken. Über 3,50 Meter hoch sind die Räume und machen die Besonderheit des Hauses aus. Aus den hohen Fenstern und ihren Rundbögen lässt sich auf Garten und Apfelplantagen bis nach Agathenburg blicken. Auf den 2.000 Quadratmetern Grundstück säumen sich rund um das Haus neben großen schattenspendenden Bäumen Spielhaus, Schaukel, Trampolin, Rutsche und ein 7,5 mal 3 Meter großer Pool. Das Ehepaar kümmert sich gemeinsam um die Instandsetzung von Haus und Garten. „Ich liebe das Haus“, schwärmt Michael Gosch. Eine sterile Lebensumgebung wäre nichts für ihn. Überall stapeln sich Bücher, teils bis zur Decke, hängen Bilder und Dokumente, am Türrahmen  Matheaufgaben. „Meine Frau sagt immer, wir sind unaufgeräumt“, aber so soll es sein. So fühlen sie sich wohl. Sie wohnen zurückgezogen, Haus und Grundstück sind von keiner Seite einsehbar. Umso mehr wissen wir unseren Deichlust-Besuch zu schätzen. „Ich habe mein Amt und unsere Privatsphäre immer klar getrennt“, erzählt er, der an der Lühe bis 2021 Samtgemeinde-Bürgermeister war. Politik gehörte immer dazu. Gehört immer noch dazu, mittlerweile ist er stiller Beobachter. „Ich interessiere mich, nehme aber alles mit einer gelassenen Distanz“, so Gosch. Er ist stolz auf das, was er erreicht hat, sei es die Sanierung der Oberschule und der Turnhalle Steinkirchen oder den Neubau des Rathauses. Zu seinem Nachfolger habe er sich nicht geäußert, es gehöre zum guten Ton, dies nicht zu tun. Mit dem Auszug aus seinem gerade neu gebauten Rathaus kam für Michael Gosch der Ruhestand. Doch bei vier Kindern hat er weiterhin alle Hände voll zu tun.

Info

Lohnt sich ein Blick in Ihr Wohnzimmer? Haben Sie eine spannende Geschichte zu erzählen? Schicken Sie uns ihre Bewerbung an adams@deichlust.de und schon bald klingeln wir bei Ihnen. DingDong