Obstbauer Klaus Minners ist Exot und Pionier zugleich. Seit vielen Jahren setzt er auf seinem Hof in Jork-Wisch alles auf die Kirsche. Akribie und Leidenschaft sorgen im Zusammenspiel mit Hightech und Wissenschaft für Premium-Kirschen, die zum Knubbern einladen.
Sommer 1965: Ein kleiner Junge läuft im Sonnenschein mit einer Holzklappermühle durch Baumreihen. Auf und ab, immer wieder. Der Höllenlärm vertreibt die Stare aus den Wipfeln. „Ich war sehr stolz, als ich später befördert wurde“, erzählt Klaus Minners. Vom Spreenhüter zum Pflücker. Fortan kletterte er in die zehn Meter hohen Baumkronen. Andere Kinder verbrachten die Ferien in Freibädern und an der Elbe, Klaus Minners und sein Bruder mussten als Erntehelfer ran. „Klar haben wir geflucht. Aber am Ende des Sommers wurden wir von unserem Vater bezahlt.“
Als Kind wollte Klaus Minners lieber zur See fahren. Später Arzt werden, Orthopädie findet er spannend. Doch als der Vater fragt, ob er den Betrieb übernehmen möchte, regt sich etwas in dem 14-Jährigen. Er sagt Ja. Ob er diese Entscheidung je bereut hat? Der Obstbauer blickt eine Weile in seine Hände. Dann sagt er: „Es gab Gelegenheiten. Ich hätte ein anderes Leben führen können. Aber mir hat dieser Hof alles gegeben, was ich mir hätte wünschen können.“
Frühjahr: Start ins Kirschenjahr
Vor einigen Wochen ist Klaus Minners abgetaucht. Hinein in den Kirschen-Tunnel. Mit dem Winterschnitt beginnt das Kirschenjahr, der Termindruck steigt. Die ersten Blütenknospen schwellen bereits an, als der Obstbauer die Bewässerungsanlage reinigt, den Boden düngt, den Hof aufräumt.
Nach Ostern stellt er die Kirschdächer auf und bessert Schäden aus. Seine Bäume sind komplett überdacht. Das schützt die Kirschen vor Regen und damit vor dem Platzen. Vor zwei Jahren hat ein Sturm viele Dächer zerstört. Mit seinem Materiallieferanten und einem Statiker der Buxtehuder Hochschule 21 hat er ein Dach entwickelt, das Böen von bis zu 140 Stundenkilometern standhalten soll. Der Prototyp ist im Bau.
Mitte April beginnen die Kirschbäume zu blühen. Hummeln und Bienen summen in den Plantagen, die Natur erwacht zum Leben. Mit der Farbenpracht wächst Klaus Minners Nervosität. Sie begleitet ihn wie ein Grundrauschen durch die Saison. Verliert er die Kirschenernte, ist sein Jahreseinkommen futsch. „Die Kirsche ist eine launische Diva“, sagt er. Mitte Mai, nach dem Ende der Blüte, schließt er die Kirschdächer. Der Countdown läuft.
Pionier setzt alles auf die Kirsche
Rückblick. Nach dem Abitur macht Klaus Minners an der Esteburg in Jork eine Gärtnerlehre, Fachrichtung Obstbau. Es folgen Fachschule und Meisterprüfung. Mit 25 übernimmt er in zehnter Generation den 6,5 Hektar großen Familienbetrieb, der damals vornehmlich Äpfel anbaut. Mitte der 1990er-Jahre seien dann die ersten Elstar-Äpfel im Discounter aufgetaucht, erinnert er sich. „Ich hatte Sorge, nicht gegen die mächtigen Spieler bestehen zu können.“ Flächentechnisch hat er keine Möglichkeit, sich zu erweitern.
Der Fall des „Eisernen Vorhangs“ bringt neue Möglichkeiten. Klaus Minners freut sich über den kulturellen Austausch und die veränderte Wettbewerbssituation. Etwa zur gleichen Zeit gelingt es der Universität Gießen, eine neue Unterlage für Kirschbäume zu züchten. Unterlagen sind Wurzelsprösslinge von Bäumen, die mit der gewünschten Obstsorte veredelt werden. Die Besonderheit von Gisela 5: Sie ist schwachwüchsig. Ihre Kirschen lassen sich vom Boden aus abernten. „In Verbindung mit neuen Sorten aus dem Osten habe ich eine Chance gesehen“, sagt Minners.
Vom Esstisch aus blickt er auf seine Gisela-Pilotanlage und lächelt. „Das war eine tolle Zeit damals.“ Neue Sorten, neue Unterlage und Regenschutz dank neuer Foliendächer. „Mein Interesse für die Kirsche explodierte.“ Aus anderthalb Hektar Kirschen macht er fünf. „Alle haben mich für verrückt gehalten. ‚Das geht nicht, Klaus‘, haben sie gesagt.“
Klaus Minners setzt sich wissenschaftlich mit dem Anbau auseinander, legt Versuchsparzellen an, tüftelt an Pflanzabständen und Baumschnitten. Er liest Doktorarbeiten, setzt sich mit Bestäubungsfragen und Wildbienen auseinander, erforscht, welches Lichtspektrum für Insekten unter dem Kirschendach ideal ist. Mit Erfolg: Heute wachsen an seinen Bäumen gleichmäßig große Premium-Kirschen.
Sommer: Der Lohn für die Mühen
Leuchtend rot und drall hängen sie am Baum. Unter dem Regenschirm reifen die Kirschen heran, werden größer und schmackhafter. In den letzten Tagen legen sie gut geschützt ordentlich an Größe zu. Geschmack, Farbe und Festigkeit entscheiden über den Erntetermin.
Geerntet wird vormittags, wenn die Hitze auf der Plantage erträglich ist. Mit beiden Händen Stiele greifen, gegen die Hängerichtung hochkippen, ziehen und in den Pflückkorb legen. Die Stiele bleiben dran. Das A und O beim Kirschenpflücken sind kurze Greif- und Ablegewege. In mehreren Durchgängen ernten die Helfer die Bäume ab. Ein guter Pflücker schafft bis zu 20 Kilogramm in der Stunde. „Für mich gibt es keine schönere Tätigkeit“, schwärmt der Obstbauer. Die Erntezeit sei immer ein Triumphzug. Der Lohn für die harte Arbeit.
Sie ist auch eine wilde Zeit. 16 Stunden ist Klaus Minners täglich auf den Beinen, sieben Tage die Woche. Vom Feld werden die frischen Kirschen schnell in die Kühlung gebracht. In der Halle geht die Arbeit weiter. Die Kirschen schwimmen im 3 Grad kalten Wasserbad. Beschädigte Früchte sortieren die Mitarbeiter von Hand aus. Anschließend vermisst eine Kamera die Kirschen, die Anlage sortiert sie vollautomatisch in Zwei-Millimeter-Schritten. 30 bis 32 Millimeter große Kirschen tragen das Gütesiegel Royal-Premium. 12 Euro zahlen Verbraucher für ein Kilogramm. An den zehn Ausgängen der Sortieranlage rutschen die Kirschen in die Verpackung. Dann geht es auf Paletten ins Kühllager. Am Abend rollen sie vom Hof in den Handel.
Wenn alles gut läuft, erntet Klaus Minners zwölf Tonnen Kirschen von einem Hektar. Er liefert an private Betriebe in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein und über die Elbe-Obst Vertriebsgesellschaft gelangen seine Kirschen in den Lebensmitteleinzelhandel. Etwas Direktvermarktung gehört auch dazu, allerdings nicht auf dem Hof. „So habe ich ein Ohr am Verbraucher, bekomme ein direktes Feedback.“
Gerade zu Saisonbeginn beherrschen günstige türkische Kirschen den Markt. Der Wettbewerb ist hart. Täglich verhandelt Klaus Minners mit Abnehmern. Der Obstbauer hat gelernt, den Erfolgsdruck auszuhalten. Die letzten drei, vier Tagen seien oft die entscheidenden, an denen bis zu fünf Tonnen Kirschen vom Hof gehen.
Herbst und Winter: Nach der Ernte ist vor der Ernte
Bevor die Pflücker den Hof verlassen, rollen sie die Kirschdächer zusammen. Ende August kehrt Ruhe ein – und der Obstbauer zurück aus dem „Kirschen-Tunnel“. Vorbei sind die Tage des Termindrucks. Klaus Minners stutzt seine Bäume im Spätsommer zurück in ihre pyramidale Form. Anschließend düngt er die Blätter. Ein Fungizid schützt die Kirschbäume vor Pilzbefall, dann ist die Arbeit an der Pflanze für das Jahr abgeschlossen. Im Herbst mäht er Gras, spült Drainagen und holt seine knapp 20.000 Wildbienen nach Hause. Mitte November geht es noch einmal raus. Löcher buddeln und Bäume einsetzen, rund 200 Stück am Tag.
Winterzeit ist Fortbildungszeit auf dem Obsthof. Klaus Minners besucht zudem Messen, pflegt sein Expertennetzwerk, kümmert sich um die Buchhaltung, dokumentiert die Erfahrungen des Jahres für die interne Qualitätssicherung.
„Wir erleben ein katastrophales Jahr“, sagt Klaus Minners, „alles wird teurer, dazu der Mindestlohn; unsere Abgabepreise dürfen aber nicht steigen.“ Innerhalb der Branche werde viel diskutiert, wie es weitergehen könne. „Wir sollten die jungen Leute ranlassen, die werden wissen, was zu tun ist. Ich kenne nicht mehr die richtigen Antworten auf die Fragen dieser Zeit.“
Seine Tochter will den Betrieb eines Tages übernehmen. Noch sei sie nicht so weit, erzählt Klaus Minnes. Er hat auch in diesem Frühjahr neue Kirschen angepflanzt.
Konfuzius sagt: Wer einen Baum pflanzt, wird den Himmel gewinnen.
Wer einen Baum pflanzt, legt sich fest, heißt es auf Minners‘ Hof.
Text: Leonie Ratje · Fotos: Volker Schimkus