Joachim Brill und Jörg Pollmann trinken ihren Kaffee schwarz. Ein Relikt aus der Zeit auf See, als Milch, stundenlang ungekühlt, am Ende der Nachtwache sauer und klumpig in die Tasse fiel. Wer das einmal erlebt hat, verzichtet lieber gleich darauf. Das Alte Land ist reich an Kapitänen wie Pollmann und Brill. Viele von ihnen begannen ihre Laufbahn an der Seefahrtsschule in Grünendeich. Ein Besuch in dem historischen Backsteinbau ist eine Reise in die Vergangenheit der Seefahrt – zwischen Fischerlatein, Hafengeschichten und Seemannsgarn.
Joachim Brill kennt die Seefahrtsschule wie seine Westentasche. Er ist einer dieser in der Region verwurzelten Kapitäne. Er war einer dieser Schüler, die ihr Patent an der Navigationsschule bestanden. Genau wie einst schon sein Vater. Wenn Joachim Brill durch das Gebäude läuft, hat er viel zu erzählen. Und das tut er auch vor Besuchergruppen. Er weiß noch, wie das markante Gebäude mit den auffälligen Dachaufbauten 1971 um einen Pavillon mit Schulräumen an der Rückseite des Gebäudes ergänzt wurde, und auch, wie der Pavillon wieder entfernt wurde. Sechs Semester studierte er an der Navigationsschule. Er kommt aus einer Seemannsfamilie. Wie auch seine Frau, die schon als kleines Mädchen ihren Papa mir ihrer Mama auf seinen Schiffsreisen begleitete, ebenso wie dann ihren Mann mit ihren Kindern. Gang und gäbe in der Branche. Joachim Brill ist ein Familienmensch. Die Beziehung zu seiner Familie war stets eng. Sehr eng. Während des Unterrichts konnte er Blickkontakt zu seiner Schwiegerfamilie halten. Sie wohnte nebenan.
210.000 Euro zur Modernisierung
1858 wurde die Seefahrtsschule als königliche Navigationsschule gegründet. Sie prägte Generationen von Seeleuten und war eine Institution in der Region. Über 5.500 Patente wurden hier bis 2002 ausgestellt, dann wurde der Lehrbetrieb eingestellt.
Noch vor der Wiedervereinigung Deutschlands führten bundespolitische Entscheidungen zur Einführung eines zweiten Schiffsregisters. Die Schiffe fuhren weiter unter deutscher Flagge. Allerdings konnte die Schiffsmannschaft aus anderen Ländern kommen und erhielt den dort üblichen Lohn. Daher brach die Nachfrage nach geringer Qualifizierten Seeleuten aus Deutschland abrupt ein. Dies führte zu einem Rückgang der Nachfrage nach deutschen nautischen Ausbildungen und damit auch zu einem Rückgang der Zahlen der Auszubildenden in Grünendeich.
Heute ist der rote Backsteinbau mit seinem blau-weißen Vorbau ein Museum mit Planetarium und Kapitänsbrücke. Und: Es beherbergt den Tourismusverband Stade/Altes Land und die Geschäftsstelle der Arbeitsgemeinschaft Maritime Landschaft Unterelbe. Dr. Sebastian Ipach ist seit zwei Jahren mit an Bord. Er hat gleich zu Beginn seiner Amtszeit Förderanträge gestellt, um EU-Gelder zu bekommen. 210.000 Euro wurden ihm nun — von LEADER-Förderung (EU), Förderfonds der Metropolregion Hamburg und vom Landkreis Stade — genehmigt. Er will das Haus attraktiver für die Region und den Tourismus machen und als Publikumseinrichtung wieder nach vorne bringen.
Der Plan: ein frischer Anstrich, eine modernisierte Ausstellung und ein begehbares Elbmodell. Auch das Planetarium wird aufgerüstet – mit neuer Technik, Soundsystem und Lichtanlage. Im Herbst wird das Haus für einige Monate geschlossen, um schon Ende des Jahres wieder mit neuen Attraktionen zu glänzen.
Döntjes und Nautik auf der Kapitänsbrücke
Seit sechs Jahren führt Joachim Brill Interessierte durch das historische Gebäude und erläutert die verschiedenen Navigationsinstrumente auf der Kapitänsbrücke. Dabei teilt er auch sein umfangreiches Wissen über die Kunst der Navigation. „Ich will keinen Unterricht abhalten, da sind auch Döntjes dabei.“ Der gelernte Bäcker („meine Eltern wollten, dass ich einen anständigen Beruf lerne“) ist fast 40 Jahre zur See gefahren und hat wohl mehrere Weltumrundungen hinter sich. Vier Seefahrtsbücher dokumentieren, auf welchen Schiffe er gefahren ist, und dienen ihm heute als Rentennachweis.
Nackt und geknebelt in der Kabine
In den etwa 30 Jahren als Kapitän hat er einiges erlebt. Bei Lagos in Nigeria legte er sein Schiff einst zwischen zwei russische, um sich vor Piraten zu schützen – „die Russen durften im Gegensatz zu uns schießen“. 1971, noch als Jungmann, fand seine Crew den Zweiten Ingenieur gefesselt und geknebelt in seiner Kabine – die Piraten hatten alles mitgenommen, sogar seine Kleidung. „Wir hatten nur auf unsere Ladung geachtet, da konnten sie unbeobachtet an Bord kommen.“
Auch ein schwerwiegender Maschinenschaden auf See bleibt unvergessen – besonders für seinen Sohn, der damals mit an Bord war. Die Seefahrt wurde nicht seine Karriere, aber die Branche ließ Brill Junior nicht los: Heute arbeitet er im Schiffsbau.
Joachim Brill fährt schon seit rund 15 Jahren nicht mehr als Kapitän. Seine letzte Fahrt endete auf der Intensivstation. Im Uniklinikum Eppendorf diagnostizierten sie mehrere Herzinfarkte, die dann dafür verantwortlich waren, dass der damals 59-Jährige als nicht mehr seediensttauglich galt. Abrupt war seine Karriere zu Ende. Er ging dagegen an und verlor. Verlor seine Leidenschaft. Ein harter Schlag. Einmal im Jahr strahlt sein Seefahrtsherz jedoch erneut, wenn er mit seiner Frau auf Kreuzfahrt ist. Oder wenn er auf der Kapitänsbrücke in der oberen Etage der Seefahrtsschule seine Döntjes erzählt.
Es geht in den Keller, um die Sterne zu sehen
Unter der sechs Meter hohen Kuppel des Planetariums im Keller steht aktuell noch das historische Projektionsgerät: der sogenannte Zeiss-Kleinprojektor II (ZKP II) von 1980, ein analog-optisches Präzisionsinstrument zur Darstellung des Sternenhimmels. Es sieht beeindruckend aus. Die Kugeloberflächen sind mit Hunderten feiner Linsen bestückt, durch die bis zu 5.800 Lichtpunkte auf die Kuppel projiziert werden. Mit präzisen mechanische Steuerungen kann das Gerät Himmelsbewegungen wie den Sonnenlauf, Mondphasen, die Position der Planeten oder die Präzession der Erdachse simulieren.

Jörg Pollmann als gelernter Nautiker und Dr. Georg Hetzendorf als Physiker sind die einzigen, die das Projektionsgerät bedienen. Der Projektor wird in diesem Jahr in den Ruhestand gehen und von einem digitalen Gerät ersetzt. Künftig können sie so auch Filme oder moderne Animationen des Universums in der Kuppel zeigen.
Das Gesicht des Hamburger Hafens als Gastgeber des Planetariums
Jörg Pollmann freut sich auf das neue Planetarium. Seit eineinhalb Jahren führt er Gruppen durch das Universum, die Milchstraße und das Sonnensystem, er erklärt die Funktionsweise und die Technik eines Planetariums, erläutert die Schiffsnavigation mithilfe der Sterne oder zeigt die historische Bedeutung des Nachthimmels auf. Gerne gibt der heute 66-Jährige sein Wissen weiter. In seinen Vorträgen erzählt er mit spürbarer Faszination von den uralten Methoden der Positionsbestimmung und davon, wie Seefahrer mit Sextant, Jakobsstab und anderen Instrumenten den Ozean überquerten, lange bevor GPS und elektronische Seekarten existierten. Der Ostfriese fuhr zwölf Jahre auf Stückgut- und Containerschiffen, bevor er aus familiären Gründen sesshaft wurde. Mit seiner Frau lebt er heute noch in seinem Einfamilienhaus in Jork.
Im Hamburger Hafen stieg er schnell auf, hatte leitende Funktionen in Stauerei- und Kaibetrieben inne, bevor er die Leitung des Oberhafenamtes der Hamburg Port Authority übernahm. Als Leitender nautischer Direktor und Hafenkapitän war er verantwortlich für die Gewährleistung der Sicherheit des gesamten Schiffsverkehrs im Hamburger Hafen. „Wie kriegen wir es hin, dass die großen Pötte auch bei Wind sicher den Hafen verlassen können? Es war jedes Mal eine spannende Aufgabe“, so der Hafenkapitän.
Pollmann tingelte durch Talkshows, war das Gesicht des Hamburger Hafens und begleitete jährlich große maritime Veranstaltungen wie den Hamburger Hafengeburtstag und die Cruise Days. Mit 63 Jahren kündigte er dann an, dass er zu seinem 64. Geburtstag in den Ruhestand gehen würde. Er wollte nicht „der Alte“ sein.
Nach seinem Ausscheiden zog es ihn erst einmal für dreieinhalb Wochen nach Frankreich. Ohne Termine im Nacken. Einfach so. Seitdem genießt er die Unabhängigkeit, Doppelkopf und Boule, engagiert sich im Rotary Club, und ab und an erzählt er den Altändern etwas über Wikinger, schwarze Löcher oder zeigt ihnen die Sterne.

Text: Mona Adams · Fotos: Volker Schimkus
Info
Publikumstage im Juni 2025:
Am 15. Juni um 13.30 Uhr Kapitänsführung mit Joachim Brill (3,50 EUR) und anschließend im Planetarium „Der Kosmos und seine Bedeutung“ mit Dr. Georg Hetzendorf (4,50 EUR). Am 21. Juni um 16.30 Uhr mit Jörg Pollmann „Seefahrt und Himmelszelt, nach Sternen navigieren“ (4,50 EUR).
Weitere Termine auf www.maritime-elbe.de oder unter 04142/889410.