Überfliegerin ohne Landebahn  

Einmal im Leben selbst ein Flugzeug fliegen, diesen Lebenstraum vieler Menschen hat DEICHLUST- Reporterin Leonie Ratje erlebt. Am Steuerknüppel eines Airbus-Flugsimulators im neuen Dienstleistungszentrum ElbAir macht sich die Flugschülerin über den Wolken auf die Suche nach der grenzenlosen Freiheit.

Ich sitze im Cockpit eines Airbus A320, umgeben von Knöpfen, Hebeln, Schaltern und schließe den Sicherheitsgurt. Mein Co-Pilot, Dirk Effelsberg, ehemaliger Pilot und Geschäftsführer der Yourcockpit GmbH, nimmt rechts von mir Platz. Als Flugkapitänin und „Pilot flying“ fliege ich das Flugzeug heute mit links von Bremen nach Hamburg.

In meiner Tätigkeit als freie Journalistin bin ich viel in der Luftfahrt tätig. Seit vielen Jahren schreibe ich über und für das Unternehmen Airbus. Mit Flugzeugen kenne ich mich besser aus als die meisten, denke ich. Auf der anderen Seite würde ich mich nicht zwingend als Naturtalent bezeichnen, was die Fähigkeit betrifft, Fahrzeuge zu führen. Stichwort seitliches Einparken.

Seit 2013 bietet Dirk Effelsberg Flüge am Simulator an. Yourcockpit ist mit 14 Standorten und knapp 30 Simulatoren der größte Anbieter in Deutschland. Die Flüge werden von ehemaligen Piloten, Fluglehrern, Fluglosten oder Flugschülern professionell begleitet. „Ich nutze Original-Cockpits und Simulatoren, die baugleich bei Fluggesellschaften für Pilotentrainings eingesetzt werden“, sagt der erfahrene Pilot, der jahrelang im Linienverkehr geflogen ist. Mit dem Fliegen habe er sich einen Kindheitstraum erfüllt, sagt er. „Diese Faszination möchte ich möglichst vielen Menschen vermitteln.“


Nach einer kurzen Einführung geht es los. Schon das Rollen auf die Startbahn des Bremer Flughafens treibt mir den Schweiß auf die Stirn. So schnell kam mir das als Passagier hinten in der Kabine nie vor. Der Airbus schlingert um die Kurve. Dass das Flugzeug nicht wie ein Auto, sondern wie ein Schiff ein wenig zeitverzögert auf meine Lenkversuche reagieren würde, hatte Dirk Effelsberg mir erklärt. Das Wissen darum ändert allerdings nichts an meiner Unbeholfenheit. Mit Müh und Not halte ich das Flugzeug auf der gelben Linie. Wie soll das bloß in der Luft enden?

Flugspaß für jedermann im ElbAir

2015 startete Dirk Effelsberg mit seinem Unternehmen Yourcockpit eine Kooperation mit der Globetrotter Erlebnis GmbH, die Werksführungen bei Airbus in Norddeutschland anbietet. Bislang sei die Kombination aus Werksführung und Simulatorflug schwierig zu planen gewesen, weil der Simulator auf der anderen Seite der Elbe in der Hamburger Hafencity stand. Durch die direkte Nachbarschaft im neuen Dienstleistungszentrum ElbAir, vor den Toren des Airbus-Werks in Finkenwerder, ergeben sich nun bessere Möglichkeiten der Zusammenarbeit.


Wir stehen auf der Startbahn und warten auf das Go des Tower. Mir raucht der Kopf, gleich soll ich abheben. Tief einatmen. Der Co-Pilot sagt, welche Knöpfe ich drücken soll. Klick hier, klack da, Turbinen hochfahren, Bremse lösen, dann geht es los. Volle Kraft voraus. Mit der rechten Hand schiebe ich die Schubhebel nach vorn auf Anschlag, linke Hand am Sidestick. 80 Knoten, 100, 120 – jetzt! Bei 140 Knoten ziehe ich den Steuerknüppel nach hinten. Mein Herz rast. 15 Grad Steigung, Fahrwerk einfahren, Beschleunigung auf 200 Knoten. Aus dem Lautsprecher dröhnt der Sound der A320, ich habe Reinhard Mey im Ohr: Bis sie abhebt und sie schwebt, der Sonne entgegen. Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.

Das Primary Flight Display direkt vor mir zeigt Geschwindigkeit, Höhe, Richtung, Flugwinkel und einiges mehr an. In der Mitte der künstliche Horizont, blau für den Himmel, braun für den Boden. Ich sehe das Display, ich erkenne nichts, aber ich fliege.

„Bei 1.500 Fuß gehen wir auf zehn Grad Steigung und nehmen Schub raus“, sagt Dirk Effelsberg. Das ist der Moment, der sich für viele Passagiere in der Kabine anfühlt, als würde das Flugzeug in der Luft bremsen und sinken. Der Sidestick in meiner linken Hand ist schweißnass. Mir ist klar, dass wir uns auf Hamburger Boden befinden, aber blamieren möchte ich mich nicht. „Es ist schwierig, ein Flugzeug zu crashen“, sagt Dirk Effelsberg.

Diese Rechnung hat er ohne seine unerfahrene Pilotin gemacht. Noch im Steigflug soll ich eine Linkskurve fliegen. Dafür müsste ich den Sidestick behutsam nach links bewegen, die Neigung nach hinten aber beibehalten. Das ist koordinativ zu viel für mich. Die Nase des Airbus senkt sich nach unten, während ich viel zu hart nach links steuere. Hoffentlich sind genügend Spucktüten da. „Kein Problem“, sagt Dirk Effelsberg. „ein klassischer Anfängerfehler.“


Während ich noch versuche, die Werte auf meinem Display zu deuten – „Stürzen wir gerade ab?“ –, bringt er das Flugzeug im Handumdrehen wieder auf Kurs. Als wir unsere Reisehöhe von 10.000 Fuß erreicht haben, richte ich die Nase des Flugzeugs auf meinem Display auf drei Grad aus. So fliegen wir geradeaus. Jede winzige Bewegung am Sidestick lässt das Flugzeug in der Luft schwingen, aber ganz allmählich habe ich den Bogen raus. Die nächsten Kurven fliege ich geschmeidiger. Unter uns die Hansestadt Stade, am Horizont das glitzernde Band der Elbe. Schon schön. Zeit für ein wenig Flieger-Latein. „Kerosin-Gespräche nennen wir das bei Yourcockpit“, verrät Dirk Effelsberg. Er habe bei all seinen Flügen nie gravierende technische Probleme gehabt, erzählt er. Ein, zweimal habe ihn das Wetter in heikle Situationen gebracht, die er aber entsprechend der vorgeschriebenen Verfahren gut meistern konnte.

Natürlich ließen sich auch im Simulator sämtliche Wetterlagen und schwere Turbulenzen nachstellen, aber ich verzichte dankend. Mit Sidestick, Schubreglern und Primary Flight Display bin ich ausreichend beschäftigt, da brauche ich keine Schlechtwetterfront.

Ein Simulatorflug als perfektes Geschenk

Den typischen Flugsimulator-Kunden gebe es nicht, sagt Dirk Effelsberg. Von Modellbauern und Technikfreaks über Segelflieger bis hin zu erfahrenen Ex-Piloten kommen Flugbegeisterte aus ganz Deutschland, um einmal abzuheben. Die Mehrzahl der Kunden sei allerdings männlich. Kein Wunder, sind doch weltweit gerade einmal knapp sechs Prozent der Piloten weiblich. Dass kaum Frauen den Simulator besuchen, liegt laut Effelsberg aber weniger daran, dass sie nicht gern Pilotinnen sein wollten, als vielmehr daran, dass Männer in der Regel schlechter zuhören würden, wenn Frauen ihre Geschenk-Wünsche äußern.


Das Cockpit des Flugsimulators ist das Original-Cockpit eines ausgemusterten Airbus A320. Jeder Knopf kann hier gedrückt, jedes Rädchen gedreht und jeder Hebel umgelegt werden. Die Software projiziert auf Wunsch sämtliche Flugrouten und Flughäfen dieser Welt mit drei modernen Laser-Beamern auf die fünf Meter große kugelförmige Projektionsfläche. Diese Darstellung ist das Geheimnis hinter dem Gefühl, der Simulator würde sich bewegen. Wer mag, landet 20 Minuten nach dem Start in Rio de Janeiro oder Tokio. Für mich geht es nach Hamburg, klar. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass ein guter Pilot nicht auf Sicht, sondern nach Instrumenten fliegt. Ich halte also meine Anzeige fest im Blick, der Flughafen Hamburg (Code EDDH) ist im Radar-Fadenkreuz. Jetzt auf 5.000 Fuß sinken. Mit dem Sidestick drücke ich die Nase nach unten und leite die erste Phase des Landeanflugs ein. Mein Herz schlägt schneller.

Ich sitze in einem Simulator, aber gebe mich keinen Illusionen hin. Ich kann kein Flugzeug fliegen. Niemand kann in einer Stunde lernen, was in der Realität drei Jahre dauert. Ein Erfolgsversprechen gibt Dirk Effelsberg seinen Gästen dennoch: „Auch wer als absoluter Anfänger kommt, geht mit dem Erfolg einer selbst gemeisterten Landung nach Hause.“ Die Landung gilt als Königsdisziplin. Jeder zweite Mann glaubt, dass er im Notfall unter Anleitung ein Flugzeug landen könnte. Studien belegen, dass Männer dazu neigen,  sich  zu  überschätzen. „Keine Chance“, sagt Dirk Effelsberg, „für einen Anfänger ist es nicht möglich, ein Passagierflugzeug sicher zu landen.“

Wo ist die Landebahn?


„Jetzt langsam das Flugzeug auf die Landebahn ausrichten“, sagt Dirk Effelsberg. Konzentriert blicke ich aus dem Cockpit-Fenster. Das Problem: Ich sehe die Piste nicht. Im Sinkflug schaue ich auf Hamburg. Die Elbe, die Alster, die Elbphilharmonie, der Michel. Wo ist der Flughafen? „Sorry, aber ich sehe die Landebahn nicht, wo ist sie?“, frage ich. Ungläubig zeigt mein Co-Pilot durch die Cockpit-Scheibe hinaus. „Da!“ Mein Blick folgt hilflos seinem Finger, während wir weiter sinken. Wo bloß? „Landeklappen ausfahren“, sagt Dirk Effelsberg. Nun wird es eng.

Der Boden rückt unaufhaltsam näher. Halleluja, da ist die Landebahn. Augenblicke später setzt der Airbus auf. Das ist stark beschönigt für: knalle ich das Flugzeug auf den Asphalt. Ich steige mit beiden Füßen voll in die Pedale, reiße den Schubhebel nach hinten in den Umkehrschub. Wir rumpeln über die Piste. Niemand klatscht. Ich stelle die Triebwerke ab und drehe mich erwartungsfroh zu meinem Co-Piloten: „Und?“ „Der Start war vielleicht etwas unkoordiniert, aber der Lerneffekt war während des Flugs zu sehen“, sagt Dirk Effelsberg und grinst. „Ich konnte jetzt nichts außergewöhnlich Schlechtes beobachten.“ Klingt in meinen Ohren wie: Überfliegerin, Glückwunsch!

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Hinter den Kulissen der Faszination Fliegen

Bereits seit 2004 bietet die Globetrotter Erlebnis GmbH Werksführungen am Standort Finkenwerder an. Einmal hinter die Kulissen eines der weltgrößten Luftfahrtunternehmen schauen – diese Gelegenheit nutzen Jahr für Jahr etwa 60.000 Besucherinnen und Besucher. Darunter auch Staatsoberhäupter oder andere VIP-Gäste, die Globetrotter im Auftrag von Airbus über das Gelände führt. „Wir gehen davon aus, dass wir Ende dieses Jahres den millionsten Gast in unserem neuen Besucherinformationszentrum begrüßen werden“, sagt Stephan Scholz, der den Bereich Airbus-Werkstouren in Hamburg bei Globetrotter leitet.

Das repräsentative Besucherzentrum im ElbAir bildet nun das Tor in die Airbus-Welt mit ganz neuen Möglichkeiten für beeindruckende Erlebnisse. In einer interaktiven Ausstellung stimmen sich die Besucher mit einem digitalen Smart Guide, der Bilder, Filme und Texte zeigt, vor dem Start der gut zweistündigen Tour schon einmal auf eigene Faust ein. „Los geht es dann mit der offiziellen Begrüßung durch unseren Tour Guide in einem der zwei Kinosäle.“ Im Anschluss startet der Tourbus direkt am gläsernen Wartebereich des Besucherinformationszentrums, der einen freien Blick auf die Start- und Landebahn des Airbus-Flughafens bietet.

Wer sich für Technik, Flugzeugbau und Flughafenbetrieb interessiert, kommt bei der Werkstour voll auf seine Kosten. Das Team arbeite derzeit überdies an neuen zielgruppengerechten Formaten, erzählt Stephan Scholz. Touren für Universitätsgruppen oder Betriebsausflüge, Führungen speziell für Familien und besondere Themenschwerpunkte sind angedacht. „Vor allem sind wir sehr daran interessiert, die Altersbegrenzung ab 14 Jahre zu senken. Wir sind mit Airbus in Gesprächen, um künftig auch Kindern die Faszination Luftfahrt nahebringen zu können.“

Darüber hinaus bietet Globetrotter auch Kombi-Pakete für Hamburg-Touristen, die mehr als den Airbus-Standort kennenlernen wollen. Insbesondere die Zusammenarbeit mit dem Flugsimulator von YourCockpit soll in Zukunft noch ausgebaut werden. „Thematisch passen wir schon immer top zusammen. Unsere direkte Nachbarschaft im ElbAir bietet unseren Gästen die Chance, vor oder nach einer Tour bei Airbus selbst einmal einen Airbus A320 oder den Hubschrauber Airbus H135 zu fliegen“, sagt Stephan Scholz. Das entsprechende Mini-Modell gibt es natürlich

im Airbus-Fanshop im Besucherinformationszentrum. Weitere Infos und Tourbuchungen online unter www.globetrotter-erlebnis.de

Text: Leonie Ratje · Fotos: Wolfgang Stephan

Deichlust