Wie funktioniert bei Viebrock die Generationenvielfalt?
Es ist eine typische Nachkriegsgeschichte mit nachhaltigen Folgen: Im Jahre 1954 gründete der Maurermeister Gustav Viebrock in Harsefeld ein kleines Bauunternehmen mit einem Gesellen, zwei Lehrlingen und einem Handlanger. Zehn Jahre später wurde das erste Typenhaus gebaut – damals ein erst belächeltes, aber schon bald ein in der Branche viel beachtetes Projekt, mit dem der Grundstein für das heutige Unternehmen Viebrockhaus AG mit seinen 1100 Beschäftigten gelegt wurde. Vor wenigen Tagen feierten sie den 70. Geburtstag. Mit allen Beschäftigten, stilvoll, aber nicht prunkvoll. Ganz im Sinne der Philosophie des Firmengründers Gustav Viebrock, der stets darauf geachtet hat, geerdet zu bleiben. Die DNA des Opas war und ist auch bei Andreas Viebrock zu spüren, der 1984 den mittelständischen Handwerksbetrieb als Chef übernommen hat, und der bis heute die Viebrockhaus AG inspiriert. In seiner unnachahmlichen Art. Ein Andreas Viebrock sagt weniger als er macht, aber was er sagt, ist meist unverblümt und gehaltvoll.
Unter seiner Führung wurde die Viebrockhaus AG zu einer der namhaftesten Adressen im Einfamilienhausbau, im Reithallenbau ist es eine der besten Adressen, was kein Wunder ist, denn Andreas Viebrock hat als Amateur 2006 beim Deutschen Springderby teilgenommen. Seinen größten Coup landete er im November 2021 in Glasgow: Bei der 21. UN-Klimakonferenz stellte die Viebrockhaus AG die Vision einer revolutionären Wohnbausiedlung vor, ganz nach der Philosophie des Chefs: Über Klimaschutz und Nachhaltigkeit nicht nur reden, sondern sie auch praktizieren. Die Smart-City ist das Vorzeigeprojekt, „noch Zukunftsmusik für die Branche“, urteilte Wirtschafts-Staatssekretär Stefan Wenzel (Grüne), und Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) lobte: „Wir brauchen viele solcher Ideen.“ Dass Andreas Viebrock bereits vor zehn Jahren die Verantwortung der Viebrockhaus AG an seine Söhne Dirk und Lars übergeben hat, gehört zu den Besonderheiten des Unternehmens, das von den Söhnen verantwortlich geführt wird. Der älteste Sohn Jan führt als alleiniger Geschäftsführer die Gustav Viebrock GmbH, die den Geschosswohnungsbau managt.
Kann das funktionieren? Die Söhne als Geschäftsführer und ein Vater mit seiner beunruhigenden Genialität mit im Boot? „Es funktioniert“, sagen die Viebrocks im Interview.
Wer führt die Viebrockhaus AG?
Dirk Viebrock: Das sind die Söhne. Ich habe das Unternehmen als Geschäftsführer 2014 übernommen, Lars ist seit 2017 in der Geschäftsführung. Ab 2018 haben wir beide das Unternehmen dann vollumfänglich übernommen. Unser Bruder Jan ist alleiniger Chef der Gustav Viebrock GmbH.
Damit ist Andreas Viebrock seit 2014 nicht mehr in der Verantwortung?
Andreas Viebrock: : Das ist so. Im Jahre 2014 waren die 30 Jahre meines Schaffens an verantwortlicher Stelle vorbei. Die 4 in der Jahreszahl ist dabei bemerkenswert, denn mein Vater Gustav hat das Unternehmen 1954 gegründet, ich übernahm das Ruder 30 Jahre später im Jahre 1984, und dann 30 Jahre später kamen die Söhne – also 30 Jahre für jede Generation.
Aber Andreas Viebrock ist doch noch immer nicht raus?
Dirk Viebrock: Auch das ist Familientradition, denn auch Gustav Viebrock war bis ins hohe Alter von 90 Jahren immer noch dabei, um Aufgaben zu erledigen. Weil er das Unternehmen lebte. Wir haben das Glück, dass unser Vater das auch so lebt und entsprechend noch dabei ist. Es wäre auch unsinnig, auf seine Expertise zu verzichten.
Mitunter drängt sich von außen der Eindruck auf, dass Andreas Viebrock noch eine beherrschende Rolle spielt, ist das so?
Andreas Viebrock: Der Eindruck ist insofern falsch, weil ich im Einfamilien-Hausbau so gut wie überhaupt nicht mehr tätig bin. Und der Einfamilien-Hausbau ist mit rund 70 Prozent unser größter Umsatzträger, zehn Prozent entfallen auf die Reithallen und 20 Prozent auf Projekte, in denen ich tatsächlich mitmischen darf. Das ist formell der Geschoßwohnungsbau, und daraus haben sich die Projekte entwickelt, die zuletzt in der Öffentlichkeit eine Rolle spielten, die SmartCity und das Powertown-House.
Erwähnt wird jetzt nicht, dass Andreas Viebrock Mitglied des Aufsichtsrates ist und derzeit sogar Aufsichtsratsvorsitzender.
Lars Viebrock: Da sehen Sie mal, dass bei uns in diesem Trio Funktionen und Titel überhaupt keine Bedeutung haben. Aber ja, unser Vater ist Aufsichtsratsvorsitzender, was sich zum Jahresanfang aber ändern wird.
Andreas Viebrock: Dann bin ich endgültig abgeschrieben (lacht).
Dirk Viebrock: Das wirst du nie. Das wäre doch auch widersinnig, wenn wir jungen Unternehmer die Erfahrung eines erfahrenen Unternehmers mit über 40 Jahren in der Bauwirtschaft nicht nutzen würden. Außerdem sind wir ein Familienbetrieb, eine Familie, die hier gemeinsam lebt und sich jeden Tag begegnet.
War das auch der Grund, warum Gustav Viebrock so lange mit am Bord war?
Andreas Viebrock: Der hat sich um viele Dinge gekümmert, die er einfach gut konnte, wobei ich auch zugeben muss: Der hat Dinge gemacht, zu denen ich keine Lust hatte, auch weil er vieles besser konnte. Das fängt bei Repräsentationsterminen an und hört bei Jubiläen und Beerdigungen nicht auf. Es gibt weiterhin Termine, da muss und da will ich erscheinen. Oder in den Verhandlungen mit den Kommunen, da schadet es nie, wenn von unserer Seite mehr Erfahrung mit am Tisch sitzt.
Gibt es auch noch die Tradition von Gustav Viebrock, dass sich die Führung morgens um sechs Uhr getroffen hat, um alles Wichtige zu besprechen?
Lars Viebrock: Das hat die junge Generation abgeschafft. Unser Vater sitzt da zwar schon um diese Uhrzeit, aber ohne uns. Das Unternehmen tickt mittlerweile anders. Wir sind anders aufgestellt. Wir sind nicht mehr so zentralisiert, dass alle Entscheidungen hier in Harsefeld fallen. Wir starten morgens dezentral an unseren Baubetriebsstandorten in Schleswig-Holstein, in NRW bei Kerpen, in Braunschweig und im Süden in Hirschberg bei Heidelberg. Diese Baubetriebe werden selbstständig von Baubetriebsleitern geführt, und das sind die, die tatsächlich morgens um sechs Uhr vor Ort sind.
Das Unternehmen tickt anders – tickt es jetzt auch mit einer neuen Philosophie?
Dirk Viebrock: Im Herzen nicht. Einerseits gibt es neue Strukturen mit neuen Verantwortlichkeiten und einer fähigen Management-Ebene, auf die wir uns verlassen können. Denen müssen wir eine Selbstständigkeit überlassen, um ihnen nicht die Autorität zu nehmen. Das hat sich zu früher geändert. Aber nicht geändert hat sich die Philosophie des Unternehmens.
Lars Viebrock: Wer den Namen Viebrockhaus hört, denkt an Innovationen, Klimaschutz, Nachhaltigkeit. Aber der Kern unserer Marke liegt noch viel tiefer. Wir setzen das fort, was Gustav Viebrock verkörpert hat: Wir kümmern uns um unsere Kunden. Wir machen das Bauen für unsere Kunden angenehm und einfach. Es gibt keine Unsicherheit wegen der Kosten, denn wir haben Festpreise. Wir kümmern uns um solche nervigen Dinge wie Bauanträge und Baugenehmigungen. Der Kunde soll sich um die schönen Dinge des Bauens kümmern: planen, bemustern, ausstatten. Der Kunde bekommt ein Produkt, für das wir garantieren und das unseren Namen trägt. Verlässlichkeit, Transparenz, Ehrlich-keit, das ist unser Markenkern. Wir lassen den Kunden nie im Stich – das ist auch das Wichtigste, was wir jedem unserer neuen Mitarbeiter mitgeben. Ein Haus bauen – das ist für die meisten unserer Kunden die größte finanzielle Entscheidung ihres Lebens. Mit dieser Ernsthaftigkeit gehen wir jedes Projekt an, so wie das Gustav Viebrock auch immer getan hat.
Wie lässt sich die Rolle von Andreas Viebrock beschreiben? Ist er der Berater der jungen Geschäftsführer?
Dirk Viebrock: Berater wäre ein Begriff, der seinen Aufgaben und Tätigkeiten nicht angemessen wäre. Natürlich berät er uns auch, aber wir leben auch gerne von seinen Ideen und Vorschlägen, die…
Andreas Viebrock: …die er ungefragt einbringt, weil er sich auch ungefragt gerne äußert.
Wie kommunizieren Sie untereinander?
Dirk Viebrock: Wir verständigen uns auf dem kurzen Weg. Wir sehen uns ja regelmäßig, oft beim Mittagessen. Wenn unser Vater mal wieder unterwegs ist, telefonieren wir oder schreiben eine Mail. Das macht ein Familienunternehmen aus. Die Familie lebt im Unternehmen.
Wenn die Geschäftsführer Dirk und Lars eine wichtige Entscheidung fällen müssen, wird die dann vorher mit Andreas Viebrock besprochen?
Lars Viebrock: Klar, wir holen seine Meinung ein, aber das heißt nicht, dass wir ihn um Erlaubnis fragen. Aber es gibt sicher auch Entscheidungen, in die er nicht involviert ist. Wenn wir beispielsweise unser Softwareprogramm erneuern, werden wir ihn sicher nicht fragen, da hat er nicht so viel Ahnung, um das mal vorsichtig zu sagen. Operativ führen die Söhne das Unternehmen. Intern weiß das jeder, nach außen sieht es mitunter anders aus, aber damit können alle gut leben.
Andreas Viebrock, wie hat sich das Verhältnis zu ihren Kindern verändert durch deren Rolle als Chefs?
Andreas Viebrock: Das sind einerseits meine Söhne, andererseits die Chefs in der Sache. Die haben das Sagen und die Verantwortung. Aus meiner Sicht machen die das verdammt gut. Der Laden läuft, das Unternehmen steht auf gesunden Beinen, so gesund wie noch nie. Die Firma war noch nie so stark aufgestellt.
Dirk Viebrock: Ich sehe das als großes Glück, die Möglichkeit zu bekommen, so ein Unternehmen führen zu dürfen. Da empfinden wir beide auch Dankbarkeit. Das gilt natürlich auch für unseren Bruder Jan, der die Gustav Viebrock GmbH führt, das eigentliche Gründungsunternehmen, das jetzt seinen 70. Geburtstag feiert. Er managt die Regie im Geschosswohnungsbau. Insofern sind wir vier Viebrock-Männer, die an einem Strang ziehen.
Was passiert, wenn Sie unterschiedlicher Meinung sind?
Dirk Viebrock: Das bleibt nicht aus, das gehört dazu. Aber wir bemühen uns immer, uns gegenseitig mitzunehmen. Wenn wir unterschiedliche Gedanken haben, dann diskutieren wir das. Letztlich ist es ein Luxus, dass wir auf der Führungsebene keine Entscheidung alleine treffen müssen.
Ist es richtig, dass die Söhne dem Vater so ein Projekt wie die SmartCity überlassen haben und dann vom Ergebnis überrascht wurden?
Dirk Viebrock: Ich war vom Ergebnis definitiv und natürlich positiv überrascht. Dass wir ihm eine Spielwiese überlassen haben, ist aber eine Mär. Der ist irgendwann morgens mit dieser Idee aufgestanden und hat das einfach gemacht.
Lars Viebrock: Aber natürlich nicht alleine. Wir haben ein superstarkes Team in der Entwicklung, auf das wir setzen können, und das dann auch mal wirre Gedanken in die Tat umsetzt.
Aus den wirren Gedanken ist mit der SmartCity ein Vorzeigeprojekt entstanden, das bei der Welt-Klimakonferenz vorgestellt wurde und in Bezug auf Nachhaltigkeit eine Vorreiterrolle hat. Viele Ideen aus der SmartCity fließen in ihre Häuser ein und werden auch in der Branche umgesetzt. Warum ist die Viebrockhaus AG zum Vorreiter der ganzen Branche geworden?
Dirk Viebrock: Weil die Mitbewerber keinen Andreas Viebrock haben. Unser Vater hat vor neuen Dingen keine Angst. Wenn das erste Elektroauto auf den Markt kommt, hat mein Vater das erste Elektroauto, auch weil er schnell die Zeichen der Zeit erkennt. Wenn etwas funktioniert, überträgt er das auch ganz schnell auf unsere Produkte. Dass er innovativ ist, hat er seit dreißig Jahren bewiesen, er hat unsere Häuser schon in den Neunzigerjahren mit Wärmepumpen ausgestattet, die damals kaum einer wollte und die an bestimmten Orten noch verboten waren. Wenn Andreas Viebrock sich eine Idee in den Kopf gesetzt hat, muss schon ganz viel passieren, um die nicht umzusetzen. Mit einem Nein gibt er sich nicht zufrieden. Die SmartCity hat er gegen viele Widerstände so gebaut, wie sie steht – als Beispiel für Nachhaltigkeit und Innovationen am Bau, die in der ganzen Branche für Aufsehen gesorgt haben.
Lars Viebrock: Wobei es seinen Leistungen nicht gerecht werden würden, ihn nur als innovativ zu bezeichnen. Unser Vater ist kompromisslos innovativ.

Text: Wolfgang Stephan · Fotos: Volker Schimkus