Tierischer Wuschelkurs

Große runde Kulleraugen, flauschig-weiches Fell, ein freundliches Lächeln in der Schnute und eine der lustigsten Frisuren im Tierreich: Kein Wunder, dass die niedlichen Alpakas echte Trendtiere sind. Wer ihnen einmal ganz nah sein möchte, muss nicht bis nach Südamerika reisen. Auf dem Hof Waldersdi in Wohlerst gehen Besucher auf Wuschelkurs.

Alpaka- und Lamawanderungen liegen seit ein paar Jahren voll im Trend. Mehrere Höfe in Norddeutschland haben diese Naturausflüge im Programm. Darunter auch der Hof Waldersdi in Wohlerst auf der Stader Geest. Die Touren dauern eine Stunde. So ganz genau weiß das niemand im Vorfeld. Ein Stück weit liegt darin der Reiz des Abenteuers.

Jörg Nischak hat seiner Lebensgefährtin Ellen Yesilyurt die Alpakawanderung zum Geburtstag geschenkt. „Ich finde die einfach soooo süß und kuschelig“, schwärmt Ellen Yesilyurt. Marlen Göbel und Jonas Herrmann wohnen im Nachbarort Ahlerstedt und hatten sich schon seit längerer Zeit eine Alpaka-Runde vorgenommen. Franziska Arp und Christina Straatmann komplettieren die Gruppe. Alle Teilnehmer eint, dass sie an diesem Nachmittag das erste Mal auf Tuchfühlung mit Alpakas gehen.

Bummeliger Spaziergang mit Flauschbegleitung: Jonas Herrmann und Marlen Göbel geleiten Alpaka-Wallach Dobby durch die Feldmark.

Hanna Brinkmann bietet die geführten Wanderungen mit den sanftmütigen Tieren und andere Alpaka-und-Lama-Abenteuer seit September 2021 an. Die Sozialarbeiterin hat im Sommer 2020 ihre ersten Tiere, die Lamas Cusco und Calle sowie die Alpakas Dobby und Sven, gekauft und eine Weiterbildung zur Fachkraft für tiergestützte Intervention und Therapie mit dem Schwerpunkt Lamas und Alpakas absolviert. Sie nimmt sich viel Zeit, ihre Tiere kennenzulernen und auszubilden, absolviert selbst weitere Kurse, um mit den Lamas und Alpakas gewerblich arbeiten zu dürfen. Das Veterinäramt nimmt die entsprechenden Prüfungen in Sachkunde, Umgang und Haltung ab. Ob Wanderungen, Tipi-Abende, Kindergeburtstage oder Team-Events für Firmen, Schulklassen und Vereine: Das Angebot ist vielseitig und findet viele Interessenten.

Reine Männergesellschaft auf der Weide

Die Lamas Cusco, Calle, Otto und Kurt sowie die Alpakas Dobby, Sven, Luke und Siggi grasen auf der Weide, als die Wandergruppe eintrudelt. Eine reine Männergesellschaft, an die Hanna Brinkmann ihr Herz verloren hat. Bevor es zu Verwechslungen kommen kann, klärt sie die Besucher auch schon über die Unterschiede von Lamas und Alpakas auf. Lamas sind größer und deutlich schwerer als Alpakas; rund 160 Kilogramm im Vergleich zu 60 bis 80 Kilogramm. Die langen Lama-Ohren kommen Bananenförmig daher, und Lamas haben keinen lustigen Wollwuschel auf dem Kopf.

Ursprünglich stammen Lamas und Alpakas aus Südamerika und gehören zur Familie der Kamele. Die sogenannten Neuweltkameliden sind im Gegensatz zu Trampeltieren und Dromedaren, die vor allem in Asien und Afrika leben, aber kleiner und höckerlos. Sie sind klimatisch perfekt an die enormen Temperaturschwankungen in den Höhenlagen der Anden angepasst. Ihre Wolle schützt die Tiere vor Kälte, aber auch vor großer Hitze. Alpakas und Lamas sind soziale Tiere, die ausschließlich in Herden leben. Und: beide spucken. Untereinander dient es ihrer Kommunikation. „Ich habe ihnen aber abgewöhnt, in Menschennähe zu spucken“, gibt Hanna Brinkmann Entwarnung.

Vor dem Start bekommen die Gäste eine Einweisung in den Umgang mit den sensiblen Tieren. Ein Holzlama auf der Koppel dient als Schulungsobjekt. Die wichtigsten Regeln: kein ruckartiges Reißen an der Leine, keine wilden Bewegungen, keine schrillen Geräusche. „Es ist wichtig, dass Ihr sehr behutsam mit den Tieren umgeht“, sagt Hanna Brinkmann. „Sie sind sehr zutraulich, aber es bleiben Fluchttiere.“

Die Leine soll locker in beiden Händen liegen. Jeweils zwei Menschen führen ein Tier. Oder besser: überlassen ihrem Tier die Führung. Schnell zeigt sich nämlich, dass die ihren ganz eigenen Kopf haben.

Alle zusammen zur Pipi-Pause

Hanna Brinkmann legt die Halfter an und schickt ihre tierische Bande auf die Toilette. Wie eine Mutter, die ihre Kinder anmahnt: „Geht alle nochmal aufs Klo, und dann starten wir.“ Und tatsächlich: Calle setzt sich in Gang, die Herde folgt. Alpakas seien sehr reinliche Tiere, die ihr Geschäft immer an derselben Stelle verrichten, erklärt Hanna Brinkmann. Und sie machen alles gemeinsam – auch pinkeln. Die hinteren X-Beine ein bisschen auseinander, den flauschigen Popo abgesenkt und los. Als alle fertig sind, legt Hanna Brinkmann den ersten drei Tieren jeweils zwei Leinen an. „Heute machen wir zwei kleine Runden, sodass ihr alle einmal mit einem Alpaka und einmal mit einem Lama gehen könnt“, sagt sie.

Cusco soll die Gruppe anführen. Am Zügel von Franziska Arp und Christina Straatman verlässt das Lama als Erster die Koppel. „Bleibt auf Schulterhöhe neben ihm“, ruft Hanna Brinkmann. Marlen Göbel und Jonas Herrmann folgen mit Alpaka-Wallach Dobby. Ellen Yesilyurt und Alpaka Luke schauen einander verliebt in die Augen. Da entwischt Siggi durch das Gatter. „Siggilein, komm bitte“, lockt die Besitzerin mit sanfter Stimme. Vergeblich. Siggi lässt sich nicht zur Rückkehr bewegen. Also müssen alle wieder rein. Der zweite Anlauf glückt. Im Gänsemarsch geht es in die Feldmark. Dobby bleibt eng an Luke. Den Tieren ist es wichtig, dass sie ganz nah hintereinander gehen können. „Das gibt ihnen Sicherheit“, sagt Hanna Brinkmann.

Seit Herbst 2021 bietet Hanna Brinkmann (ganz rechts) die geführten Wanderungen und  andere Events mit ihren Alpakas und Lamas an.

„Ich muss mich hart zusammenreißen, um Dobby nicht zu streicheln“, sagt Marlen Göbel. Darin liegt wohl für alle Teilnehmer die größte Herausforderung. Streicheln ist vorerst verboten. Ein Alpaka ist kein Kuscheltier. Die scheuen Tiere halten Distanz, auch zu ihren Artgenossen. Direkten Körperkontakt gibt es in der Herde nur beim Sex oder im Streit um die Rangordnung in der Herde. Berührung bedeutet für Alpakas Stress. Darum sollen sich die Tiere zunächst in aller Ruhe an ihre Begleiter gewöhnen. Nebeneinander herlaufen, Vertrauen aufbauen. Gekuschelt werden darf dann später.

Alpakas sind keine Schmusetiere

Eine Wanderung ist die Tour tatsächlich eher nicht. Vielmehr ein bummeliger Spaziergang mit chilliger Flauschbegleitung. Höher? Schneller? Weiter? Nicht mit einem Alpaka an der Leine. Alpakas sind von Natur aus keine großen Läufer und eher trödelig unterwegs. Gemütlich zuckelt die Gruppe durch die Natur. Entschleunigung ist das Stichwort. Die Tiere summen und brummen vor sich hin. Mit diesen leicht quietschigen Lauten versichern sie einander, dass alles in Ordnung ist. „Die strahlen richtig viel Ruhe aus“, sagt Jörg Nischak. „Ich finde es schön“, seufzt am zweiten Luke-Zügel Ellen Yesilyurt. Hinter ihnen planen Jonas Herrmann und Marlen Göbel bereits, häufiger nach Wohlerst zu kommen, um Dobby zu besuchen.

„Mich interessiert, ob wir die Tiere therapeutisch einsetzen könnten“, sagt Franziska Arp, die in ihrem heilpädagogischen Berufsalltag bereits auf Hippotherapie (therapeutisches Reiten) setzt. Mit ihrem friedlichen Charakter könnten sich Alpakas gut zu Therapiezwecken eignen und womöglich eine beruhigende Wirkung auf Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung haben. „Aber sie sind schon deutlich sensibler als Pferde, da ist viel Achtsamkeit gefragt“, sagt Franziska Arp.

Lamas und Alpakas gelten in Deutschland als landwirtschaftliche Nutztiere. Schätzungen zufolge leben hier rund 25.000 Alpakas, eine valide Zahl gibt es trotz Registrierungspflicht für Kameliden nicht. Viele Tiere sind nicht beim Veterinäramt gemeldet. Einmal im Jahr werden sie geschoren. Die gut isolierende und feuchtigkeitsabweisende Alpaka-Wolle ist insbesondere gut für Allergiker geeignet.

Obwohl ihre Alpaka- und Lama-Abenteuer gut gebucht werden, kann Hanna Brinkmann nicht davon leben. Ihren Hauptjob verrichtet sie auf dem landwirtschaftlichen Hof der Eltern in Wohlerst, außerdem arbeitet sie als Sozialarbeiterin auf Honorarbasis. Für Alpaka-Abenteuer bleibt an den Wochenenden Zeit. Gerade hat sie ihr Angebot mit einer Kooperation mit dem ABC Bildungs- und Tagungszentrum in Hüll noch einmal erweitert.

Selfies mit Alpaka

Nach einer guten halben Stunde biegt die Wandergruppe auf den Weg in Richtung Stall ein. „Komm, Schatzi, wir müssen hier entlang“, ruft Marlen Göbel. „Ja, ich komme ja“, antwortet Jonas Herrmann. „Du doch nicht! Ich meinte Dobby.“

Im Stall dürfen die Tiere endlich gestreichelt werden. Jedoch nicht am Kopf und nicht an den Beinen. Seitlich am langen Hals entlang, das sei die beste Stelle für Streicheleinheiten, sagt Hanna Brinkmann. Schnell noch ein paar Erinnerungsselfies mit den flauschigen Gesellen, dann geht es mit Kurt, Calle und Siggi auf die zweite Runde. „Ich merke richtig, wie ich runterfahre“, sagt Christina Straatmann. „Das werde ich jetzt öfter machen.“

Einige Tiere wollen immer vorn laufen, andere nie. Die Reihenfolge spielt in der Herde eine große Rolle. Wenn ein Tier stehenbleibt, stoppen auch die anderen. Trennen will sich niemand von seinen Genossen. Calle tritt auf keinen Fall in Wasserpfützen. Und Siggi muss mal, das verrät sein Getrippel.

Ein Spaziergang mit den Tieren ist nicht besonders anstrengend und verlangt keine umfangreiche Gebrauchsanleitung. Ob es nun ihr niedliches Aussehen ist, die witzigen Geräusche oder die neugierige Art, wie Lamas und Alpakas ihre Umwelt erkunden, in jedem Fall sorgen die Tiere für entspannte Fröhlichkeit bei ihren Begleitern. Als schließlich alle Tiere im Stall sind, kehrt die Gruppe ins Tipi ein. Bei Kaltgetränk und Lagerfeuer filzen sich die Gäste aus Alpaka-Wolle eine Erinnerung. Gebraucht wird sie nicht. Alle wollen schon ganz bald wiederkommen.

www.hof-waldersdi.de

Text: Leonie Rathje ·  Fotos: Wolfgang Stephan