Surfen in der Stadt

Altländer Unternehmer planen Surfpark in Stade

Perfekte Wellen zu jeder Zeit, entspannte Urlaubsatmosphäre am Strand – im Süden Stades könnte schon bald ein Paradies für Surfer und alle, die es werden wollen, entstehen. Die Altländer Brüder Jan und Dirk Podbielski planen einen der ersten Surfparks Deutschlands. Umweltschützer wollen das Projekt verhindern. 

Text: Leonie Ratje · Foto: URBNSURF in Melbourne / Stu Gibson

W ann immer der Surfer Jan Podbielski von den Küsten dieser Welt in die Heimat an der Elbe zurückkehrt, vermisst er das Wellenreiten. Mit seinem Bruder Dirk plant er nun den ersten Surfpark Norddeutschlands. In der Mitte eines zweigeteilten Beckens sollen elektrisch angetriebene Paddel bis zu 500 Wellen in der Stunde erzeugen, die sich bis zu zwei Meter hoch auftürmen und variabel einstellen lassen. Etwa 90 Surfer könnten sich im Wasser gleichzeitig aufs Brett schwingen. Podbielskis sind sicher, dass der Surfpark sowohl erfahrene Surfer als auch Menschen, die das Wellenreiten testen wollen, begeistern werde. Sie rechnen mit 200000 Gästen im Jahr (März bis Dezember), von denen etwa die Hälfte surfen wird.

Rückblick. Ende des Jahres 2015 einigen sich bei der UN-Klimakonferenz in Paris 197 Staaten auf ein neues Klimaschutzabkommen. Die Podbielskis suchen derweil nach einer Fläche. Sie studieren Raumordnungspläne, sichten Karten, prüfen Verkehrsanbindungen, checken Bodendaten. „Wir wollen kein Klimamonster schaffen und den Bau einer teuren Betonwanne, weil der Boden nicht fest genug ist, vermeiden“, sagt Jan Podbielski. Drei Standorte im Hamburger Umland kommen in die engere Auswahl. Wegen der Nähe zur S-Bahn und dem Gefälle, das den Bodenaushub reduziert, mausert sich eine Stader Fläche zum Favoriten. Von Hamburg aus wären Gäste binnen einer Stunde dort. Die Eigentümerin der Fläche, die Raisa, ist bereit, diese zu verkaufen. Und: Die Stadt signalisiert von Anfang an großes Interesse. 

„Ohne die Unterstützung der Politik kannst du ein solches Projekt nicht umsetzen“

Jan Podbielski

Im Sommer 2018 beschließt der Stader Rat einstimmig, den erforderlichen Bebauungsplan aufzustellen. Der Surfpark sei eine hervorragende Ergänzung des maritimen Tourismus-Angebots, heißt es aus dem Rathaus. „Alle waren angetan, weil mit dem Projekt die Hoffnung einhergeht, dass Stade als Tourismus-Standort gestärkt wird“, erinnert sich Stadtbaurat Lars Kolk. Unterdessen entscheidet ein Mädchen in Stockholm, vor dem schwedischen Parlament für Klimaschutz zu demonstrieren – die Geburtsstunde von „Fridays for Future“.

Die Surfpark-Fläche an der Kreisstraße 30 ist im regionalen Raumordnungsprogramm als Vorranggebiet für Industrieansiedlungen und verarbeitendes Gewerbe vorgesehen. Vor Jahren sollte sich hier BMW mit einem Werk niederlassen, doch daraus wurde nichts. Stattdessen bewirtschaftete weiter die landwirtschaftliche Genossenschaft die Flächen.  

Die Podbielskis entschieden, in die Projektentwicklung zu investieren. Die Brüder haben bislang Offshore-Windparks geplant und gebaut; Jan Podbielski als promovierter Physiker, Dirk ist Betriebswirt. Ihre Projektgesellschaft finanziert die Bauleitplanung für die Surfparkfläche, die Projektentwicklung Stade GmbH und Co. KG plant nebenan ein vier Hektar großes Gewerbegebiet – das erste in der Hansestadt ohne Erdgasanschluss. „Wir wollen den Beweis antreten, dass ein großes touristisches Infrastrukturprojekt in Verbindung mit einem Gewerbegebiet mit ausschließlich regenerativen Energien und ökologisch nachhaltig umgesetzt werden kann“, sagt Lars Kolk. 

„In Sachen ökologische Nachhaltigkeit haben wir hohe Ansprüche an uns selbst“, sagt Jan Podbielski. Strom und Wärme würden zu 100 Prozent aus regenerativen Quellen bezogen, unterstützt durch eigene Photovoltaikanlagen. Dachbepflanzung und viele Grünflächen sind vorgesehen. Ein Shuttle soll Gäste von der Bahn abholen. Die 25 Millionen Liter Wasser im Becken würden in einem geschlossenen Kreislaufsystem gereinigt. „Die Verdunstung im Sommer fangen wir größtenteils durch Regenwasser auf.“ 

Bei der ersten Beteiligung der Öffentlichkeit gibt es fast durchweg positive Reaktionen auf das Leuchtturmprojekt. Es ist präsent in der regionalen Presse; das Interesse von Investoren, Partnerunternehmen und Surfern wächst. Surfschule, Gastronomie, Shops, Beachvolleyballfeld und Spielplatz sowie Wohnmobilstellflächen runden das 20-Millionen-Projekt ab. 75 Vollzeit-Arbeitsplätze sollen entstehen. 

Als die Stadt beschließt, die Pläne zur Änderung des Flächennutzungsplans und des Bebauungsplans Anfang 2022 öffentlich auszulegen, regt sich Widerstand. Der Surfpark passe nicht in die Zeit, sagen Kritiker, insbesondere, da sich die Stadt verpflichtet habe, CO2-Ausstoß und Flächenverbrauch zu reduzieren. Es sei Wahnsinn, eine derart große Fläche zu versiegeln. Überdies gebe es Zweifel an den Zahlen zum Energie- und Wasserverbrauch des Surfparks. 

Im November 2021 gründet sich die Bürgerinitiative „Surfpark – nein danke“. Sie will das Vorhaben stoppen. „Wir sagen an dieser Stelle deutlich: Jetzt reicht’s!“, sagt BI-Initiator Dr. Bernd Hohendorff. „Wenn wir nicht bei einem solchen Projekt, das symbolisch steht für unsere Spaßgesellschaft, anfangen, wo dann?“ Jede Kilowattstunde Strom und jeder Liter Wasser, die der Surfpark verbrauche, sei Verschwendung. „Der Surfpark ist eine Provokation für alle, die begriffen haben, wo es mit der Klimakatastrophe hingeht“, betont Horst Reinecke, von der BI.

300 Bürger haben eine oder mehrere Stellungnahmen zu den Bauleitplänen „Gewerbe- und Surfpark“ abgegeben. Davon sind ca. 17 Prozent kritisch, 83 Prozent äußern sich positiv. Entscheidend sei die Qualität der Stellungnahmen und nicht die Quantität, betont Hohendorff. „Unabhängig davon, ob es hitzige politische und gesellschaftliche Diskussionen gibt oder sich niemand regt, wägt die Verwaltung alle Stellungnahmen sorgsam ab“, sagt Lars Kolk. „Das ist ein gesetzlich vorgegebener und normierter Ablauf. Das ist hier nichts anderes als bei jedem anderen Bebauungsplan auch.“

Perfekte Wellen in englischer Landschaft. Ein solcher Pool wie hier in Bristol soll bald auch in Stade Surfer begeistern. Foto: The Wave Bristol

Die BI kritisiert, dass viele Fragen nicht ausreichend beantwortet worden seien. „Es gibt Ungereimtheiten, die wir geklärt wissen wollen“, sagt Hohendorff. Beispielsweise sei unklar, wie der Projektierer die zu erwartende Menge an verdunstetem Wasser ausgleichen möchte. Die Stadt wäge Fragen des Klima-, Arten- und Ressourcenschutzes nicht ausreichend gegen die Interessen der Projektierer ab. Bereits mehr als 2000 Unterschriften hat die Bürgerinitiative gegen den Surfpark gesammelt. Die Liste soll dem Rat vor der Abstimmung über den Bebauungsplan übergeben werden. „Der Surfpark ist so außergewöhnlich spektakulär, dass die Frage, ob wir dieses Disneyland brauchen, gestattet sein muss. Wir müssen darüber nachdenken, ob wir uns alles leisten wollen, was wir uns leisten können.“ Ein solches Vorhaben müsse zudem von der Stadt viel besser öffentlich präsentiert werden. „Dass kaum jemand mitbekommt, was da geplant wird, zeigt, dass es ein Demokratiedefizit gibt“, sagt Hohendorff.

Jan Podbielski ist sicher, gute Antworten auf die Kritik zu haben, zumal seine Planung in vielen Punkten über die ökologischen Vorgaben hinausgehe. „Natürlich wollen wir Geld verdienen. Und ja, wir verbrauchen Ressourcen und Energie. Aber das machen wir in einem ganz anderen Ausmaß als beispielsweise ein konventioneller Produktionsbetrieb.“

Noch vor der Sommerpause soll der Rat final über den Bebauungsplan entscheiden. 

Der Kommentar:

Gehört verboten, was Spaß macht?

von Leonie Ratje

Ein Leuchtturmprojekt für die Region soll der Stader Surfpark sein. Mir ist der Surfpark egal. Wenn er kommt, fahre ich hin und lerne Surfen. Wenn nicht, träume ich weiter vom Besuch einer Surfschule an der portugiesischen Algarve-Küste. Da müsste ich dann mit dem Flugzeug hin, aber das ist ein anderes Thema.

Das Bewusstsein dafür, dass Klimaschutz alternativlos für alle Lebensformen unserer Erde ist, wächst. Das ist wichtig und gut. Die Gegner des Surfparks sagen, er passe nicht in die Zeit. Er sei angesichts des Flächen-, Wasser- und Energieverbrauchs überflüssiger Freizeitspaß für wenige und nicht zu vereinbaren mit Klimaschutzzielen. Ihr Engagement steht für ein Thema, das Aufmerksamkeit verdient. Sich in einer Art Stellvertreterkampf ausgerechnet am Surfpark abzuarbeiten, ist unfair. 

Vor langer Zeit hat der Landkreis Stade entschieden, dass das Gebiet, auf dem der Surfpark entstehen soll, Vorranggebiet für Industrie- und Gewerbeansiedlungen wird. So ist es in der regionalen Raumordnung festgeschrieben. Gewerbeansiedlungen generieren Wohlstand. Sie bedeuten Arbeitsplätze und Steuereinnahmen. Stades Stadtbaurat sagt, dass die Fläche auch ohne den Surfpark zeitnah entwickelt worden wäre, weil es eine große Nachfrage nach Gewerbe- und Dienstleistungsgrundstücken gebe. 

Meist läuft das so: Eine Stadt plant ein Gewerbegebiet, legt Rahmenbedingungen fest und vermarktet die Flächen. Dann kommt beispielsweise ein Immobilienentwickler und errichtet beispielsweise ein Lager für einen Versandriesen. Das können wir begrüßen oder blöd finden. Es ist geltendes Recht. Wer mit seinem Bauantrag den Anforderungen des Bebauungsplans entspricht, darf bauen. Für den Profit des Unternehmens. Für den Gewinn der Stadt. Für den (Konsum-)Spaß. Graue Hallen auf grauen Flächen. 

Mit dem Surfpark und dem benachbarten Gewerbegebiet schlägt die Stadt in Sachen ökologischer Nachhaltigkeit und Energieeffizienz einen neuen Weg ein: kein Anschluss ans Erdgasnetz, 100 Prozent erneuerbare Energien, weniger Bodenversiegelung, mehr Grün. Ein erster Schritt, um Wachstum mit Klimazielen in Einklang zu bringen. Die Pläne zeigen, dass die Realisierung des Surfparks einen nachhaltigen Mehrwert für künftige Gewerbeansiedlungen mit sich bringen kann. 

Es gehört zum Wesen der Wirtschaft, dass sie Energie verbraucht, um Gewinn zu erzielen. Ob in der Produktion, im Handwerk oder in der Gastronomie: Wir setzen Ressourcen ein, um Geld zu verdienen. Es gibt kein Verbot, künstliche Wellen zu erzeugen. Und wer es sich leisten will und kann, für sein Gewerbe ausschließlich Ökoenergie einzukaufen, handelt nicht nur verantwortungsbewusst, sondern hat offenbar ein gutes Geschäftsmodell.

1500 Megawattstunden Energie soll der Surfpark laut Podbielskis Berechnungen im Jahr verbrauchen. Die Gegner halten Zahlen eines geplanten Surfparks in Krefeld dagegen und gehen von mehr als der doppelten Menge aus. Genau wissen kann das heute niemand. Am Ende entscheiden die Besucher: Je mehr Surfer kommen, je mehr Wellen produziert werden, desto höher der Verbrauch. Zum Vergleich: Ein Supermarkt verbraucht 845, eine Bäckerei im Schnitt 3292 Megawattstunden. Betriebe des verarbeitenden Gewerbes verbrauchen im Jahr durchschnittlich mehr als 45000 Megawattstunden – mehr als das Zehnfache des Surfparks.  

Aus Sicht der Kritiker ist für den Betrieb eines Surfparks jede einzelne Kilowattstunde Strom und jeder Liter Wasser zu viel. Nur: Wer darf Energie verbrauchen? Welche Vorhaben verdienen, dass Bodenfläche investiert wird? Wer darf Ressourcen zu welchem Zweck einsetzen? Wer legt fest, was wir als Gesellschaft brauchen? Klar ist: In Sachen Surfpark hat der Rat der Hansestadt Stade die Planungshoheit. Er entscheidet über den Bebauungsplan. Eine Antwort auf die Frage, wer kommt, wenn der Surfpark nicht kommt, gibt es nicht. Doch ein Automobilwerk? Ein Kunststoffproduzent, ein Maschinenbauer oder eine Textilfabrik? 

Mit dem „chemcoastpark Stade“ plant die Stadt ein weiteres Gewerbegebiet. 16 Hektar entlang des Obstmarschenweges, die bislang landwirtschaftlich genutzt wurden. „Vorwiegend für Gewerbe, die im Zusammenhang stehen mit der chemischen Industrie“, sagt Stadtbaurat Lars Kolk. Die Energiebilanz Stades weist den Sektor Industrie als größten Wärme- und Stromverbraucher aus. Niemand ruft hier, dass Schluss sein muss mit dem Wachstum. Hat die Versiegelung einer Fläche, auf der Spaß produziert wird, womöglich schlimmere Auswirkungen auf die Umwelt? 

Während ich schreibe, trinke ich Kaffee. Für eine Tasse habe ich 140 Liter Wasser verbraucht – zumindest, wenn ich die Pflege des Kaffeebaums, die Ernte und den Transport in den Supermarkt mit berechne. Meine Jeans hinterlässt einen virtuellen Wasserfußabdruck von 8000 Litern. Den Burger am Abend verkneife ich mir. 180 Gramm Rindfleisch bedeuten einen Verbrauch von fast 2800 Litern virtuellem Wasser – davon könnte ich vier Wochen lang täglich duschen. Oder ein paar Wellen im Surfpark reiten.