Rigo Gooßen

Rigo Gooßen:

Die Liebe seines Lebens heißt D/A

„Wir haben erbärmlich gespielt.“ Erbärmlich.

Ein Wort, das im Fußball seine Wirkung nicht verfehlt, schon gar nicht, wenn es aus dem Mund des Präsidenten kommt. Der ist bekannt für klare Worte, vor allem, wenn er in den rotblauen Klamotten steckt. Darin erinnert er wenig an den Unternehmer Rigo Gooßen, der als Steuerberater und Investor an der Entwicklung im Landkreis nicht unerheblich beteiligt ist. Aber eben auch als Macher des Fußballclubs D/A. Der Club ist sein Leben. Und wenn da etwas in Unordnung gerät, teilt er aus. Nach innen und nach außen. 

Es war ein trüber Märzabend, als D/A gegen den SV Rehden mit 0:2 verloren hatte, nach einem zuvor glanzvollen Auswärtsauftritt in Hannover. Beim 3:0-Sieg war der Präsident auf Wolke sieben, eine Woche später schlicht deprimiert. Er hat sich noch im Stadion bei den Zuschauern für den Auftritt entschuldigt. In seiner klaren Sprache, ruhig, aber deutlich. Und so, dass jeder erkennen konnte, wie der Präsident leidet. 

Seit vier Jahrzehnten steht Rigo Gooßen an der Spitze des Fußball-Regionalligisten Spielvereinigung Drochtersen/Assel und ein Ende ist noch lange nicht in Sicht. Bei seiner Wahl 1982 war er gerade 22 Jahre alt. Erst fünf Jahre zuvor, im Jahr 1977, war die SV Drochtersen/Assel aus den Fußballsparten der Vereinigten Turnvereine (VTV) Assel und dem Turnverein (TV) Germania Drochtersen gebildet worden. Assel war gerade in die Bezirksklasse Stade Mitte aufgestiegen, während Drochtersen in den Niederungen der 2. Kreisklasse dümpelte. 

Rigo Gooßen hat im Gegensatz zu seinen Söhnen Thilo und Jasper nie Fußball gespielt. Er wurde 1982 Vorsitzender, weil die wahlberechtigten Jugendlichen geschlossen hinter ihm standen. Bis dahin war er Betreuer, Jugendobmann und Schiedsrichter.

Fast eine Familienidylle auf dem Rasen: Rigo Gooßen herzt seinen Sohn Jasper.

Unter dem neuen Chef steigt D/A zweimal auf, spielt 1987 erstmals in der Bezirksoberliga. Rückschläge blieben nicht aus. 1997 ging es zurück in die Bezirksliga, nach vier Jahren war die Bezirksoberliga wieder erreicht.  Doch seine Ziele waren höher ausgerichtet. Rigo Gooßen hatte von Anfang an die Vision, D/A zur besten Mannschaft im Kreis zu machen. Vor allem erfolgreicher zu werden als die damaligen Vorzeigevereine in Stade und Buxtehude. Ein Dorfverein als Vorzeigeclub. So etwas kann schon belächelt werden. Mittlerweile ist das Lächeln längst verstummt. 

Bereits 2005 spielt D/A in der noch zweigeteilten Niedersachsenliga. In kluger Vorausschau entsteht eine Tribüne für 500 Sitzplätze. 

Als „kleiner Betriebsunfall“ wird der Abstieg aus der inzwischen eingleisigen Oberliga Niedersachsen in der Saison 2010/11 gewertet. Die sofortige Rückkehr ist ein absolutes Muss, mittelfristig aber nur eine Zwischenstation. Personell wird aufgerüstet, ehe der Verein 2015 am Ziel seiner Wünsche ist. Als Niedersachsenmeister steigt D/A in die Regionalliga Nord auf und ist seitdem mit zumeist vorderen Platzierungen zu einer festen Größe in der höchsten norddeutschen Spielklasse geworden. Dass sein ehemaliger Trainer Enrico Maaßen, den er einst als Spieler verpflichtet hatte, heute den FC Augsburg in der Bundesliga trainiert, ist mehr als eine Randnotiz. Junge Trainer – die in der Branche völlig unbekannt sind – zu verpflichten, ist ein Markenzeichen des Präsidenten. 

Gooßen ist auch bei seinem Spielkader stets seinem Grundsatz treu geblieben, nicht nur namhafte Verstärkungen von außen zu verpflichten. Dem Macher geht es um den Wiedererkennungswert. Sein Credo: Mit eigenen Nachwuchsspielern und Talenten aus der Region eine schlagkräftige Mannschaft zu formen. „Ich führe meinen Verein mit viel Herzblut und werde niemals zulassen, dass irgendjemand daran kratzen wird“, sagt Gooßen. Auch das erinnert an Ulli Hoeneß in München. 

In den zurückliegenden 40 Jahren hat Rigo Gooßen höchstens eine Handvoll Pflichtspiele seiner Mannschaft verpasst. Als sein Flieger einmal verspätet von den Kanaren in Hamburg ankommt, wird das Spiel nach Rücksprache mit der Spielinstanz kurzerhand um eine Stunde nach hinten verlegt. Auf der Tribüne im Kehdinger Stadion sitzt er immer in Fußball-Klamotten, nie im Anzug. Bei Auswärtsspielen ist sein legendärer Klappstuhl – ein Geschenk der Mitarbeiter aus seiner Stader Steuerberaterkanzlei – seit 20 Jahren immer mit dabei.  Aufschrift „D/A-Boss“. 

Gooßen ist der Verein und der Verein ist Gooßen. „Ich teile manchmal hart aus und muss auch einstecken“, gibt er zu. Bei der von der Stader Staatsanwalt mit viel Brimborium behafteten Anklage wegen einer vermeintlichen Unkorrektheit beim Bau seines Hotel-Imperiums auf Krautsand, hatte er drei Jahre lang fast demütig die Berichterstattung ertragen, ohne mit dem Reporter zu brechen, den er allerdings offen einmal so vorgestellt hat: „Mein Sargnagel.“  Am Ende fiel die Anklage wie ein Kartenhaus zusammen. 

Krautsand ist seine zweite Liebe. Mit Investoren hat er die Halbinsel aus dem Dornröschenschlaf wachgeküsst.  Im Sommer wird erstmals das renommierte Internationale IMF-Musikfestival auf Krautsand Station machen. Eingefädelt von Rigo Gooßen. Wobei Gooßen dann eher am Rande stehen wird. Er muss sich nicht in den Mittelpunkt stellen, weil alle ohnehin wissen, dass er der Mittelpunkt ist. 

Freilich: Dass der Chef auch bei den Spielen der unterklassigen D/A-Mannschaften und bei den Jugendspielen gerne dabei ist, gehört zur Philosophie des Machers Gooßen. D/A stellt sechs Herren-Mannschaften für den Spielbetrieb – eine absolute Ausnahme in der niedersächsischen Fußball-Vereinslandschaft. Die große Fußballfamilie D/A, das ist sein Leben. In Kehdingen.  Das ist Programm.

Natürlich hätte D/A im Sommer 2018 das DFB-Pokalspiel ans Millerntor in Hamburg verlegen können, das mit seinen 29.000 Besuchern ausverkauft gewesen wäre. Viel Geld für D/A. Doch das kam für Gooßen überhaupt nicht in Frage. Und so spielte D/A an diesem 18. August 2018 gegen die Bayern im Kehdinger Stadion, live und in Farbe im TV, aber halt nur vor 8.000 Zuschauern.  Dass die Kehdinger nur 0:1 verloren haben, hat ihnen in der ganzen Republik Achtung verschafft. Seither ist der Club eine Marke im deutschen Fußball. Schon zwei Jahre zuvor ging es im Pokal gegen Borussia Mönchengladbach (0:1) und 2019 gegen Schalke 04 (0:5) jeweils im rappelvollen und mit Zusatztribünen erweiterten Kehdinger Stadion. „Das waren wir unseren treuen Fans einfach schuldig“, sagt Gooßen, der mit seinem Vorstand stets weiter an der Verbesserung der Infrastruktur arbeitet. In der Planung befindet sich aktuell der Neubau des Vereinshauses, gleichzeitig verbunden mit einer Geschäftsstelle. 

Wohin der Weg gehen wird? Die 3. Liga ist immer wieder mal ein Thema, das von außen kommt. „So etwas ist nicht planbar, sollten wir das aber sportlich irgendwann schaffen, nehmen wir die Herausforderung natürlich an und werden die Lizenz beantragen“, sagt der Chef, was dann aber den Einstieg in eine neue Welt des Fußballs bedeuten würde. Dritte Liga ist Profi-Fußball. 

Schwierig zu bewerkstelligen, aber mit einem Visionär an der Spitze nicht unvorstellbar.

Deichlust

Text: Dieter Albrecht, Wolfgang Stephan · Fotos: Jan-Iso Jürgens