Unser täglich Brot gib uns heute
Was sollte einer werden, der nach eigener Erinnerung in einer Brötchenkiste groß geworden ist? Natürlich Bäcker.
So steht es offensichtlich in seiner DNA – behaftet mit der Familientradition, die im Hause Dietz so gepflegt wird, dass bei der Familie Dietz die in der Branche weitverbreiteten Zukunftssorgen nie aufgekommen sind. Die Kinder Annelen und Jochen werden den Betrieb übernehmen. Irgendwann in naher Zukunft. Wobei sich Ralf Dietz gar nicht so sicher ist, ob er noch wirklich das Sagen hat. Noch glaubt er, dass alle es glauben. „Was soll ich sonst machen?“
Ralf Dietz – ein Begriff in der Region. Für ihn ist wichtig, dass er weiter arbeiten kann. In welcher Konstellation auch immer. Hauptsache, er darf das machen, was er immer gemacht hat: Backen. Aufhören? Wer Ralf Dietz diese Frage stellt, bekommt die Gegenfrage, die sein Leben treffend beschreibt: „Warum, meine Arbeit hat mir immer Spaß gebracht.“
„Du musst nicht Bäcker lernen“, hatte ihm der Vater einst gesagt. Vermutlich in der Backstube, denn die war schon immer der Mittelpunkt im Leben der Dietz-Familie in Hedendorf. Schon als kleiner Steppke tummelte er sich täglich zwischen Laden und Backstube. Mehl, Wasser, Salz, Sauerteig und Hefe – damit ist er aufgewachsen. Die Bäckerei wurde im Jahre 1900 von Gesche und Konrad Dietz in Hedendorf gegründet. Eine Backstube in einem großen Wohn- und Geschäftshaus. Verkauft wurden die Waren wie seinerzeit üblich von der hauseigenen Kutsche.
„Ich hatte eine glückliche Jugend“, sagt Ralf Dietz – eine Jugend mit allen Vorteilen des dörflichen Lebens: Viele Discos, ein Fußballplatz, die Feuerwehr und eine Gemeinschaft, in der sich die meisten kennen. Wer Dietz heißt, muss sich in Hedendorf nicht vorstellen.
Dass er Bäcker werden wird, habe nie infrage gestanden. Einerseits, weil er den Vater Adolf, der den Betrieb 1964 in der dritten Generation übernommen hatte, als Vorbild hatte, andererseits, weil er das Handwerk schon immer als goldenen Boden sah. Jedenfalls für die Fleißigen. Grundschule Hedendorf, Orientierungsstufe Buxtehude, Gymnasium Buxtehude. So steht es im Lebenslauf. Wobei er gerne zum Gymnasium gegangen sei, aber schnell spürte, dass die drei Jahre zum Abitur besser genutzt werden können. Er brauchte das, was die Bäcker noch heute im Blut haben müssen: „Wer Bäcker werden will, muss nachts arbeiten.“ Es traf sich gut, dass der junge Ralf zur Gattung der Frühaufsteher gehörte und heute noch gehört. „Aufstehen war nie mein Problem“, sagt der Mann, der gefühlt schon sein ganzes Leben um Viertel vor drei Uhr meist ohne Wecker und nie mit Problemen aus dem Bett kommt. Ein schneller Kaffee und runter in die gute (Back-)Stube.
Weil es nach der Branchenerkenntnis nie eine gute Idee sei, im elterlichen Betrieb und vor allem „vom Alten“ zu lernen, folgte erst die Bäckerlehre in Stade und dann die Konditorlehre in Hamburg. Danach standen Bundeswehr, vier Wanderjahre als Geselle und die Meisterschule in Hannover auf der Agenda. Als er dann eine Zusage auf der MS Europa hatte, die er nutzte, war dann Schluss mit lustig. „Jetzt wird es Zeit, dass du nach Hause kommst“, hatte der Vater dem damals 25-Jährigen unmissverständlich zu verstehen gegeben.
„Lieber ein kleiner Herr als ein großer Knecht“
Dem Ruf sei er gerne gefolgt, sagt Ralf Dietz, der mittlerweile auch eine wichtige Lebenserfahrung gemacht hatte: „Lieber ein kleiner Herr als ein großer Knecht.“ Kaum zu Hause, absolvierte er berufsbegleitend im Abendstudium den Betriebswirt des Handwerks. Die Doppelbelastung erforderte viel Disziplin. „Und lieber Hedendorf als eine große Stadt“, sagt der Dorfmensch Ralf, der seit 55 Jahren alle großen Fußball-Turniere im Kreis seiner Kumpels und Bekannten mit Kind und Kegel in einer Lagerhalle in Hedendorf erlebt. Und der schon vor vierzig Jahren mit zehn ganz eng befreundeten Kerlen einen Herrenclub gründete, der sich viermal im Jahr trifft und alle zwei Jahre eine Ausfahrt macht. Traditionell müssen alle beim Treffen um 23 Uhr auf die Waage. Das schreibe das Protokoll vor. Außerdem fühlt er sich seit fast 20 Jahren im Lions-Club Buxtehude sehr wohl.
Anfang der Achtzigerjahre freute sich der Vater, den Sohn mit neuen Impulsen im Betrieb zu haben, und mit 31 Jahren übernahm Ralf Dietz offiziell die Bäckerei vom damals 54-jährigen Vater, der dann noch 24 Jahre jeden Tag in der Backstube arbeitete. „Den Alten lässt man machen.“ Den Satz hört Ralf Dietz heute gerne.
Das Jahr 1989 hat im Leben des Ralf Dietz eine besondere Bedeutung, denn der Tanz in den Mai in Ottendorf blieb nicht folgenlos, denn da trat eine 24-Jährige aus Revenahe in sein Leben: Anja, für die das frühe Aufstehen eines Bäckers kein Hinderungsgrund war, die Liebe zu erwidern. Bei der Betriebsübernahme 1995 war sie längst Teil der Dietz-Familie und die kaufmännische Chefin der Bäckerei, die damals 17 Beschäftigte im Stammbetrieb in Hedendorf und einer Filiale in der Bahnhofstraße in Buxtehude hatte, die 1984 eröffnet wurde – heute sind es 129 Beschäftigte und elf Filialen von Neu Wulmstorf bis Apensen und ins Alte Land. „In der Region verwurzelt und immer die langfristige Perspektive im Blick“ – nach dieser Maxime haben Anja und Ralf aus der kleinen Bäckerei mit einer Filiale einen ansehnlichen mittelständischen Betrieb entwickelt, in dem die üblichen Sorgen des Handwerks nicht zu hören sind. „Wir haben wenig Personalprobleme, angesichts unserer guten und treuen Leute.“ Die Fluktuation liege weit unter den Werten der Branche, was freilich auch einer Entscheidung geschuldet ist, die vor zwanzig Jahren getroffen wurde: Sonntags bleiben Backstube und die Läden von Bäcker Dietz zu.
Die Produktion wird in erster Linie von Brot und Brötchen geprägt: 375.000 Brötchen stehen in der Monatsbilanz, 40.000 davon werden für Snacks belegt. Brötchen machen 35 Prozent des Umsatzes aus. Dazu kommt das gesamte Sortiment des Bäckerhandwerks von Croissants über Kuchen, Torten, Keksen und jahreszeitlichen Köstlichkeiten, wie Stollenspezialitäten oder jetzt die Altländer Blüten. Zudem werden 2,9 Tonnen Kaffee jährlich gebrüht. Der Hit im Dietz-Imperium sind „die Landjungs“, die auch im Leben des Chefs eine große Rolle spielen: Nach der Tasse Kaffee um drei Uhr am Morgen folgt das Frühstück um sieben Uhr, bei dem die „Landjungs“ für ihn das Objekt der Begierde sind.
„Ich bin nicht mehr der Vorreiter“
Bis dahin hat Ralf schon vier Stunden meist am Kuchenteig gearbeitet, für den er sich zuständig fühlt. „Meine Aufgabe.“ Er ist dabei, gehört zum Team, registriert die Befindlichkeiten der Mitarbeiter und beobachtet gerne in aller Stille die Abläufe, die sich längst in Richtung Digitalisierung verändert haben. „Ich bin da nicht mehr der Vorreiter. Jochen und Annelen haben modernere Systeme installiert“, sagt Ralf Dietz, der nur möglichst dann noch was sagt, wenn er gefragt wird oder wenn er glaubt, etwas sagen zu müssen. „Ich habe kein Problem damit, die Klappe zu halten.“ Noch werden die wichtigen Entscheidungen im Familienrat getroffen, wenngleich Annelen und Jochen im täglichen Tun das Sagen haben.

Annelen und Jochen. Wenn Ralf Dietz von seinen Nachfolgern spricht, schwingt immer eine Portion Stolz mit. Weil seine Kinder in die Fußstapfen der Familie treten, was keinesfalls selbstverständlich in der Branche sei, denn im Schnitt gibt in Deutschland jeden Tag mindestens ein Bäcker sein Geschäft auf – ein Teil des Handwerks befindet sich in einer tiefen Krise, die insbesondere durch teure Energie, Fachkräftemangel und den Preisverfall durch die Discounter entstanden ist. Dennoch gibt es auf der anderen Seite auch eine Vielzahl an gesunden, innovativen und attraktiven Bäckereien, mit denen man sich in zwei ERFA-Fachkreisen austauschen kann. Dass die Jungen die Tradition mit der Moderne paaren, die Mechanismen der modernen Betriebsführung weiterentwickeln und dabei bodenständig bleiben, mache ihn glücklich. Ganz im Sinne der Dietz-Philosophie: „Frühmorgens Seite an Seite, die Hände im Teig. Am Vormittag Klönschnack mit dem Landwirt, abends gemeinsam mit dem Lehrling auf dem Sportplatz. So ist das Leben hier. Bodenständig. Gut. Wie unsere Backwaren.“
„Annelen und Jochen sind ein Glücksfall für uns“, sagt Ralf, der seinen Kindern – ganz in der Familientradition – die Entscheidung zur Nachfolge selbst überlassen hat. Einerseits. Andererseits ist seine Liebe zu den Produkten aus der Backstube eines Bäckers ansteckend. Wer Ralf Dietz erlebt, hat einfach Lust, ein Brot vom Bäcker zu kaufen.

Text: Wolfang Stephan · Fotos: Daniela Ponath

Dieses Porträt ist Teil des Magazins „125 Jahre Bäcker Dietz – Handwerksbäcker aus Hedendorf“. Das Jubiläumsmagazin erzählt von Generationen, gelebter Backkunst und dem, was Handwerk, Haltung und Herkunft verbindet – ein Magazin aus der Redaktion DEICHLUST. Erhältlich in allen elf Fachgeschäften von Bäcker Dietz.