OHNE OMA GEHT ES NICHT

KOLUMNE: HIER SCHREIBT DIE JOURNALISTIN UND MUTTER

Dienstag ist Oma-Tag. Oma-Tag ist mein Lieblingstag. Weil, ganz ehrlich: Ohne Oma würde ich viel zu oft richtig doof aus der Wäsche gucken – dieselbe Wäsche übrigens, die sie regelmäßig dienstags bei uns faltet. Sie übt Lesen und Rechnen mit dem Großen und holt den Kleinen aus der Kita ab. Sie kocht Mittag für alle und bringt die Jungs zum Fußballtraining. Sie putzt Zähne, liest Gute-Nacht-Geschichten und übernimmt die Einschlafbegleitung. Sie ist unsere Antwort auf die Vereinbarkeitslüge, unsere Lösung des Betreuungsdilemmas, in dem so viele erwerbsarbeitende Eltern in diesem Land stecken. Am Oma-Tag schaffen mein Mann und ich bei der Arbeit richtig was weg. Und abends essen wir leckerstes Kartoffelgratin und freuen uns über stapelweise frische Wäsche. Der Oma-Tag ist wie eine Bremse für mein Hamsterrad. Ein fetter grüner Haken auf meiner unendlich langen To-do-Liste.

Gang aus Lieblingsmenschen

Als mein Großer ungefähr zweieinhalb Jahre alt und ich wieder richtig doll schwanger war, hat meine Mutter zu mir gesagt: „Mama zu sein, das ist und war großartig, aber Oma zu sein, das setzt allem die Krone auf, das ist das Allertollste.“ Heute hüpft mein Herz jedes Mal vor Freude, wenn mein Lockenduo ihr lachend in die Arme rennt, die Jungs mit ihr wie wilde Löwen raufen oder sie zum hundertsten Mal das lahme Igel-Buch vorliest. An manchen Tagen darf nur Oma die Fingernägel schneiden, und an anderen feuere ich die drei beim Fußballspielen in unserem Garten an (ratet, mit wem meine Mama nie gekickt hat). Diese drei Lieblingsmenschen sind eine ganz eigene Gang, und mein Tochter-Herz versteht. Ohne Oma geht es nicht.

In diesem Sommer feiern wir die Einschulung des Kleinen, 5, ein neuer Übergang steht bevor. Wir nehmen Abschied, erneut. Von all den unsäglichen Kita-Viren, aber auch von Luftküssen an der Kita-Tür. Ein wunderschönes Kapitel endet, ein neues Abenteuer beginnt. Ich bin dann Mama von zwei Schulkindern. Die Geschwindigkeit, in der die Zeit verrinnt, ist erbarmungslos.

Seine Geburt war auch meine

Früh am Morgen, wenn die Nacht mal wieder wild und ruhelos war, blicke ich auf die Räuber zwischen mir und meinem Mann. Kleine Leben, die wir geschaffen haben. Das ist ein Wunder. Wo sind die Tage hin? Die, die sich endlos lang anfühlten, wie zähes Kaugummi, und die glücksglitzernden, die mir wie Pudersand durch die Finger glitten.

Noch darf ich abends im Bett des Großen, 8, liegen. Wir hören Bibi und Tina, ich wuschele durch seine wilden Locken, er kuschelt sich ganz eng an mich. In diesen leisen Momenten tauche ich auf aus dem lauten Alltags-Funktionieren und halte inne, spüre Wehmut. Vor bald neun Jahren habe ich ihn geboren und mich zugleich. Eine Mutter, die zuvor keine gewesen ist. Sein Geburtstag ist meine Verwandlung. Sie war so tiefgreifend. Ich löste mich auf und setzte mich neu zusammen. Die Kontrolle, die ich über mein Leben habe, ist natürlich fiktiv. Heute tunkt dieses Wesen, das fast zehn Monate in mir gelebt hat, sonntags zum Frühstück Fleischwurst in Nutella. Meine Jungs haben mein Leben komplett über den Haufen geballert.

Dinge, die ich ohne Kinder niemals getan hätte

Seit es sie gibt, tue ich Dinge, die eine Mutter eben tut. Ich stehe am Waschbecken und würge, während ich mit dem Küchenmesser Hundekacke aus Turnschuhsohlenrillen kratze. Ich sauge Sandkastensandberge aus dem Sofa, spiele morgens um halb sieben Dinosaurierquartett und warte darauf, dass der Trockner die nächste Ladung Wäsche ausspuckt, darauf, dass mein Leben wieder leichter wird. Es gibt so viele Dinge, die ich niemals getan, niemals gesagt hätte, wenn ich keine Kinder hätte. Es wäre gelogen, wenn ich behauptete, dass ich nichts davon missen möchte.

In unserem Flur steht seit Wochen der nagelneue Ranzen des kleinen großen Kindes. Wie ein Denkmal des Aufbruchs und der Vergänglichkeit. Mich umweht eine Traurigkeit, die ich nicht greifen kann. Es gab Phasen, da habe ich ihr Wachsen herbeigesehnt. Jetzt möchte ich am liebsten laut „Stopp!“ rufen. Ich komme nicht mit. Taumle wie ein abgehalfterter Jahrmarktboxer aus diesen ersten Jahren meiner Mutterschaft. Ich hänge in der Luft und in mir die Müdigkeit, my good old friend.

Ich bin meinen Kindern ein sicherer Heimathafen, für immer, und vertraue darauf, dass sie ihren Weg in die Welt finden. Ihr seid genug, Jungs. Es spielt keine Rolle, wen Ihr liebt und wie Ihr lebt, und an was Ihr glauben werdet. Ihr seid genug. Vergesst das nicht.

Inneres Glimmen führt zu neuen Abenteuern

Unsicher mache ich mich nun auch selbst wieder auf den Weg. Da ist ein Glimmen in mir. Keine Ahnung, wohin es mich führt. Ich habe gelernt, Verantwortung für andere zu übernehmen. Und nun fällt es mir schwer, wieder an mich zu denken, die neu gewonnene Freiheit ohne schlechtes Gewissen zu genießen.

David Bowie hat gesagt, Altern sei ein besonderer Prozess, bei dem du der Mensch wirst, der du schon immer hättest sein sollen. Es kann sich glücklich schätzen, wer alt werden darf. Noch interessieren mich die Vögel vor meinem Küchenfenster nicht, Schaukelstühle lassen mich kalt. Ich bin über 40, chronisch unterschlafen und hoffe auf mehr. Ich bin bereit für ein neues Abenteuer.

Der Moment wird kommen, da ich den Mut fasse, mich einfach treiben zu lassen von meinen Wünschen und Träumen. Ich bin genug und vor mir der Sommer. Kaffee in der Morgensonne, barfuß in die Sneaker schlüpfen. Eiskalte Limo aus dem Kiosk-Kühlschrank schlürfen, kicken, bis es nicht mehr schockt. Und das Glück greifen, wenn es nah ist.

Uns allen rinnt die Zeit davon. Tag für Tag, Jahr um Jahr. Und manchmal tröstet nur die Gewissheit, dass alles Gewesene für immer bleibt.

Leonie Ratje ist Journalistin, Mutter zweier Kinder und schreibt für die DEICHLUST.

Deichlust

Text: Leonie Ratje