„Ich wünsche mir ein klares Bekenntnis zum Stadeum“

Für eine Theater-Regisseurin passt diese Inszenierung: Mit dem Konzert von Weltstar Ute Lemper endet Mitte September die Ära von Silvia Stolz im Stadeum. Termin, Gastspiel und Abschied waren zwar so nicht geplant, bilden aber den angemessenen Rahmen für den letzten Auftritt der bisherigen Stadeum-Intendantin, die seit wenigen Wochen den Dr. im Titel führen darf. Auch das ist im neuen Leben der Silvia Stolz eine wichtige Etappe, denn sieben Jahre hat sie an ihrer Dissertation gearbeitet und gerade noch rechtzeitig vor ihrem neuen Engagement als Intendantin am Stadttheater Fürth die Promotion bekommen. Zum Abschied in Stade empfängt sie die DEICHLUST-Crew in ihrem Büro in Stade, das eher Minimalismus als Prunk ausstrahlt. Die Skulptur eines Astronauten auf dem Schreibtisch könnte als Aufbruch in eine neue Zeit gedeutet werden. Aber das Gemälde eines Löwenkopfes an der Wand scheint so gar nicht zum Bild dieser eher leisen Kultur-Managerin zu passen, die zwar auf der Bühne gerne inszeniert, aber ihrer Person nie eine Hauptrolle zugeschrieben hat. Doch das könnte auch als Inszenierung verstanden werden, denn Dr. Silvia Stolz sollte trotz ihrem bayerischen Charme nie unterschätzt werden. Die Frau weiß, was sie will. 

Frau Dr. Stolz, haben Sie sich an diese Anrede schon gewöhnt?
Dr. Stolz: Ja, allmählich schon, ich hatte ja eine lange Zeit, mich auf die Promotion vorzubereiten. Bevor Sie danach weiter fragen, ja, der Titel bedeutet mir insofern viel, weil er dokumentiert, dass ich eine wissenschaftliche Leistung vollbracht habe. Letztlich neben meiner beruflichen Tätigkeit, was dem Titel für mich noch eine besondere Note gibt. Darauf bin ich schon stolz. 

Dr. Silvia Stolz promovierte an der Universität Hildesheim am Institut für Kulturpolitik mit der Dissertation: „Theater der Distribution – Künstlerische und kulturpolitische Konzeptionen von Gastspielhäusern in der deutschen Theaterlandschaft“ – ihre Doktorarbeit erscheint demnächst auch als Buch. 

Sollte eine Stadeum-Chefin Dramaturgin sein, um fünf Jahre in Stade unbeschadet zu überstehen?
Es schadet zumindest nicht, aber es hilft sicherlich, wenn jemand weiß, wie er mit Dramen umgehen muss. Im Ernst: Ich halte grundsätzlich einen kulturellen Hintergrund für angemessen, um ein Haus in dieser Größenordnung und mit dieser Bedeutung in der Region zu führen. 

Was hat Fürth, was Stade nicht hat?
Ein wunderschönes Theater, eines der schönsten in Deutschland, vielleicht weltweit, ein Ensemble und Werkstätten, in denen eigene Bühnenbilder gebaut werden. Was mir die Möglichkeit gibt, mehr künstlerisch zu arbeiten. Ach ja, Fürth hat auch einen Fußballclub in der 2. Liga.

Bleiben wir noch in Stade: Was wird als Handschrift von Silvia Stolz im Stadeum bleiben?
Auf jeden Fall unser Corporate Design, unser neuer Außenauftritt, als sichtbares Zeichen. Mit Sicherheit aber auch ein vielfältiges Programm, das qualitativ besser aufgestellt ist als vorher. Mit einem klaren Schauspiel-Schwerpunkt und mit vielen bekannten Künstlern, die in Stade gastiert haben und gastieren. Ob das in Zukunft so bleiben wird, weiß ich nicht, ich wünsche es mir natürlich. 

Die Ausrichtung auf mehr Theater und Schauspiel hatten Sie schon zu Beginn ihres Engagements als Ziel geäußert, weil das Stadeum in diesen Bereichen unterentwickelt war. Sind Sie mit dem erreichten Level zufrieden?
Sie drücken das etwas zu hart aus. Ich würde eher sagen, dass es nicht ausgeschöpfte Potenziale gab und wir jetzt einen anderen Standard haben. 

Lässt sich mit Theater in der Provinz Geld verdienen?
Nein, mit Theater lässt sich nie Geld verdienen, es sei denn, wir reden von höchstpopulären Kulturstätten, wie beispielsweise den Musicaltheatern in Hamburg. Auch ein Thalia Theater oder das Schauspielhaus verdienen kein Geld. Es sollte auch nicht ums Geldverdienen gehen, das ist in der Kultur ein falscher Ansatz. Wer vom Geldverdienen in der Kultur spricht, ist schnell beim Kommerz. Und der hat mit der Kultur nichts zu tun. Wobei mir der Begriff Provinz in Ihrer Fragestellung nicht gefällt. Der Begriff ist in Deutschland leider negativ besetzt. Dabei leben siebzig Prozent der Bevölkerung in Deutschland außerhalb der großen Städte. Wer von Provinz redet, redet von Lebensräumen, in denen ein Großteil der Bevölkerung lebt. 

Künstlerische Vielfalt ist Völkerrecht. Kulturelle Teilhabe ist Menschenrecht. Wo auch immer Menschen leben, haben sie das Recht auf Zugang zur Kultur, denn das ist die Basis von Demokratie – würden Sie diese Thesen unterschreiben?
Natürlich, sie sind ja von mir.

Sie sind in der Kulturszene eine unermüdliche Mahnerin für die Förderung der Kultur in der Provinz, wie wollen Sie den Menschen den Zugang zur Kultur auf dem Lande ermöglichen?
Indem wir ihnen beispielsweise ein Stadeum bieten, in dem alle Formen der Kultur angeboten werden. Von Comedy, Schauspiel, Theater, bekannten Stars bis hin zu Kinder- und Jugendtheater. Natürlich können wir in Stade nicht das gleiche Angebot bieten, wie es den Menschen in Hamburg geboten wird. Dennoch ist es die Aufgabe der Politik in diesem Lande, allen Menschen den Zugang zu einem kulturellen Angebot zu verschaffen. Mit den Spielstätten in Hamburg, den Angeboten vieler Kulturschaffenden in den Kommunen und dem Stadeum in Stade sind wir in der Region gut aufgestellt. Deshalb habe ich immer meinen Auftrag darin gesehen, im Stadeum ein Programm mit Weitblick und viel Diversität zu bieten. Ich hoffe sehr, dass dies auch in Zukunft so sein wird. 

Ist aber nicht eher zu befürchten, dass angesichts der Haushaltskonsolidierungen in den Kommunen, auch die Kultur auf dem Lande immer weiter eingeschränkt wird?
Das wäre zu befürchten, wenn nicht gleichzeitig das Bewusstsein für die Kultur als Lebenselixier der Menschen gefördert wird. Auf Bundesebene wurde die  Bundeskulturstiftung geschaffen, mit Förderprogrammen, die gezielt in die Regionen gehen. Auch auf Landesebene ist das Bewusstsein für die Kultur gestiegen. Das ist die eine Seite der Entwicklung. Aber andererseits ist die kulturelle Daseinsvorsorge auf dem Lande gefährdet, weil die Kommunen oder deutlicher, weil die Politik, der Kultur immer weniger den Stellenwert einräumt, den sie haben müsste. 

Auch in Stade?
Das könnte zu befürchten sein. Sie kennen die Debatten, in denen das Stadeum auf den Prüfstand gestellt wurde.  Der finanzielle Druck ist groß und der Wunsch ist, dass das Stadeum weniger kosten soll. Jetzt steht eine große Sanierung im Raum. Das betrifft die Gebäudewirtschaft mit der Frage, ob alles das modernisiert wird, was modernisiert werden sollte. Ich bin sehr gespannt, wie die Sanierung ausfallen wird, wieviel Geld in das Stadeum fließen wird. Dazu kommt das Haus mit seinem künstlerischen und kulturpolitischen Anspruch auf den Prüfstand, denn es gibt nur zwei Möglichkeiten, um in so einer Kulturstätte Geld zu sparen: Personal und Programm. Beides wirkt sich auf die Qualität des Angebots aus. 

Was sind die gefährdeten Bereiche?
Ich gehe zunächst einmal davon aus, dass gar nichts gefährdet ist. ADie defizitären Veranstaltungen sind im Regelfall die klassischen Konzerte, die anspruchsvollen Schauspiele und das Kinder- und Jugendtheater. An der Sinnhaftigkeit derlei Veranstaltungen wird sicher niemand zweifeln,  aber sie müssen eben auch finanziert werden. 

Hat das Stadeum eine Lobby in Stade?
In der Bevölkerung ganz sicher. Jedenfalls wenn es darauf ankommt. In der Verwaltung und der Politik könnte die Lobby durchaus größer sein. 

Aber Verwaltung und Politik entscheiden?
Ja, das ist so, aber die Politik muss schon Rücksicht auf die Stimmung in der Gesellschaft nehmen. 

Haben Sie zum Abschluss Ihres Engagement in Stade einen Wunsch an die Politik?
Bei all den existierenden Gerüchten würde es  der Kultur und dem Stadeum gut tun, wenn sich Politik und Verwaltung ganz klar zu dem Haus beziehungsweise seinem vielfältigen kulturellem Angebot bekennen.

Hat die ungewisse Zukunft eine Rolle bei ihrem Abgang nach Fürth gespielt?
In keiner Weise. Schon alleine deshalb nicht, weil ich mir vor einem Jahr nicht vorstellen konnte, dass überhaupt Fragen aufgeworfen werden, was alles am Gebäude gemacht werden soll und Grundsatzfragen zur Ausrichtung des Stadeums diskutiert werden. Dem Ruf nach Fürth bin ich alleine aus künstlerischer Sicht gefolgt. Ja, ich bin Kulturmanagerin und kann so ein Haus wie das Stadeum führen, ich bin aber auch Dramaturgin und will Theater inszenieren. In so einem renommierten Haus in Fürth arbeiten zu dürfen, ist ein Traum. Dem zu folgen, hatte überhaupt nichts mit dem Stadeum  zu tun, das ich nach wie vor für ein spannendes Haus mit Zukunft halte. 

Aber sie sind angesichts der Debatten um das Stadeum froh, dass sie damit nichts mehr zu tun haben müssen?
Es hat mich bestätigt, dass ich dierichtige Entscheidung getroffen habe. Wobei ich ganz klar sage, dass das Stadeum eine Zukunft als Kulturstätte haben muss. Das wird siecher keiner in Frage stellen. Die Kultur ist das Herz im Stadeum und sollte in vielfältiger Art bespielt werden.  Ich sagte das schon: Das ist auch ein wichtiges Element in der Demokratie und sollte nicht auf dem Altar der Haushaltskonsolidierungen geopfert werden. 

Das klingt wie ein dramatischer Appell an die Stader Politik?
Dramatisch nur dann, wenn derlei Pläne bestehen sollten. Wer mich kennt, der weiß, dass ich für den Erhalt und den Ausbau der Kultur außerhalb der Metropolen immer gekämpft habe und weiter kämpfen werde. 

Entspricht das aktuelle STADEUM-Programm mit Ute Lemper, Michael Schulte, Dittsche, Johann König, den Söhnen Hamburgs, Gregor Gysi, Nicole vollends den Wünschen der scheidenden Chefin?
Ja. Wir haben nach der schweren Zeit der Pandemie gemeinsam ein Programm kreiert, das dem Stadeum den Stellenwert einräumt, den es haben muss. 

Auch mit „Stahlzeit“, der Coverband von Rammstein?
Als wir diese verpflichtet haben, gab es diese Debatte um den Sexismus im Umfeld von Rammstein nicht. Vermutlich würden wir die heute nicht mehr ins Programm nehmen. Wobei die Band „Stahlzeit“ sich den künstlerischen Inhalten von Rammstein widmet. Der Vorverkauf war supergut, ist aber nach den Schlagzeilen um Rammstein deutlich zurückgegangen.

Haben Sie Sexismus in ihrer Branche selbst erlebt?
Sicher, wenn auch nicht an meiner Person. Auch im Theaterbereich gibt es Regisseure, die Frauen diskriminieren, auch sexuell belästigen. Stichwort: Besetzungscauch und Machtmissbrauch. Es gibt aber auch die andere Seite, junge Frauen, die Musiker oder Schauspieler anhimmeln, um das mal vorsichtig auszudrücken.

Wenn sich Dr. Silvia Stolz zum Abschied einen Star auf der Stadeum-Bühne wünschen dürfte – unabhängig von der Gage – wer wäre das?
Mariah Carey, die US-amerikanische Pop- und Soul-Sängerin, Songschreiberin, Produzentin und Schauspielerin wäre  ein Traum. Aber ganz ehrlich: Mit Ute Lemper sind wir doch nah dran. 

Kommen wir zur wichtigsten Frage: Warum hängt das Bild der Löwin in ihrem Büro? 
Weil es mir eine Freundin geschenkt hat und weil es passt.  Wenn Sie mehr wissen wollen, googeln sie gerne die Charakteristiken der Löwen. Ich freue mich auf ihre Recherche. 

Wikipedia definiert: Der Löwe ist gleichermaßen kämpferisch wie freundlich und verfügt über eine unübertroffene soziale Intelligenz, die ihn für Führungsaufgaben, Rechtsstreitigkeiten und Krisenmanagement prädestiniert. Löwen wollen gewinnen und gesehen werden und betrachten Unterschätzung als persönliche Herausforderung. 

Deichlust

Text: Wolfgang Stephan · Fotos: Volker Schimkus