Er ist der Mann, der nicht mehr alle Latten am Zaun hat. Obacht: Nur wortwörtlich. Denn als die Latten am Gartenzaun morsch waren, hat Klaus Noormann diese einfach abmontiert, und stattdessen den Zaun mit seiner eisernen Kunst bestückt. Dabei ist der gelernte Ingenieur gewiss kein Pragmatiker. Vielmehr ist der philosophierende Schmied ein schmiedender Philosoph. Ein Kunstwerk ist nicht einfach ein Kunstwerk. Es hat eine Geschichte und eine Botschaft. Und die präsentiert der 77-Jährige auf dem Deich in Mittelnkirchen mit Ideologie und Geistesstärke.
Wer auf dem Deich die Hogendiekbrücke Richtung Mittelnkirchen überquert, kommt an dem Haus von Dorle und Klaus Noormann (nicht) vorbei. Nicht vorbei, ohne zu glotzen. Hier eine gebogene Stahlstange, die in einem Stein verankert wurde, da zwei per Schneidbrenner ausgebrannte Bleche. Eine solide Kette, die durch die Löcher von einem schwarzen Stück Treibholz gezogen wurde, ein breiter Flachstahl zum Unendlichkeitssymbol umgeschmiedet. Auf einem langen, hohen schlanken Eisenstab schwankt oben im Wind ein aufgesteckter, schwerer Stein. Daneben noch einmal. Kunstwerk über Kunstwerk auf dem ganzen Grundstück, in jeder Ecke, an jedem Platz. Der Zaun ist das Highlight. Er heißt schon lange nicht mehr Zaun, sondern „Über der Spurkante“ – die Pfosten sind über eine Feldbahnschiene verbunden —, an ihm reihen sich „Der doppelte Achsenbruch“, „Verhülltes“, „Bifurkation“ und „Unendliches“. Es ist noch Platz für Weiteres. Fortsetzung folgt.
Das alles, gepaart mit einem wunderbar unkonventionellen Schöpfer, lockt an. Die Spaziergänger bleiben stehen und gucken, staunen, hinterfragen, lächeln. „Letztens habe ich gerade erst wieder einen Mann mit seinem Enkelkind animiert hereinzukommen“, so Noormann. Keine Seltenheit. Klaus Noormann ist herzlich und höflich. Hereinzukommen bedeutet, auf sein Lühegrundstück eingeladen zu werden. In seine Deichschmiede. „Ich will die Menschen einbeziehen.“ Auch Karl Schweizer war einer dieser Spaziergänger, der an einem gewöhnlichen Tag an Noormanns Haus auf dem Deich vorbei spazierte und stehen blieb. Der rhythmische Klang von Hammerschlägen weckte die Aufmerksamkeit des Schwarzwälders. Die Neugier trieb ihn näher. Ihn, den erfahrenen Schmied aus dem Schwarzwald. Und schon bald fand auch er sich im Garten des Deichschmieds wieder. Die beiden Männer tauschten sich aus und entdeckten eine gemeinsame Leidenschaft für die Erschaffung von Kunstwerken aus Stahl. „Karl besitzt einen großen Museumsbestand und konnte mich mit allerhand Werkzeug ausstatten“, so der Altländer. Er ist ihm heute noch sehr dankbar dafür.
Inmitten von Funkenflug und metallischem Widerhall entstehen unter Noormanns Händen nicht nur Skulpturen, sondern auch eine Verbindung zu der Generation vor ihm. Denn Klaus Noormann schöpft aus der Tradition seines Großvaters Fritz Cordes. Als kleiner Junge stand er schon gebannt neben Esse und Amboss, beobachtete aufmerksam die heiße Arbeit seines Großvaters und der Gesellen und wagte sich selbst erstmals an die Kunst von Feuer und Eisen. „Beiten goot warm moken“, sagte sein Opa immer. „Wenn mein Großvater vor einer starken Verformung eines schweren Werkstücks einen Gesellen mit diesen Worten aufforderte, dann meinte er damit nicht, dass er das Eisen nur ein „bisschen gut warm“, sondern extrem, bis kurz vorm Brennen im Schmiedefeuer erhitzen sollte. Die Faszination für das Schmiedehandwerk in ihm war geweckt. Beruflich schlug Noormann zunächst einen anderen Weg ein. Ursprünglich als Ingenieur in der Seeschifffahrt, fand er später seinen Weg in die Chemische Industrie, wo er seine Fachkenntnisse vertiefen konnte. Doch seine fest verwurzelte Leidenschaft für das Schmiedehandwerk blieb. Und als der Mittelnkirchener 2010 in den Vorruhestand ging, war der lang gehegte Traum zum Schmieden nah.
Er schmiedete einen Plan:
„Ich werde schmieden“ – Und so schmiedete er.
Das erste Objekt, das Klaus Noormann gestaltete, war das „Seelenseil Nr. 1“, das er seiner Tochter Sibylle und ihrem Mann André schenkte. So was wie einen Gartenstecker. Auf dem alten Amboss seines Großvaters entstanden fortan unter seinem Hammer neue Formen. Vier Jahrzehnte hatte der massive Block aus Stahl in der Gärtnerei in Grünendeich gestanden und auf seinen Einsatz gewartet. Mit dem Umzug des Ambosses in Noormanns Lüheanwesen entstand vor 14 Jahren die Deichschmiede. Seine Esse – die große Feuerstelle – hat Noormann selbstgebaut. Er wälzte Kataloge, bis er eine gefunden hatte, die ihm zusagte und baute sie nach. Er hat sie so ausgeführt, dass sie zerlegbar ist. Um sie jederzeit abbauen zu können. Getan hat er es nie. „So lange man mich lässt, schmiede ich“. Man ist in diesem Falle sie, seine Frau Dorle, ebenfalls Künstlerin. Manchmal lässt sie aber nicht, dann kocht er Mittagessen, macht den Haushalt oder unterstützt sie, seine Dorle, in der Familiengärtnerei von Sohn Axel in Grünendeich. Oder er liest. „Im letzten Winter saß ich oft auch einfach auf meinem Sessel und habe gelesen“. Nietzsche, Platon, Aristoteles, Kant, Heidegger, Sartre, Sloterdjk.
Noormanns Kunst ist nicht nur handwerklich meisterhaft, sondern vor allem geprägt von einer intensiven Auseinandersetzung mit abendländischer Philosophie. Erst liest er, dann versucht er zu materialisieren. Nicht nur im Kopf entsteht die Idee, auch auf Papier, manchmal auch mit Fettkreide aufgerissen auf dem Klinkerboden. Wenn das Eisen im Kohlefeuer hellgelb glüht (1250 Grad Celsius), weiß Klaus Noormann, was er vorhat. „Ich habe es ziemlich genau vor Augen, aber es gibt ein paar Objekte, da steckt auch eine gewisse Freiheit drin“.
In zerschlissener Lederschürze und schwarzer Mütze, mit Lederhandschuhen und Schutzbrille, zwingt er mit kraftvollen Schlägen das Eisen in die gewollte Form. Dong, dong, dong. So nennt er seinen Lieblingsschmiedehammer auch schon mal Meinungsverstärker. Der Schrotmeißel spaltet den Stahl. Nach einer halben Minute und Dutzenden von harten, gezielten Schlägen ist es wieder ruhig.
Schmiede das Eisen, so lange es heiß ist. Es ist nicht mehr heiß. Mit seiner Schmiedezange gibt er das Objekt wieder in die Glut und öffnet die Gebläseluftklappe. Im Hintergrund säumen Schmiedezange an Schmiedezange den angrenzenden Schuppen. „Alles nur Deko“, sagt der Schmied. Was gebraucht wird, hängt an der Esse.
Klaus Noormann ist nicht nur ein physischer Künstler, er ist Wort-Erfinder. Und die sind großartig. Seelen(k)lüfte oder NOO(rmanns)SPHÄRE, Ko(s)-misches Wesen, Schalk-EL. Seit vielen Jahren taucht er ein in die Gedankenwelt großer Denker; und seine Skulpturen werden zu visuellen Manifestationen dieser philosophischen Reflexionen. Klaus Noormann will nicht die Schmiedekunst der Alten nachahmen, sondern ist stets auf der Suche nach der eigenen Form. Und seiner eigenen Sprache. Jedes Objekt bekommt einen sogenannten Beipackzettel mit den „Risiken und Nebenwirkungen“, wie er sagt. Ein Spruch, eine abgewandelte Definition, Wortphrasen. Es gibt nichts, was es bei ihm nicht gibt. „Nichts passt mehr zusammen“ oder „Nichts passt mehr zusammen“. Noormann liebt die Doppeldeutigkeit. Drei Jahre Latein sind das Gerüst, für das, was der Wortjongleur heute sprachlich schafft. Zusammen mit seinem altgriechischen Wörterbuch im Regal rechts oben.
Manchmal sind die Worte zuerst, manchmal das Material. Manchmal muss die Idee das Material finden. Oder auch andersherum.
Ästhetisch sollen seine Objekte sein. Aber sind sie immer auch schön? „Nicht zwangsläufig schön“. Sie sollen vorrangig zum Nachdenken anregen. Die Idee ist das, was zählt. Und die muss raus. „Ich kann nicht ganz abstreiten, dass ich das Bedürfnis habe, wahrgenommen zu werden.“ Die Skulpturen, die er schafft, sind nicht nur Ausdruck seiner Kreativität, sondern auch ein Ruf nach Verständnis und Anerkennung. In jedem Werk steckt ein Stück seiner Seele, ein Versuch, sich selbst und seine Kunst der Welt zu präsentieren. Präsentiert wird viel. Gesichert kaum. Doch geklaut wurde nie. „Auf eine komische Art wäre ich stolz darauf, wenn jemand etwas mitnehmen würde.“
Material hat der 77-Jährige genug. „Die Leute denken an mich“, bringen Steine oder Holz vorbei. Mit den Worten „Mach was draus“ bekam er von Bürgermeisterin Sonja Zinke einen von ihr aus dem Steinkirchener Hafen gezogenen Weideknüppel auf den Hof geschmissen. Ein Jahr lang lagerte er ihn, bevor er zum Einsatz kam. Seit 2020 heißt er Inkommensurabilitätsschizophrenie, wurde verschraubt mit einem brutalen, roten „Prügel“ von Stahl-stange und steht in Steinkirchen.
Neulich saß Klaus Noormann am Lüheanleger auf einem Stein, bevor er kurze Zeit später in seiner Werkstatt eine Eisenschleife drauf setzte. Der Stein ist jetzt Kunst.
Als im August 2014 die nachbarschaftliche Hogendiekbrücke erneuert wurde, zögerte Klaus Noormann nicht lange. „Kann ich das haben?“ schielte er mit Blick auf das 40-jährige morsche Holz der Hogendiekbrücke. Er konnte. Abends durfte er die Kettensäge ansetzen.
Steinreich, nennt er seine Steinsammlung. Steine sind ein wesentlicher Bestandteil seiner Kunst, aber auch nicht immer. Konsequenz passt nicht zu Klaus Noormann. Gerade fühlt er, dass wieder etwas Neues in ihm entsteht. Noch brodelt es nicht, versetzt ihn nicht in Unruhe. Aber es hält ihn ab, an altbewährtem festzuhalten. Er kann es aber auch sein lassen. Der Winter war für ihn keine Durststrecke, vielmehr war es die Chance, hinterm Kachelofen zu sitzen und die abendländliche Philosophie und Belletristik zu lesen. „Man könnte aber auch sagen, dass ich einfach faul war.“
Text: Mona Adams · Foto: Volker Schimkus