Dieter-Theordor-Bohlmann

Eine Ära ist vorbei

Noch einmal streift Dieter-Theodor Bohlmann durch das Museum Altes Land in Jork. 20.000 Stunden hat er hier seit 1989 in den Aufbau gesteckt, ist gleichsam in und mit dem Museum alt geworden. Die Sammlung umfasst gut 5.000 Exponate. Zu jedem könnte der ehemalige Museumsleiter eine Geschichte erzählen. Einige berühren sein Herz bis heute. 

Im Duden heißt es, ein Tausendsassa sei „ein vielseitig begabter Mensch, dem man Bewunderung zollt“. Dieter-Theodor Bohlmann ist Lehrer, Dozent, Tischler und Museumsleiter. Außerdem Kurator, Autor und Zeichner. Er hat eine Bürgerinitiative gegründet, die Bebauung der Schwingewiesen verhindert, als Ratsherr in Stade gewirkt, das Hafenhaus am Stader Stadthafen mit dem Berufsbildungszentrum gebaut, die Greundiek und das Stader Schleusenhaus saniert, den WUMAG-Triebwagen in Harsefeld restauriert und sich in vielen Vereinen engagiert. Er trägt das Bundesverdienstkreuz am Bande und sagt: „Ich setze mich gern für das Gemeinwohl ein.“

Mehr als 650.000 Menschen besuchten das Museum in der Zeit von Dieter-Theodor Bohlmann. Als er Ende 2022, einen Tag vor seinem 85. Geburtstag, den Posten als Museumsleiter niederlegte, kamen rund 80 Menschen zu seiner Abschiedsfeier, bei der die Pianistin Marina Savova Chopin und Schubert spielte, wie er es sich gewünscht hatte. 

Drei Monate später ist es leise im Museum. Der Direktor außer Dienst lehnt an dem kleinen Tresen, der bei Veranstaltungen oft als Ausschank diente. „Tante Rosas Kolonialwarenladen“ zählt zu seinen Lieblingsstücken. Der Laden im Haus von Rosa Mehrkens bot bis 1986 in Hollern-Twielenfleth alle Waren an, die der Altländer im Alltag brauchte. Die Inhaberin hatte in ihrem Testament verfügt, dass er in das Museum sollte. Dieter-Theodor Bohlmann baute den Laden mit seinem Sohn aus. Meisterschüler des Stader Berufsbildungszentrums restaurierten ihn und bauten alles originalgetreu im Museum wieder auf. 

Vielleicht, überlegt Dieter-Theodor Bohlmann, liege seine Verbundenheit mit der Region und die Liebe zu den Schätzen der Vergangenheit darin begründet, dass er den Weltkrieg und den Bombenangriff auf Stade am 9. Februar 1945 erlebt hat. Die Schrecken der Kindheit wirken bis heute. „Wir dürfen den Wert der Demokratie nie vergessen“, sagt er. Im Bunker „Sokrates“ am Schwarzen Berg, dem er später ein viel beachtetes Buch widmen sollte, fand der Achtjährige im Frühjahr 1945 Schutz, während ein Schulfreund sein Leben ließ. „Schwere Zeiten sorgen für eine enge Bindung an die Heimat“, sagt Bohlmann. Und: „Unsere Generation hat gelernt, zusammenzuhalten und aus dem Nichts etwas zu machen.“

Der Hof von 1825 lag in Trümmern

Rückblick, Stadeum-Richtfest 1988. Oberkreisdirektor Dr. Karsten Ebel kommt mit den Worten „Sie sind mein Mann!“ auf Dieter-Theodor Bohlmann zu und bittet ihn, ein Konzept für ein Altländer Museum im Kohlmeierschen Haus zu erstellen. „Das Haus ist ein bedeutendes Beispiel Altländer Baukunst“, sagt Bohlmann. Nur: Der Hof von 1825 lag in Trümmern – bis die Sparkasse das unter Denkmalschutz stehende Fachwerkhaus übernahm und es wieder aufbauen ließ.

Für Bohlmann ist das Museum das Einfallstor ins Alte Land. Sein Konzept sah die Ausstellung von Objekten rund um die Altländer Architektur- und Baugeschichte sowie das Leben im Alten Land vor. Mit Leihgaben aus dem Stader Technik- und Verkehrsmuseum, dessen Kurator er ebenfalls war, und vielen Stücken von Altländer Höfen richteten er und Archivarin Susanne Höft-Schorpp das Museum ein. Am 5. Juni 1990 feierte es Eröffnung. Zu später Stunde, längst war das Premierenfeiervolk in „Sievers Hotel“ umgezogen, fragte jemand, wer eigentlich am nächsten Tag öffnen würde. Noch in der Kneipe wurde Dieter-Theodor Bohlmann als ehrenamtlicher Museumsleiter und Manfred Tilliß als Aufseher bestimmt. 

„Unsere Generation hat gelernt zusammenzuhalten und aus dem Nichts etwas zu machen.“

Dieter-Theodor Bohlmann

Wie zum Abschied klopft der 85-Jährige auf Tante Rosas Tresen und geht auf den „Tittengevstuhl“ zu, der aussieht wie ein Kinderstuhl. Die kurzen Stuhlbeine sorgen dafür, dass die Knie der darauf sitzenden Frau nah an der Brust sind. Das Baby trinkt auf den Beinen der Mutter liegend. Tolle Erfindung – und der plattdeutsche Name: auf den Punkt. 

Bohlmann lächelt, wendet sich nach links und fährt mit der Hand über das Schnitzwerk eines dunklen Schranks. „Hamburger Schapp aus der Zeit um 1720“ steht auf dem Schild. „Binnen eines Jahres mussten angehende Tischlermeister von Hand so ein Möbelstück bauen“, erzählt der Fachmann. Wohlhabende Bauern kauften die prunkvollen Schränke in Hamburg. Bohlmann erinnert sich an den Anruf im Museum: „Ik heff hier noch en oolt Schapp“, sagte am anderen Ende der Leitung Beke Gellert, „den köönt ji hebben.“ 

Der Museumsleiter weiß alte Handwerkskunst zu schätzen. Seine Ausbildung zum Tischler hat Dieter-Theodor Bohlmann mit Auszeichnung abgeschlossen. Anschließend studierte er in Hamburg Kunstgeschichte, Deutsch und Politik. Nach dem Staatsexamen unterrichtete er Maler, Tischler, Raumausstatter, Dekorateure, Parkettleger sowie Instrumentenbauer in Hamburg. 1980, nach der Geburt seines Sohnes, stellte er einen Versetzungsantrag. Entbehren konnten ihn die Hamburger erst ab 1985. Er wechselte nach Stade, wo er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2001 an der Jobelmann-Schule (BBS I) unterrichtete. 

Museum Altes Land
Im juni 1990 feierte das museum eröffnung. mehr als 650.000 menschen haben die ausstellung über die entwicklung des alten landes und das leben seiner bewohner in der zeit von dieter-theodor bohlmann besucht. 

Sein Namensvetter bleibt im Museum eingespannt

Neben den historischen Exponaten sollten im Museum auch Kunst und Musik ein Gefühl für Geschichte vermitteln. Mehr als 200 „Klassik auf dem Lande“-Konzerte hat Dieter-Theodor Bohlmann miterlebt. Zunächst kamen nur Violinisten. Der Pianist Heiner Costabél brachte 1992 seinen Flügel mit. Nur: Der passte nicht die Treppe hinauf. Mit einer Handkreissäge hat der Museumsleiter kurzerhand den Boden aufgesägt und die Veranstaltung gerettet. Drei Jahre später hat die Sparkasse den Steinway-Flügel angeschafft. 

Es dämmert bereits, als Dieter-Theodor Bohlmann wieder im Eingangsbereich ankommt. Seine Frau sagt, dass das Museum in ein paar Minuten schließt. Sein Blick fällt auf ein Sandsteinrelief. Die Jorker Deckstation sorgte bis 1960 für starke Pferde. Ihr berühmtester Hengst Champion zeugte im 19. Jahrhundert stolze 1850 Fohlen. An der Stirnseite des Deckstalles erinnerte ein Relief an den geilen Hengst. Als das Gebäude abgerissen wurde, lag der Champion in Scherben und wurde mit dem Bauschutt vergraben. 1993 stieß Johann Schuback auf die Reliefteile. „Ein Steinmetzmeister hat Champion wieder zusammengesetzt“, erzählt Bohlmann, die Fassung hat er selbst gebaut.

In seinem Rücken steht ein weiteres Pferd. Es trägt seinen Namen: Theo. Der Hengst zieht das liebste Ausstellungsstück seines Namensvetters: ein Karriol mit kostbarer Originalschnitzerei auf dem Rückenbrett. Ein Karriol ist ein einspänniges Fahrzeug mit zwei Rädern, das wohlhabende Hofbesitzer im 19. Jahrhundert für Ausfahrten genutzt haben. Gerade einmal sieben dieser rasanten Fahrzeuge sind weltweit noch erhalten. 1992 überließ Heinrich Stölken das Gefährt dem Museum als Dauerleihgabe. „Ich habe mir immer ein Pferd dafür gewünscht“, erzählt Bohlmann. Doch der Antrag hatte im Rat keinen Erfolg – obgleich das Geschirr bereits vorhanden war. Ein Ratsherr forderte gar die Überarbeitung des Konzepts, weil ein Pferd wohl kaum etwas mit „Porzellan“ zu tun habe. Darüber lacht Bohlmann noch immer. Den kostbaren Theo haben schließlich Inge und Otto Quast gestiftet. 

Die Museumsleitung mag Dieter-Theodor Bohlmann abgegeben haben. Ruhe gibt er nicht. „Seit ich meinen Mann kenne, sprudelt er vor Ideen“, sagt Irmgard Bohlmann. Er schreibt, unterrichtet, vermittelt, organisiert. Sein neuestes Buchprojekt über „Stade in schwerer Zeit“ steht kurz vor der Veröffentlichung. Er unterrichtet noch immer Meisterkurse am Technologiezentrum Handwerk in Stade. Und wenn nichts anliegt, tischlert er in seiner Werkstatt. „Manchmal muss ich ihn fünfmal rufen, ehe er zum Essen kommt“, sagt seine Frau.

Mit seiner Begeisterungsfähigkeit, seiner Hartnäckigkeit und seinem Tatendrang ist der Stader dem ein oder anderen gewiss gehörig auf die Nerven gegangen. Bohlmann sagt ironiefrei Sätze wie „Nicht verzagen, Bohlmann fragen!“ und behält recht damit. 

Er schließt die Museumstür und geht über den kopfsteingepflasterten Hof in die Durchfahrtscheune von 1590. Im schummrigen Licht steht ein Modellhaus aus Holz. „Es ärgert mich, dass es hier draußen verkommt.“ Mehr als 1.000 Arbeitsstunden haben Berufsschüler mit ihren Lehrern in das Werk gesteckt, das die Altländer Fachwerkkunst originalgetreu abbildet. Lange stand es im Museum. Bohlmann zuckt mit den Achseln. „Ich habe nichts mehr zu sagen.“

Zum Abschied reicht er die Hand und sagt „Jetzt aber los!“ zu seiner Frau. Im Kofferraum hat er ein Werkstück aus Holz. Eine Säule oder so. Die muss er noch schnell nach Buxtehude bringen.

Deichlust

Text: Leonie Ratje · Fotos: Volker Schimkus