Ding Dong DEICHLUST

Wie wohnen die Altländer? Oder noch konkreter: Wer wohnt da eigentlich? Gute Fragen, spannende Antworten. Aber wer öffnet seine Tür und gibt einen Einblick in seine heiligen Räume? DEICHLUST-Fotograf Volker „Schimmy“ Schimkus zerstreute alle Bedenken schnell, denn schließlich hatte er für die Mopo einst eine legendäre Serie realisiert und über 200 Hamburger in ihren Wohnzimmern fotografiert. „Wir klingeln einfach“, kündigte er optimistisch an. Die Serie „Ding, Dong, Deichlust“ nahm ihren Lauf. 

Ein Haus wie ein Theaterstück

Zu Besuch im Flickenschildt-Haus in Guderhandviertel

Text: Mona Adams · Fotos: Volker Schimkus

Die Alten im Dorf wissen sofort, welches Haus gemeint ist, wenn vom Flickenschildt-Haus die Rede ist. Ein Giebel wie ein Bühnenbild. Fachwerk, das Geschichten erzählt. Ein Haus mit Auftritten, Abgängen – und einer Gegenwart, die sich nicht inszeniert, sondern gelebt wird. Die Geschichte beginnt 1822, als das niederdeutsche Fachhallenhaus in klassischer Zweiständerbauweise errichtet wurde. Oder besser: aus vorhandenem Bestand erneuert. Knaggen, Vorkragungen, Giebelsprüche – was anderswo als Zitat durchgeht, ist hier Original. Der sogenannte Ortgang am Wohnteil ist dreifach gestuft, die Backsteine mosaikartig gesetzt. Die Inschrift über der Haustür nennt das Baujahr. Und noch heute öffnet sich hier die originale Hochzeitstür: kräftig in Mittelblau gestrichen, verziert mit weißen, hellblauen und ockerfarbenen Ornamenten – mehr Gemälde als Zugang.

154 Jahre lang blieb der Hof in Familienhand, bis ihn 1976 die große Schauspielerin Elisabeth Flickenschildt kaufte und ihm Bekanntheit weit über Guderhandviertel hinaus verlieh. Sie wollte Bäuerin sein, mit Kühen, Kälbern, Pferden – und Blick auf die Lühe. „Flicki“ hatte sich verliebt in das Anwesen, nur durch Straße und Deich vom Fluss getrennt. Doch ihr ländliches Intermezzo war kurz. Bereits 1977 starb sie. Dazwischen lagen ein Einbruch, ein Nachbarschaftsstreit, ein Gerichtstermin – und der erste Frühling unter blühenden Kirschbäumen. Die Allee steht noch.

Heute – fast ein halbes Jahrhundert später – lebt hier ein Paar, das besser kaum passen könnte: Dr. Silke Philipp-Groß, Allgemeinärztin mit Schwerpunkt auf Naturheilkunde und Palliativmedizin, und Hans-Christopher Groß, Möbel- und Bautischler. Er, gebürtiger Berliner. Sie, zuvor in Oranienburg an der Havel. Gesucht wurde etwas Gemeinsames. Gefunden wurde ein Haus, das größer ist als geplant – aber genau richtig.

Der ehemalige Stall ist geblieben – zumindest dem Namen nach. Heute ist er Diele, Abstellraum, Konzertsaal, Werkstatt, Hochzeitssaal. Tiere gibt es nicht, stattdessen Gemälde, Deko, Krams und Aufsitzmäher. Es herrscht eine beruhigende Stille. Der Raum ist imposant mit seiner Flügeltür und den hohen Decken, und gleichzeitig bescheiden mit den ehemaligen Stallungen und den winzigen Fenstern an den Seitenwänden. Durchbrochen nur von einer modernen Sauna. Hier heirateten die beiden 2019, kurz nachdem Hans eingezogen war. 2020 folgte Silke dann „so richtig“.

Vom Stall führt eine Tür in den eigentlichen Wohnbereich – und damit in ein Zuhause, das sich warm anfühlt. Die Küche ist das Herzstück: Kaminfeuer, Kerzenlicht, Landhausstil. Er kocht, sie schnippelt Salat. Der Tisch lässt sich ausziehen, wenn Gäste kommen – was oft der Fall ist. Sieben Kinder, fünf Enkel, viele Geschichten. Wenn es voll wird, wird’s nicht eng. Sie weichen dann einfach aus. Der Stall hat Platz.

Das Erdgeschoss ist ihr Lebensmittelpunkt. Oben wartet ein Dachboden, der wie aus einem Kinderbuch gefallen scheint – unausgebaut, unberührt, voller Möglichkeiten. „Brauchen wir gar nicht“, sagen sie. Mit der kleinen Ferienwohnung im Ensemble passt es.

Die Wände erzählen mit: Gemälde, Fotos, Erinnerungen. Ein gigantisches Porträt der Urururgroßmutter hängt über allem. Darunter eine Hochzeitstruhe von Familie Wesfelhöft. Eine Tür trägt noch den Namen eines früheren Besitzers. Ein Schild erinnert an Elisabeth Flickenschildt. Im Keller: ein altes Pökelbecken. Draußen: Rosen an Rankhilfen von Künstler Klaus Noormann mit Initialen von den Vorbesitzern Olaf und Kerstin, ein Teich, das Reetdach – teils erneuert –, und ein Garten, der nach Zeit duftet.

Und mittendrin zwei Menschen, die nicht restaurieren, sondern bewahren. Nicht besitzen, sondern bewohnen. Mit allem, was dazugehört. Wärmepumpe inklusive.

„Bei uns ist immer ein Bettchen frei“, hatte er zu ihr gesagt, als sie sich kennenlernten. Heute teilen sie eines – im gemeinsamen Traum vom Leben auf dem Land. Dass dieser Traum auch ausgezeichnet wurde, passt ins Bild: Am Haus hängt ein historisches Schild: 1. Preis in der Kategorie „Historisches Gebäude“.

Das Flickenschildt-Haus ist geblieben, was es immer war: ein Ort, der einlädt. Zum Wohnen. Zum Erzählen. Zum Weiterleben.

Info

Lohnt sich ein Blick in Ihr Wohnzimmer? Haben Sie eine spannende Geschichte zu erzählen? Schicken Sie uns ihre Bewerbung an adams@deichlust.de und schon bald klingeln wir bei Ihnen. DingDong