Ding Dong DEICHLUST

Wie wohnen die Altländer? Oder noch konkreter: Wer wohnt da eigentlich? Gute Fragen, spannende Antworten. Aber wer öffnet seine Tür und gibt einen Einblick in seine heiligen Räume? DEICHLUST-Fotograf Volker „Schimmy“ Schimkus zerstreute alle Bedenken schnell, denn schließlich hatte er für die Mopo einst eine legendäre Serie realisiert und über 200 Hamburger in ihren Wohnzimmern fotografiert. „Wir klingeln einfach“, kündigte er optimistisch an. Die Serie „Ding, Dong, Deichlust“ nahm ihren Lauf. 

Komposition in Grün und Rosenrot

Ein Garten als Gemälde

Text: Mona Adams · Fotos: Volker Schimkus

Das Häuserensemble ist ein Traum. Doch im Fokus liegt der versteckte Garten, der weder vom Deich noch von der Straße einsehbar ist. Hinter Backsteinfachwerk und Reet breitet er sich aus wie ein geheimes Bild – nur für jene sichtbar, die eine der schmalen Pforten passieren. Buchshecken rahmen den Weg, Rosen setzen Farbflecken in Pink und Weiß. Es ist ein Garten, der nicht einfach wächst, sondern komponiert ist. „Ich kreiere meinen Garten“, sagt Sigrid Johannsen – die gerade 84 geworden ist – und jeder Strauch, jede Blüte bestätigt es.

Vor der klaren Geometrie von Fachwerk und himmelblauen Fenstern steigern sich die Farben ins Üppige: Hortensien, Sommerblumen, Hecken wie gezogene Linien. Hier leuchtet kein Beet zufällig, hier wächst alles mit Absicht. Versteckte Sitzplätze warten zwischen Lavendel und Kletterrosen, Staudenbänder verbinden Rasenflächen mit Pflasterwegen, Pinselstriche wirken. Wer hier sitzt, spürt, dass dieser Garten nicht nur gepflegt, sondern mit Liebe gestaltet ist.

Zum Ensemble gehört ein Haupthaus, im Garten ein Teehaus und ein Nebenhaus von 1779, das einst ein Stall war. Über die frühere Geschichte des Haupthauses ist kaum etwas bekannt – nur, dass hier vor langer Zeit eine Stellmacher-Familie lebte und arbeitete. Dass es heute so strahlt, liegt an der unermüdlichen Fürsorge seiner jetzigen Besitzerin. „Es wurde kaum etwas vom Ursprung weggenommen oder zerstört“, so Sigrid Johannsen. Der Terrazzo-Boden im Flur ist immer noch im Originalzustand. Eine Seltenheit. Alles andere brauchte nur ein wenig Pflege und Farbe. Alle Balken sind heute in Graublau gestrichen, regelmäßig kommt der Maler, damit kein Strich verblasst. „Ich möchte alles vollkommen haben. Das ist meine Freude und Leidenschaft“, sagt sie und meint damit nicht nur das Holz, sondern das ganze Anwesen.

Drinnen hat jedes Ding seinen Platz – und diesen Platz seit Jahren. Porzellanschälchen, Bilderrahmen, Blumenvase, alles steht oder hängt exakt, wie es stehen oder hängen soll. Für ein Reetdachhaus ungewöhnlich: die Helligkeit. Licht fällt in sanften Kegeln auf Sessel und Sofas, im Wohnzimmer: Rosen in Vasen, goldbraune Glaskugeln auf der Fensterbank, ein Kronleuchter aus Draht und Eisen wie ein Kranz, der Jahreszeiten sammelt.

Geboren wurde Sigrid Johannsen 1941 in Hamburg. Als eine Fliegerbombe das Familienhaus zerstörte, bauten die Eltern in Rissen eine neue Existenz auf. Eine Kindheit mit zwei älteren Schwestern, an der Elbe, geprägt von Dorfleben und Idylle. Goldschmiedin sollte sie werden, Balletttänzerin wollte sie werden. „Es wäre meine Erfüllung gewesen.“ Stattdessen ging sie ins Ausland, studierte dann Grafik und Design, gestaltete eine Laufbahn in der Werbebranche, die von Erfolg geprägt war. Ein Wechsel in die Feinkostbranche machte sie zur Vielfliegerin. Auf einem Flug lernte sie ihren Mann Jim kennen. „Über den Wolken habe ich mein großes Glück gefunden“, sagt sie, und wenn sie von ihm erzählt, strahlt sie. „Ab da fühlte ich mich aufgefangen.“

Anfang der 90er: Ihr Wohnglück an der Alster hielt nicht lange, dann waren sie auf Immobiliensuche in den Elbvororten. Völlig ungeplant landeten die beiden eines Tages im ihnen bekannten Alten Land. Hauptsache alt, Hauptsache Reetdach, hatte sie gesagt. Und doch. Sigrid war nicht bereit, Hamburg zu verlassen. Jim war voller Euphorie, überzeugte sie, sich ein Altländer Haus anzuschauen. „Das Haus hat mich nicht interessiert“, so Sigrid Johannsen – bis sie den verwilderten Garten sah, in desolatem Zustand, mit Tannen und Kiefern überwuchert, aber mit Deichzugang und Lühe. „Hier machst du einen Garten draus“, dachte sie, und der Widerstand war gebrochen.

Heute erzählt dieser Garten, wie das ganze Anwesen, ihre Geschichte, in jedem Winkel Liebe und Sorgfalt. Die 84-Jährige ist stolz auf das, was sie geschaffen hat. Sie ist ein Stehaufmännchen und Glücksmensch – auch nach schweren Jahren. Vor sechs Jahren starb ihr Mann. Heute lebt sie mit ihrem fünfjährigen Hund Toffee zusammen. „Ich habe noch nie so einen tollen Hund gehabt“, sagt sie und lächelt. Er weicht ihr nicht von der Seite. Hier sind sie angekommen, hier hat sie liebe Freunde und Nachbarn gefunden. „Hier bin ich zu Hause.“

Ihr Lieblingsplatz ist im Teehaus, das von einem guten Freund an derselben Stelle wie das alte, neu gebaut wurde. Mit Blick nach oben. Wenn sie auf der Bank liegt, kann sie durch das große Eckfenster direkt in den Himmel sehen. Hier kommt sie mittags zur Ruhe, so wie es Jim ihr geraten hat: sich Zeit nehmen, Pause machen, die Stille genießen. Bevor sie sich wieder an die Gartenarbeit macht. Den Winter mag sie nicht, aber die Gemütlichkeit, die er mit sich bringt: nur der obere Teil der Klönschnack-Tür geöffnet, das Prasseln des Regens, der Wind in den Bäumen – ihre Oase.

Info

Lohnt sich ein Blick in Ihr Wohnzimmer? Haben Sie eine spannende Geschichte zu erzählen? Schicken Sie uns ihre Bewerbung an adams@deichlust.de und schon bald klingeln wir bei Ihnen. DingDong