Ein beißender Geruch liegt in der Luft, während ein gelblicher Dunst über dem Industriegebiet
wabert. Sirenen heulen auf, Lautsprecherdurchsagen fordern die Menschen auf, Türen und Fenster geschlossen zu halten. Es ist nur ein Szenario, doch der Landkreis ist genau für solche Fälle vorbereitet. Alle Helfer wissen genau, was zu tun ist. Im Katastrophenschutzzentrum am Julius-Leber-Weg in Stade.
Im ersten Büro des Katastrophenschutzzentrums, Erdgeschoss, Tür links, warten Ordner an Ordner auf ihre Einsätze: Katastrophenschutzsonderpläne und Gefahrenabwehrpläne für alle möglichen chemischen Unternehmen des Landkreises. Es gibt Fahrtroutenbeschreibungen, eine Karte mit den Symbolen der Gefahrstoffe, amtliche Karten für die Einsatzleitungen. Im Krisenfall gewappnet sein. Auch mit Blöcken, Stiften und Kunststoff-Heftstreifen. Rund 40 Arbeitsplätze sind ad hoc nutzbar. Alles ist eingerichtet.
Vor einem Jahr wurde das Katastrophenschutzzentrum am Julius-Leber-Weg in Stade feierlich eingeweiht. Mit einem Investitionsvolumen von zwölf Millionen Euro gehört es zu den größten Bauprojekten des Landkreises und soll die Region im Katastrophenfall besser absichern. Landrat Kai Seefried sprach bei der Eröffnung von einem wichtigen Schritt für die Sicherheit der Bevölkerung. „Mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine hat sich unser Leben in Europa und in Deutschland verändert. Noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges haben so viele Menschen Schutz und Sicherheit bei uns gesucht“, sagte Seefried. „Gleichzeitig haben die Aufgaben im Zivil- und Katastrophenschutz eine ganz neue Bedeutung, wie wir sie mindestens seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr kennen.“ Der Bau war notwendig geworden, um auf wachsende Herausforderungen wie Naturkatastrophen, Flüchtlingsbewegungen und Energiemangellagen vorbereitet zu sein. Das Land Niedersachsen hatte deshalb die Landkreise und kreisfreien Städte verpflichtet, die zivile Alarmplanung als Bestandteil des Bevölkerungsschutzes vorzuziehen und beschleunigt umzusetzen. Mit dem Neubau ist der Landkreis führend im Krisenmanagement. Innerhalb von nur neun Monaten wurde das Zentrum realisiert – ein Beispiel für effiziente Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Wirtschaft.
In der ersten Etage des Katastrophenschutzzentrums ist Platz für den Stab. Der WLAN-Router blinkt grün, die Computer surren. Auch die Technik ist einsatzbereit. Namensschilder zeigen die Sitzordnung und jedem sofort seinen Platz. Im Bürotrakt befinden sich die Räume des Katastrophenschutzstabs, der Technischen Einsatzleitung und der Fernmeldezentrale. Diese stehen rund um die Uhr bereit und dienen sowohl der Koordination im Ernstfall als auch der Ausbildung und Schulung von Einsatzkräften. Zusätzlich sind Bedarfsarbeitsplätze für die Feuerwehr- und Rettungsleitstelle eingerichtet worden, um im Krisenfall einen reibungslosen Betrieb sicherzustellen.
Ein Bahnunglück, ein Flugzeugabsturz, ein Chemieunfall, ein Großfeuer, eine Überschwemmung, ein Cyberangriff oder ein Blackout. Die Liste von möglichen Gefahren ist lang. Wenn eine Situation vorliegt, die eine normale Einsatzlage übersteigt, übernimmt der Landkreis. „Der Landrat würde dann eine Katastrophe oder ein besonderes Ereignis melden“, und schon würden genaue Einsatzpläne greifen, so Pressesprecher Daniel Beneke. Treffpunkt aller Beteiligten: das Katastrophenschutzzentrum. Sabine Brodersen, Dezernentin für Ordnung und Recht beim Landkreis Stade, hätte dann gemeinsam mit Landrat Kai Seefried den Vorsitz. Würde der Stab im Schichtbetrieb rund um die Uhr arbeiten müssen, dann würde sie sich die Leitung mit Kreisbaurätin Madeleine Pönitz im Wechsel teilen. Mit einem Einsatztagebuch wäre die Krise darüber hinaus rechtssicher dokumentiert.

Erst ist es nur ein dumpfes Grollen, dann bricht die Wassermauer durch – unaufhaltsam. Binnen Minuten stehen Straßen unter Wasser, Keller laufen voll, Apfelplantagen versinken in den Fluten. Deichbruch im Alten Land. Noch ein Szenario. Im Katastrophenschutzzentrum wäre Platz für viele viele auswärtige Feuerwehrkräfte oder gegebenenfalls auch für die Menschen, die ihre Bleibe verloren hätten. „Wir können per sofort 150 Menschen unterbringen“, so Daniel Beneke. Mit ein wenig Vorlauf ließen sich doppelt so viele Personen aufnehmen.
Das Herzstück des Geländes ist die 11.000 Quadratmeter große Multifunktionshalle mit zwei flexibel nutzbaren Bereichen von je 1.800 Quadratmetern. Die energetische Ausstattung des Gebäudes entspricht den neuesten Standards. Eine Photovoltaikanlage sorgt für nachhaltige Stromerzeugung, und das Heizsystem ermöglicht eine Beheizung der Halle ohne zusätzliche Technik. Damit erfüllt das Zentrum nicht nur sicherheitsrelevante, sondern auch ökologische Anforderungen.
Hier werden wichtige Ausrüstungen für den Katastrophenschutz gelagert, darunter Notstromaggregate und mobile Tanklager sowie sanitäre Einrichtungen für bis zu 500 Personen, getrennt in Dusch- und Toilettenbereiche, bereit für den Ernstfall. Und eben Unterbringungs- und Versorgungsmöglichkeiten für 150 Personen. Dicht an dicht stehen weiße Zelte im Zentrum der rechten Halle, jedes ausgestattet mit drei Etagendoppelbetten. Auf den noch in Plastik eingeschweißten Matratzen liegen sorgfältig verpackte Erstausstattungssets mit Matratzenschoner, Laken, Kopfkissen, Decke und Bezug.
Bislang blieb das Katastrophenschutzzentrum ungenutzt – ein Ernstfall ist zum Glück noch nicht eingetreten. Stabsleiterin Sabine Brodersen sieht das jedoch keineswegs als Mangel, sondern als Grund zur Erleichterung. Derzeit dient das Gebäude vor allem Schulungen und Übungen für verschiedene Einsatz-Szenarien. Einmal im Jahr wird der Katastrophenschutz mit allen Stabsmitgliedern durchgespielt – und wenn es dabei bleibt, wäre das wohl das beste Szenario.

Text: Mona Adams · Fotos: Volker Schimkus