Klassik in der Küche, Kontrast auf dem Teller
Es gibt Küchen, in denen liegt der Duft von heute über den Rezepten von gestern. Im Hotel Altes Land in Jork ist das genau so.In der Küche dampft die Hochzeitssuppe, wie damals aus Rindfleisch, Sellerie, Lauch, Petersilienwurzel, Muskat, Ingwer, Ei und Butter, mit Weißbrot und warmen Rosinen. Damals, als die Gäste aus der Nachbar-schaft noch ihren eigenen Löffel mitbrachten. Es schmort der Teebraten, den es schon gab, als noch der Großvater des heutigen Geschäftsführers Chef war. Und der Grünkohl?
Viele Wege führen ins Hotel Altes Land, einem Traditionsbetrieb mit Hotel und Gastronomie, mitten in Jork. 1640 erstmals erwähnt, ging der Hof 1831 mit der Heirat von Anna-Charlotte (geb. Sackmann) und Jacob Wehrt in Familienbesitz über. Zuvor hatte ihn Carolin Sackmanns Großvater von Nicolaus Schuback erworben – dem in Jork geborenen Anwalt und Hamburger Bürgermeister, der die Hansestadt von 1754 bis 1782 regierte. Ein Haus zum Zusammenkommen – für jeden Anlass der passende Raum: von den Altländer Stuben über den Hochtiedssool und den Tiffany Saal bis zum Restaurant. Letzteres nordisch-gemütlich, mit Holzmöbeln auf Terracotta-Fliesen, Stoffen in Blau und Weiß, die Servietten spitz gefaltet. Messinglampen am Fenster werfen warmes Licht in den Raum. An den Wänden reihen sich blau schimmernde Teller, auf den Bänken Ornamente wie Altländer Prunkpforten. Ein Haus mit Wurzeln im Gestern und offenem Blick für Morgen.
„Das ist unser Hausgericht“, sagt Koch Oliver Wendt, während er mit ruhiger Hand Hagebuttensauce über den Teebraten gießt. Gemeinsam mit Küchenchef Dennis Korczanowski und Bastian Jacobs teilt er sich die Küche mit fünf Auszubildenden, zwei Spülkräften und mehreren Aushilfen. Schwarze Kappe, konzentrierter Blick: Mit 13 kam Oliver Wendt zum ersten Schulpraktikum ins Haus, mit 14 zum zweiten – direkt darauf unterschrieb der gebürtige Buxtehuder seinen Ausbildungsvertrag. Seit sieben Jahren kocht er sowohl für das Pärchen am gedeckten Tisch im Restaurant als auch für die Hochzeitsgesellschaft mit 170 Personen im großen Saal. „Ich liebe die Eventküche“, sagt er. „Wenn draußen die Hochzeitsgesellschaft wartet und wir drinnen das Buffet füllen.“ Der Stress, die Anspannung, die Perfektion – und dann dieser Moment, wenn er durch die Tür spickt und das glückliche Paar am Buffet sieht.
Bühne aus Edelstahl
Es riecht nach angebratenem Apfel und frischen Kräutern. Die Küche des Hotel Altes Land ist kein enger Arbeitsplatz: viel Raum, breite Durchgänge, Arbeitsinseln aus Edelstahl, die blitzen wie frisch poliert. In einem Teil die kalte Küche, in dem anderen die warme, dahinter der Buffetbereich. Dazu Trockenlager, Kühllager und das kleine Küchenbüro – Herz und Kopf unter einem Dach. Hier kann das Team nebeneinander arbeiten, ohne sich auf die Füße zu treten, und sich trotzdem über jeden Handgriff hinweg zurufen.
Oliver Wendts Lieblingsbereich: die Saucen-Bain-Marie, ein Warmhaltebecken für bis zu 15 Saucen, die morgens angesetzt werden. Dunkel und glänzend, hell und cremig, fruchtig, würzig, sämig – jeder Topf ein eigener Ton in der Komposition. „Ich liebe es, Saucen zu kochen“, sagt Oliver. Für ihn sind sie das verbindende Element auf dem Teller. In dieser Küche haben sie Platz, sich auszubreiten – und Zeit, Geschmack zu entfalten.
Karte mit Gschichte und Ernte
Früher gab es hier nur bodenständige Hausmannskost. Es gibt sie noch heute: Steakteller mit Bratkartoffeln, Schnitzel mit Champignoncremesauce, Finkenwerder Fischteller, Matjes Hausfrauenart: Gerichte, die Touristen erwarten – und hier in Bestform bekommen.
Doch hinter der traditionellen Fassade steckt Bewegung. „Früher war die Karte viel größer. Jetzt bieten wir eine feinere Auswahl und bessere Qualität“, sagt Yannick Stopp, Personal- und Betriebskoordinator, oder einfach: Mann für alles. Die saisonale Empfehlungskarte folgt dem Kalender: Äpfel vom Obsthof Feindt und Herzapfelhof, Kartoffeln vom Hof Bartels, Gemüse von langjährigen Partnern. Daraus wird: Altländer Apfelkuchen, Apfelrisotto mit Kürbissalat, Kräutersteak vom Schwein, überbacken mit Apfel und Schafskäse, Tagliatelle mit Pfifferlingen und Birne.
„Was die Touristen auf den Obsthöfen sehen, kriegen sie bei uns auf den Teller.“
Und: seit ein paar Jahren wächst das Angebot in eine Richtung, die im Alten Land noch nicht selbstverständlich ist: vegan und vegetarisch. „Während die Altländer Ernährungsform überwiegend klassisch ist, fragen Gäste von außerhalb vermehrt nach veganen und vegetarischen Gerichten. Eine Nachfrage, der wir gerne nachkommen. Beides hat bei uns seinen Platz“, so der Mann für alles. So wird hier heute nebeneinander serviert, was schon immer auf den Tisch gehörte – und was vor kurzem kaum jemand bestellt hätte.
Küche der Begegnung – Tradition mit Spielraum
An Ideen mangelt es nicht. „Unsere Köche und Azubis können eigene Ideen einbringen“, erzählt Yannick Stopp. Solange es betriebswirtschaftlich rentabel bleibt. Oliver Wendt: „Als Koch habe ich nie ausgelernt. Ich freue mich, dass wir in diesem Jahr eine chinesische Auszubildende neu im Team haben. Sie bringt neue Einflüsse mit.“ Frischer Wind auch durch Azubis.
Eine davon ist auch Naouel Boukerrouche, gebürtige Algerierin, seit einem Jahr im Hotel Altes Land. In Jork – beruflich wie privat – zu Hause. „Grünkohl, Spargel oder Pfifferlinge kannte ich vorher nicht“, sagt sie. Jetzt weiß sie, wie man Grünkohl zubereitet. Im Hotel Altes Land hat sie ihre Leidenschaft für die Patisserie entdeckt. Im Herbst geht es für sie zur Fortbildung nach Frankreich. Mit dem Wissen will sie die Desserts im Restaurant noch besser machen.
Das Team serviert ein Deichlust-Hauptgericht, das in diesem Haus beliebt ist: zartes Fleisch im dunkel glänzenden Saucenspiegel, karamellisierte Fingermöhren, goldbraunes Kartoffelgratin – innen weich, außen knusprig. „Der Teebraten steht für unser Haus.“ Er ist gefragt.
Tradition hier ist kein Klotz am Bein. Sie ist Fundament. „Man muss sich öffnen und kleine Dinge bewahren“, so Yannick. Das Hotel Altes Land trägt seine Gastlichkeit in eine Zeit, die sich weiterdreht – ohne die Wurzeln zu verlieren.

Text: Mona Adams · Fotos: Volker Schimkus