Bullerbü auf dem Herzapfelhof

Der Herzapfelhof zeigt, wie gelungenes Storytelling neue Wege öffnet

Leuchtend rot, zum Anbeißen süß. Im Herbst hängen die Obstbäume des Alten Landes voller knackig frischer Äpfel.  Es ist Erntezeit auf den Apfelplantagen an der Elbe. Auf dem Herzapfelhof in Osterjork tuckert Obstbauer Hein Lühs mit seinem Apfelexpress voller Gäste durch die langen Baumreihen und winkt den Familien, die hier Äpfel pflücken, fröhlich zu.

er seine Äpfel nicht nur produziert, um sie dem Handel abzuliefern, muss bereit sein, sich und seinen Hof zu öffnen“, sagt Hein Lühs. Viele Tausend Gäste besuchten im Jahr 2022 den Herzapfelhof. Bei Familie Lühs ist immer Tag des offenen Hofes. Und längst sind es nicht mehr nur Seniorengruppen, die in großen Reisebussen auf den Hof rollen. Apfelpflücken liegt im Trend und die Apfelernte ist in vollem Gange. 

Neben dem Altländer Fachwerkhaus von 1846 führt eine lange Auffahrt auf den Herzapfelhof. Wer zum ersten Mal hier ist, folgt den Parkplatzschildern und fährt ein gutes Stück vorbei an Häusern und Hallen. Hinter einer Feldwegkreuzung öffnet sich die fantastische Welt des Herzapfelhofs. 

Im großen Hofladen stehen die Gäste in der Apfelsaison Schlange, um sich für die lustige Pflückerei anzumelden. Mit Pflückkarte, Eimern und Bollerwagen ziehen viele Familien mit Kindern in die langen Apfelbaumreihen, um die Biofrüchte direkt vom Baum zu ernten und zu naschen. Bezahlt wird anschließend nach Kilogramm. Im angeschlossenen Hofcafé können sich die Besucher vom Vergnügen auf dem Feld erholen. Ein Stück Obstkuchen bringt die Kräfte zurück.  

Seinen Ursprung nahm das alles hier Ende der 70er-Jahre. Die Zeiten für Obstbauern seien schlecht gewesen damals, erinnert sich Hein Lühs. Um sich unabhängiger vom Preisdiktat des Handels zu machen und seine Existenz zu sichern, entschied er, die Äpfel des damals sechs Hektar großen Betriebs vorne an der Straße selbst zu verkaufen. Die Direktvermarktung lief so gut, dass er bald schon einen alten Stall zu einem Hofladen umbaute. Dass der Herzapfelhof von Bauer Lühs und seiner Familie heute aber bundesweit bekannt ist, verdankt er dem Bikini-Prinzip.

Wenn die Abende langsam kürzer werden und das Licht golden, wenn ganz allmählich die kühle Herbstluft sich in die Tage drängt, tragen viele Menschen den Sommer noch auf ihrer Haut. Und was von der Vogue 2023 zum Stilelement erklärt wurde, brachte Hein Lühs vor mehr als drei Jahrzehnten auf die stilprägende Idee für seinen Betrieb: Bikinistreifen. 

Bei der Ernte fiel Hein Lühs ein Apfel in die Hände, an dessen Schale ein Blatt klebte. Er zog es runter und fand das Blatt hellgrün und gestochen scharf auf der roten Apfelschale abgebildet. Es war die Geburtsstunde einer genialen PR-Idee: der Herzapfel. 

Mit kleinen Herzaufklebern startete die Erfolgsgeschichte des Herzapfelhofs. Von Hand wurden sie an die schon großen, aber noch unreifen grünen Äpfel geklebt. Die Sonne erledigte den Rest. Nach einigen Wochen wurden die Herzapfelsticker bei der Ernte rückstandslos wieder abgezogen – die Herzen blieben. Und dann bekam Hein Lühs die Gelegenheit, seine Herzäpfel direkt in die deutschen Wohnzimmer zu bringen.

In der Fernsehkarriere von Frank Elstner zählt die Samstagabendshow „Nase vorn“ nicht zu den Glanzlichtern. Nach wenigen Folgen hat das ZDF sie wieder eingestellt. In einer aber war 1989 der Altländer Obstbauer Hein Lühs zu Gast und präsentierte seine Herzapfel-Erfindung. Vor laufenden Kameras versprach er seiner Verlobten 10.000 Herzäpfel zur Hochzeit. 

Heute gestaltet der Herzapfelhof Jahr für Jahr mehr als eine halbe Million Logoäpfel auf Bestellung. 

Familie Lühs versendet ihre Äpfel deutschlandweit und sogar über die Landesgrenzen hinaus. 40.000 Pakete packen die Vertriebskräfte jedes Jahr.
Freilich hat längst moderne Lasertechnik die Apfelaufkleber abgelöst. Der schonende Laser kommt ohne wochenlangen Sonnenschein aus und erlaubt kurzfristige individuelle Bestellungen von Motiväpfeln. Die in die Frucht gelaserten Motive machten die Äpfel von Lühs zum Verkaufsschlager. Das Herz mit dem kleinen Herz im Inneren bleibt der Klassiker. „Vor mehr als 20 Jahren haben wir unseren ersten Onlineshop eingerichtet“, erzählt Tochter Meike Lühs, die sich um das Marketing kümmert und den Hof mittlerweile in fünfter Generation mit ihrem Bruder Rolf Lühs führt. Plötzlich riefen Leute aus ganz Deutschland an. 

Doch nicht nur digital hat die Familie die Herzapfel-Idee konsequent zu Ende gedacht. 2009 pflanzte Hein Lühs 250 verschiedene Apfelbaumsorten in Form eines großen Herzapfels. Der 5.000 Quadratmeter große Herz-Apfel-Garten ist Teil des erfolgreichen Storytellings rund um den Herzapfel. Auch Apfelbaumpatenschaften zählen dazu. Mehr als 2.000 Menschen sind Paten von Apfelbäumen auf dem Hof. Wer es nicht schafft, seine Früchte selbst zu ernten, kann sich seine Bio-Äpfel zuschicken lassen. 

Mittendrin im lauschigen Obstbaumherz des Herz-Apfel-Gartens sitzt um die Mittagszeit eine Besuchergruppe aus Bleckede bei Lüneburg. An den runden Holztischen genießen sie ein Picknickfrühstück, das ihnen das Hofcafé auf Vorbestellung in einem Bollerwagen zusammengepackt hat. Ein paar Meter weiter führt Hein Lühs ein Paar aus Hamburg durch den Garten mit den vielen historischen Apfelsorten. Sie haben die exklusive Führung von Freunden geschenkt bekommen. Kurzentschlossene können sich aber für 7,50 Euro auch einfach einer öffentlichen Führung mit Hein Lühs anschließen. Von April bis Oktober startet er täglich eine Runde über den Herzapfelhof und beantwortet alle Fragen. „Manchmal stehen hier 30 Leute, an anderen Tagen auch nur zwei“, erzählt Hein Lühs. „Was ich erzähle und welche Route wir nehmen, richtet sich immer auch nach den Interessen der Teilnehmer, das mache ich sehr individuell.“ Und sonntags startet der Bullerbü-Apfelexpress über den Hof. 

Während Rolf Lühs sich um den Obstanbau kümmert, widmet sich der Senior den Hofführungen. Auch Schulklassen, Kita-Kinder oder Betriebsgruppen wandern mit ihm über die Plantagen und in die Lagerhallen. Mehr als 500 Führungen macht Hein Lühs pro Jahr. 2022 erst war Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir privat mit seinem Sohn zu Gast bei Hein Lühs, um sich über die Abläufe auf dem Bioapfelhof und die aktuellen Herausforderungen für die Altländer Obstbauern zu informieren. 

Meike Lühs

Auf dem Herzapfelhof scheint alles darauf ausgelegt, viele Gäste zu empfangen und ihnen einen schönen Tag auf dem Obsthof zu bereiten. 15 Hektar stehen für die Selbstpflücker zur Verfügung. „Klar, da muss man auch Lust draufhaben, ständig Menschen auf dem Hof zu haben“, sagt Meike Lühs. Die Erfahrung zeige: Wer den Hof besucht und die Eindrücke vor Ort mitnimmt, bleibt Herzapfelhof-Kunde. Im Kern, sagt Hein Lühs, sei es immer um Obstanbau gegangen. 

„Wir machen das alles hier, um die Zukunft unseres Obstbaubetriebs zu sichern. In erster Linie wollen wir gutes Obst produzieren.“ 

Hein Lühs

Vor rund zehn Jahren entschied Familie Lühs, von integriertem Anbau auf Bio umzusteigen. Seit 2012 arbeitet der Hof ohne chemische Pflanzenschutz- und Düngemittel. Der Anstoß dazu kam von Geschäftskunden, die Motiväpfel bestellten. Sie wünschten sich vermehrt Bio-Äpfel für ihre Events und Präsente. Der Respekt vor den Kosten und dem Mehraufwand hat Hein Lühs einige schlaflose Nächte gekostet. Heute ist er froh, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Bioanbau ist vielen Kunden wichtig.

Der Betrieb wuchs und mit ihm die Infrastruktur. Die Familie pachtete Anbauflächen hinzu, heute umfasst der Betrieb 50 Hektar. 1500 Tonnen Äpfel produziert der Herzapfelhof in einer Saison, ein Drittel der Bio-Früchte wird auf dem Hof direkt vermarktet. Längst ist der Betrieb dem kleinen Hofladen vorne an der Straße, mit dem vor drei Jahrzehnten alles losging, entwachsen. Und auch die alten Lager waren zu klein geworden.

Vor vier Jahren eröffnete Familie Lühs einen neuen zweigeschossigen Hofladen auf mehr als 400 Quadratmetern Fläche mit angeschlossenem Hofcafé. Der Laden befindet sich nun viel näher am Herz-Apfel-Garten, steht also gleichsam im Zentrum des Erlebnisses Herzapfelhof. Im Rückblick genau der richtige Zeitpunkt. Die vielen Auflagen und Einschränkungen während der Corona-Pandemie – Stichwort Abstandsregelung – ließen sich in dem großzügigen Neubau und auf den Plantagen gut umsetzen. 

Im Rücken des Hofcafés lagern die Äpfel in neuen Langzeitlagerkammern mit ökologisch nachhaltigem Energiekonzept inklusive Photovoltaikanlage, Hackschnitzelheizung und Wärmerückgewinnung. „Es ist kein Hexenwerk, rund ums Jahr gute Äpfel anzubieten“, sagt Hein Lühs. Auch wenn der Verzicht auf synthetischen Pflanzenschutz deutlich mehr Arbeitsaufwand bedeute, um Pflanzen und Früchte zu schützen. Bevor die geernteten Äpfel in die Kühllager kommen, werden sie in der neuen Sortierhalle gegen den Schorf-Pilz mit warmem Wasser behandelt, sodass während der langen Lagerung weniger Fäule entsteht. Dazu setzt Familie Lühs auf Heißwassertauchen, integriert in die Sortiermaschine. Bevor die Äpfel eingelagert werden, werden sie mit 55 Grad warmem Wasser geduscht, das gewissermaßen die Selbstheilungskräfte der Früchte aktiviert. 

Die Geschichte des Herzapfelhofes reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück. Mit der Entscheidung, ihren Hof für Kunden zu öffnen, trafen Hein und Beate Lühs voll ins Schwarze. Pfiffige Ideen und ökologischer Anbau machten den Hof zu einem Besuchermagneten mit Alleinstellungsmerkmal. Wer hierher kommt, darf sehen, pflücken, schmecken und damit „live“ erleben, wie moderner Apfelanbau im Einklang mit der Natur funktioniert. Zwei Generationen Lühs führen den traditionsreichen Familienbetrieb mit jeder Menge Start-up-Spirit in die Zukunft. Bullerbü mit Herzäpfeln, mitten im Alten Land. 

Deichlust

Text: Leonie Ratje  · Fotos: Volker Schimkus