Haben die Hofnachfolge geregelt: Die Schwestern Ariane Hauschildt und Britta Stechmann mit ihren Eltern Gerd und Petra Stechmann (von links).
Haben die Hofnachfolge geregelt: Die Schwestern Ariane Hauschildt und Britta Stechmann mit ihren Eltern Gerd und Petra Stechmann (von links).

Blühende Zukunft: Generationenwechsel auf dem Obsthof 

Während Deutschlands Babyboomer auf die Rente zusteuern, stellt sich vielerorts die Frage, wer sie ersetzen soll. So auch auf vielen Altländer Obsthöfen. Vorbei die Zeiten, in denen der Weg des ältesten Sohnes in den Obstbau vorbestimmt war. Obstbauer Gerd Stechmann aus Guderhandviertel freut sich, dass seine Töchter den Betrieb in siebter Generation weiterführen werden. 

Es ist einer dieser grau-diesigen Morgen, die oft die sonnigsten Tage ankündigen. Ariane Hauschildt, 30, steuert den Lkw auf den Pferdemarkt in Stade und manövriert den Anhänger auf den gewünschten Platz. „Guten Morgen!“, ruft sie in die Runde der Frühaufsteher in roten Stechmann-Pullis. Ruckizucki ziehen sie den Anhänger auseinander: Aus acht Metern werden 14. Reichlich Platz für frisches Obst und Gemüse. Sie klappen Seitenteile hoch, ziehen Präsentiertische aus, versorgen die Kassen mit Strom und schalten das Licht ein. Ariane Hauschildt lädt mit der Ameise Paletten aus dem Lastwagen ab. Schweigend arbeiten alle vor sich hin, jeder Handgriff sitzt, zügig füllt sich der Stand. 

Über Kohlrabi, Erbsen und Möhren geht es weiter zu Auberginen, Paprilka und Blattsalaten. Auf Pilze, Süßkartoffeln und Tomaten folgt Spargel, dann das Obst. Anne Rempe wischt den Tresen und stellt Preisschilder auf. Britta Stechmann, 28, packt mit schnellen Händen Äpfel. In den Wintermonaten seien vor allem Zitrusfrüchte stark gefragt, sagt sie, „jetzt beginnt der Run auf Erdbeeren und Spargel“. 

Seit vier Jahren betreibt Obstbau Stechmann aus Guderhandviertel einen Stand auf dem Wochenmarkt in Stade. Genauer: die Töchter Ariane Hauschildt und Britta Stechmann. „Wir wollen beide in den Familienbetrieb einsteigen, aber meine Eltern sind ja noch voll aktiv dabei, da brauchten wir ein zweites Betätigungsfeld, um uns nicht gegenseitig auf den Füßen zu stehen“, sagt Britta Stechmann. 

Offiziell öffnet der Stader Wochenmarkt mittwochs und sonnabends um acht Uhr. Doch mit der aufgehenden Sonne trudeln die ersten Kunden ein. Adelheid Balthasar, Kreis-Vorsitzende der Landfrauen, kommt sonnabends direkt nach dem Melken. „Ich hole, was ich für die Woche brauche“, sagt sie. „Dann frühstücke ich in Ruhe und starte in den Tag.“ Spitzkohl, Brokkoli, Möhren, Fenchel und Orangen wandern in ihren Einkaufskorb. „Wir Stammkunden starten rechts und arbeiten uns in Richtung Obst vor“, sagt Sonja Tiedemann und winkt Adelheid Balthasar lachend zu. „Gesunde Ernährung ist mir wichtig, und hier stimmt einfach die Qualität“, sagt Hans-Henning Nölke. Die enge Kundenbindung und der nette Plausch seien weitere Pluspunkte. Verkäufer Christian Vogel weiß genau, welche Tomaten der Stammkunde wünscht. 

Stammkundin Adelheid Balthasar (links) kauft sonnabends alles für die Woche bei Stechmann.

Das Verkaufsteam hat bald schon alle Hände voll zu tun, Ariane Hauschild putzt hinter den Kulissen Blumenkohlköpfe für die Auslage. „Wenn so viel los ist, müssen wir zusehen, dass wir Ware nachlegen.“ 

Obstbau seit 1962

Obst und Gemüse kommen vom Hamburger Großmarkt und natürlich vom Hof in Guderhandviertel. Der war lange Zeit ein rein landwirtschaftlicher Betrieb. 1950 erfolgte die Umstellung von Ackerbau auf Obstbau, die Viehzucht blieb bis 1992. Gerd Stechmann, 60, der den Betrieb seit 1991 mit seiner Frau Petra, 57, führt, setzte dann ausschließlich auf Obstbau. Die Produkte vermarktet er über die Erzeugergenossenschaft Elbe-Obst. Seit die Töchter in das Unternehmen eingestiegen sind, erweitert der Wochenmarkt-Verkauf das Geschäftsfeld des Obsthofs. Mittwochs und sonnabends steht der Stechmann-Wagen in Stade, donnerstags auf dem Markt in Steinkirchen, und freitags geht es nach Hamburg-Hamm. 

Kinder waren früh in die Abläufe eingebunden

Ariane Hauschildt und Britta Stechmann sind in Apfelkisten groß geworden. „Wir sind stolz auf die Mädchen“, sagt Petra Stechmann. Gedrängt wurden sie aber nie. „Das würde nicht gut gehen, da würde es keinen Erfolg geben“, sagt Gerd Stechmann. Vor zehn Jahren haben die beiden in die Zukunft des Betriebs investiert und ihn um eine zweite Hofstelle erweitert. „Da stand noch gar nicht fest, dass die Mädels einsteigen, aber sie waren in der Ausbildung, und wir wollten eine Perspektive schaffen“, sagt er. Es sei etwas ganz Besonderes, dass gleich zwei ihrer vier Kinder Obstbau machen wollen. Andernorts steigen Betriebe aus, weil eine Nachfolge fehlt. 2012 gab es 645 Osbtbaubetriebe im Alten Land, 2017 noch 565.

Ariane Hauschildt hat ihre Ausbildung zur Gärtnerin Fachrichtung Obstbau in Hannover absolviert und in Obstbau-Versuchsstationen in den USA und in Neuseeland gearbeitet. Anschließend hat sie Wirtschaftsingenieurwesen im Agri- und Hortibusiness studiert. Britta Stechmann hat nach ihrem Wirtschaftsabi auf einem Altländer Obsthof gelernt und ist dann im Familienbetrieb gestartet. Später hat sie die Meisterschule absolviert. Dass die Schwestern den Betrieb übernehmen würden, war da längst klar. Einigkeit herrschte dennoch nicht immer. „Ariane kam mit neuen Ideen aus dem Studium, ich war in der Meisterschule, gleichzeitig sind wir mit den Wochenmärkten gestartet, das musste sich erst einmal alles eingrooven“, erinnert sich Britta Stechmann. Die Geschwister Kai und Mareike Stechmann haben beruflich andere Wege eingeschlagen, sind aber stets zur Stelle, wenn Hilfe im Familienbetrieb benötigt wird.

Nachfolge im Familienbetrieb läuft nicht immer reibungslos

Natürlich berge das Thema Nachfolge Konflikte, sagt Petra Stechmann. „Alle wollen involviert sein in Entscheidungen, alle haben Ideen.“ Da komme es zu Reibereien. „Die eine möchte eine Sortierung abschließen, der andere aber eine Beregnungsanlage bauen.“ Dass im Obstbau vieles nicht planbar sei, erschwere die Sache zusätzlich. „Wir können einen Super-Wochenplan haben, aber dann regnet es, und wir müssen spritzen, ganz gleich, was wir eigentlich vorhatten“, sagt Britta Stechmann. 

Die vier führen den Betrieb gleichberechtigt. Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. „Wir nehmen Rücksicht aufeinander“, sagt Petra Stechmann. Und: „Ich musste lernen, auch mal was zu schlucken.“ 

Der Wochenmarkt als zweites Standbein sorgt dafür, dass alle ausgelastet sind und sich nicht ins Gehege kommen. Es sei aber wichtig, dass alle regelmäßig auf dem Hof miteinander sprechen. „Wir arbeiten zusammen, aber wir leben auch zusammen“, sagt Gerd Stechmann. Auch die Lebenspartner der Schwestern stammen aus dem Obstbau. Hendrik Hauschildt vermarktet die Erzeugnisse seines Obstbaubetriebs ebenfalls auf Wochenmärkten. Und Britta Stechmanns Freund Jörn Meier wird eines Tages den Familienbetrieb in Neuenfelde übernehmen. „Das gegenseitige Verständnis und die Unterstützung sind groß“, sagt Ariane Hauschildt, „das erleichtert gerade in trubeligen Zeiten den Alltag.“ 

PKF: Plantagenkontrollfahrt 

Auf einer gepflasterten Fläche vor der Werkstatthalle glänzen am Montagnachmittag acht kleine Trecker in der Sonne. Alle haben eine frische TÜV-Plakette, die Erntesaison kann kommen. Noch stehen die Wohnungen für die Erntehelfer leer, aber im Juni beginnt die Kirschenzeit. 

In einer großen Halle läuft die Apfelsortierung auf Hochtouren. In insgesamt elf Kühllagern bleiben die Äpfel bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt und fixem CO2– und Sauerstoffgehalt in der Luft frisch, bis sie für den Verkauf sortiert werden. Obstbauer Gerd Stechmann steht mit einem Mitarbeiter am Laufband der Sortieranlage. Voll automatisiert laufen die Äpfel hier nach Größe und Farbe sortiert in zehn Ausgänge. Petra Stechmann düst mit dem Gabelstapler umher. Kisten aus der Kühlung in die Sortierung, sortierte Äpfel ins Lager für den Handel. 

Ariane Hauschildt springt in einen alten Golf und fährt hinten aus dem Hof raus. Hier, im Rücken der schönen Altländer Bauernhäuser, öffnet sich eine andere Welt. Obstbäume in Reih und Glied soweit das Auge reicht. Wer auf dem Land groß geworden ist, kennt OKF – Ortskontrollfahrten. Die Obstbäuerin unternimmt eine PKF: Plantagenkontrollfahrt. 

Die Anbauflächen befinden sich in einem Radius von zwei Kilometern rund um das Familienanwesen. Hauptkultur ist der Apfel; er wächst auf etwa 70 Prozent der Felder. Weitere 20 Prozent der Fläche sind mit Kirschbäumen bepflanzt, hinzu kommen Zwetschen und Heidelbeeren. Mit der Ausrichtung auf Kirsche und Apfel sei der Betrieb gut aufgestellt, sagt Gerd Stechmann. „Diversifizierung ist wichtig; mit zwei oder drei Kulturen streue ich mein Risiko breiter. Auch der Wochenmarkt ist bei uns jetzt so ein Beispiel.“ 

Seit Ende März zeigten sich Knospen an den Bäumen, seit Mitte April stehen sie in Blüte. Es ist ein gutes Frühjahr für Apfel und Kirsche. Viel Sonne, wenig Frost, kaum Niederschlag. Je feuchter die Witterung, desto mehr Pflanzenschutz sei notwendig, um den Schorfpilz einzudämmen, erklärt Ariane Hauschildt. Sie bremst und betrachtet ein Feld mit jungen Bäumen.

Baumpflege ist die Basis 

Weil der Boskoop-Apfel nicht mehr gut nachgefragt wurde, haben sie die Fläche im Herbst 2024 gerodet und jetzt neu bepflanzt mit den Sorten Gala und Braeburn. Leicht versetzt natürlich, „um Bodenmüdigkeit zu vermeiden“. Niemals Apfel auf Apfel, so lautet die Regel. Welche Sorten Stechmann anbaut, bestimmt der Handel. Die Hauptsorten zeichnen sich durch Stabilität aus. Sorten, die nur unzureichend erforscht seien, würden häufig mit Problemen in der Produktion überraschen, sagt Ariane Hauschildt. Die Hoffnung auf eine neue Sorte sei ein Stück weit immer ein Spekulationsgeschäft. 

Tief in der Baumreihen auf der anderen Seite des Feldwegs ist Britta Stechmann mit der Baumschere unterwegs. „Pflege ist wichtig“, betont sie. Wer die vernachlässigt, brauche sich später nicht über schlechte Erträge wundern. Wegen des großen Aufwands sei es allein auch kaum möglich, Anbau und Wochenmarkt-Betrieb zu stemmen. 

In der Sonne glänzt zwischen den Baumreihen ein kleiner Teich. Am Ufer steht ein rotes Gartenhäuschen. „Hier machen meine Eltern Urlaub“, sagt Ariane Hauschildt. Betriebsnotwendige Idylle. Sobald Nachtfrost droht, werden die zarten Blüten mit feinen Wassertröpfchen aus dem Beregnungsteich besprüht, um sie vor Erfrierungen zu schützen. Wenn das Wasser auf den Blüten gefriert, wird Kristallationswärme freigesetzt. Das Eis legt sich wie ein Schutzpanzer um die Blüte. 

Gute Erzeugerpreise 2024

In schlechteren Jahren frage man sich als Obstbauer schon, ob das alles so richtig ist, erzählt Gerd Stechmann. Angesichts der hohen Produktionskosten und des gestiegenen Mindestlohns wird mit spitzem Bleistift gerechnet. „Wir sind viel mehr Unternehmerinnen als Gärtner“, sagt Britta Stechmann. „Leider lassen sich die Preise kaum planen.“ Zwischen 20 Cent und einem Euro je Kilogramm Äpfel Tafelware bewegte er sich in der jüngeren Vergangenheit.

Im Vorjahr haben ungünstige Witterungsbedingungen in der Blütezeit für weniger Äpfel in Deutschland gesorgt, die Ernte lag deutlich unter dem Zehnjahresschnitt. Mit spätem Frost und Hagel war vor allem der Südosten betroffen. Auch die rund 500 Obstbauern im Alten Land haben weniger Äpfel gepflückt. Insgesamt sei die Region aber ganz gut durch die Wetterkapriolen gekommen, sagt Britta Stechmann. „Und unsere Äpfel hatten eine sehr gute Qualität.“ Weil es in anderen Regionen nicht so rosig ausschaute, gab es gute Preise für Altländer Früchte. Des einen Leid ist des anderen Freud. 

„Ungewisse Zukunftsaussichten sind keine Herausforderung, die der Obstbau exklusiv hat“, betont Gerd Stechmann. Viele Branchen seien Veränderungen ausgesetzt. „Planbar ist, modern zu bleiben.“ Wer erfolgreich bleiben wolle, müsse in Maschinen und Technologien investieren und Rücklagen für schlechte Jahre schaffen. 

Nachfolge und Erbschaft sind klar geregelt

Manchmal braucht es nur ein glückliches Händchen. 2019 entschied Ariane Hauschildt, Heidelbeeren für die Direktvermarktung zu pflanzen. Sie sind heute ein Renner auf dem Wochenmarkt. 

Eines Tages werden die Schwestern die Geschäfte des Obstbaubetriebes Stechmann allein führen. Einen fixen Termin für die Übergabe gibt es nicht. Ohnehin verspüre niemand große Eile, den finalen Generationenwechsel voranzutreiben, sagt Ariane Hauschildt. „So wie es gerade ist, ist es optimal.“ Einige Vorkehrungen haben Petra und Gerd Stechmann bereits getroffen. „Das würde man ja bei anderen Erbschaftsangelegenheiten auch machen.“  

Ariane Hauschildt und Britta Stechmann werden den Betrieb unter einem Dach führen, das Land aber getrennt zu gleichen Teilen besitzen. Zwei Höfe im Sinne der Höfeordnung, weil „man nie weiß, was mal kommt“, sagt Petra Stechmann. „Uns ist es wichtig, dass jede ihren Teil hat, auch wenn es mal auseinandergeht.“ 

Für Gerd Stechmann war sein Hobby Zeit seines Lebens Beruf. „Ich weiß nie, was mir am nächsten Tag blüht“, sagt er und lächelt. Vielleicht liege genau darin der Reiz. „Es gibt so viel Schönes zu sehen in der Natur. Trotz all der Technik und Rechenspiele: Es gibt sie noch, die Obstbau-Romantik.“ Vorerst wird er weitermachen, Seite an Seite mit den drei Frauen. „Solange wir gebraucht werden, sind wir da“, sagt Petra Stechmann. Eine weitere lange Erntesaison steht bevor. Die Familie hat ihren Rhythmus im Vierklang längst gefunden. 

Deichlust

Text: Leonie Ratje · Fotos: Volker Schimkus