KOLUMNE: HIER SCHREIBT DIE JOURNALISTIN UND MUTTER
Es gab eine Zeit, in der Männer glaubten, sie könnten Frauen das Fußballspielen verbieten. 1955 befand der Deutsche Fußballbund, dass die weibliche Anmut im Kampf um den Ball verschwinde, „Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden (…)“, hieß es da.
70 Jahre später, Volksparkstadion: HSV-Spielerin Sarah Stöckmann köpft den Ball ins Tor. 1:1 im DFB-Pokalhalbfinale zwischen dem HSV und Werder Bremen. 57.000 Fans in Ekstase. Die Kapitänin springt, schreit, lacht. Ein historischer Augenblick, ein Moment voller Anmut. Erst 1970 wurde Frauen in Deutschland die Freiheit zugestanden, Fußball zu spielen. Noch bis 1977 durfte eine Frau nur berufstätig sein, wenn das mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar war. Die Geschichte des Frauenfußballs ist immer auch eine Geschichte darüber, wie Frauen um ihre Gleichberechtigung streiten. Das beginnt schon mit dem das Geschlecht überbetonenden Begriff. Wer Fußball sagt, meint Männerfußball. Frauenfußball ist die Abweichung von der Regel. Dass ich als Mädchen Fußball spielte, bedeutete, dass ich etwas Unmädchenhaftes tat.
1989 wurde die deutsche Fußballnationalmannschaft der Frauen erstmals Europameister. Die Siegprämie: ein Kaffeeservice.
Heute wächst kaum eine Sportart so schnell wie der Frauenfußball. Das EM-Finale 2022 (England-Deutschland) haben in Deutschland 18 Millionen im TV verfolgt. Im Januar ist mit Naomi Girma die erste Spielerin der Welt für eine Million Euro transferiert worden. Die 57.000 im Volkspark waren die größte Kulisse, die es auf Vereinsebene je in Deutschland gab.
Die Frauen-Bundesliga verändert sich, weil Lizenzvereine des Männerfußballs, allen voran der VfL Wolfsburg und Bayern München, in Frauenteams investieren. Eine Folge dieses Investorenmodells ist, dass kaum mehr reine Frauenvereine in der Bundesliga spielen. Mit Turbine Potsdam ist 2024 der Traditionsclub schlechthin abgestiegen. Zur Wahrheit gehört auch, dass die Rekordspiele nicht den Ligaalltag spiegeln. Im Schnitt besuchen etwa 2.900 Fans ein Spiel.
Rund um die Fußball-EM der Frauen im Sommer wird sich wieder vieles um das Thema Equal Pay drehen. Die Gleichbezahlung der Geschlechter ist hierzulande nicht nur im Fußballgeschäft in weiter Ferne: Über alle Berufsgruppen hinweg beträgt die Einkommenslücke etwa 18 Prozent. Im Fußball ist der Unterschied noch viel größer. Eine Erstliga-Spielerin verdient durchschnittlich 4.000 Euro im Monat; nur die Spitzenclubs beschäftigen Vollprofis.
Es gibt Fußballverbände, die ihre Auswahlen gleich bezahlen. Nicht aber der DFB. Während die Männer bei der WM 2022 400.000 Euro pro Kopf für den Titel erhalten hätten, waren den Frauen ein Jahr später 252.000 Euro zugesagt. Erfolglosigkeit verhinderte hier wie da den Prämiensegen – Equal Non-Pay.
Die Frage ist, ob es überhaupt das wichtigste Ziel von Feminismus im Fußball sein sollte, dass alle gleichermaßen überbezahlt gegen den Ball treten. Frauen sind auf Stollenschuhen in ein Reservat toxischer Männlichkeit gedrungen. Hätte ich jedes Mal einen Euro bekommen, wenn ein Mann mich gefragt hat, ob wir nach dem Spiel die Trikots tauschen, hehehe, oder der Trainer zu uns in die Dusche kommt, höhöhö, müsste ich diese Kolumne nicht schreiben. Sexismus, Frauen-, Homo- und Transfeindlichkeit gehören leider bis heute zum Stadionbier. Gerade erst wurde Schiedsrichterin Fabienne Michel bei einem Drittliga-Spiel der Männer sexistisch beleidigt.
Bei der Frauen-WM 2023 jubelten die Spanierinnen, bis ein Macho die Party crashte. Luis Rubiales, damals Präsident des spanischen Fußballverbandes, küsste Jennifer Hermoso bei der Siegerehrung. Wobei Kuss das falsche Wort ist. Der Mann missbrauchte seine Macht. Er griff das Gesicht der Weltmeisterin grob mit beiden Händen und drückte seine Lippen auf ihre. Der Frauenfußball feierte, das Patriarchat zeigte seine hässliche Fratze. Es ist das Paradox meines Lebens, dass ich mein Herz an die chauvinistischste aller Sportarten verloren habe.
➤ Leonie Ratje ist Journalistin, Mutter zweier Kinder und schreibt für die DEICHLUST.

Text: Leonie Ratje