Sponsorenjagd auf zwei Rädern.
Die Geschichte beginnt mit einem Fahrrad. Genauer gesagt: mit einem, das fliegt. 1982, auf der Kinoleinwand. Ein Junge namens Elliot tritt in die Pedale, im Lenkerkorb ein Außerirdischer – und plötzlich hebt das Rad ab, steigt über Dächer, Silhouetten, den Mond. E.T. sehen damals Millionen Kinder. Einige steigen danach auf den Sattel. Kinder wie Mario Gröning. Über vierzig Jahre später steht seine Tochter Mia (16) im BMX-Park, Helm auf, Rad unter sich, Blick nach vorn. Kein Kino, kein Alien, keine Spezialeffekte – aber echtes Tempo, echter Mut. Ihr Papa ist wegen E.T. als Jugendlicher gefahren. Und Mia wegen Papa. Und mittlerweile fährt Papa wieder wegen Mia. Jetzt verbindet beide der extreme Sport.
Drei schnelle Tritte in die Pedale, dann hebt das Rad ab. Landung, Beschleunigung – und direkt in den nächsten Sprung. Mia Gröning ist hochkonzentriert. Starten, wheelen, pushen, springen – so heißen im BMX Race die Grundtechniken, bei denen die Schwerkraft kurz Pause macht. Schon als Kind kurvte die 16-jährige Grünendeicherin mit dem Laufrad über die Bahn – damals bei einem Tag der offenen Tür. Vor drei Jahren stand die leidenschaftliche Reiterin wieder auf einem BMX-Feld, diesmal beim Schnuppertag. Und plötzlich war es um sie geschehen: Adrenalin im Blut. Das Zaumzeug hängte sie an den Nagel und wechselte den Sattel. Vom Pferd aufs BMX-Rad.
Nische mit Sprungkraft
BMX ist kein Ausdauersport. Es ist eine Disziplin für Sekunden. Schnell, explosiv, technisch. 20-Zoll-Räder, Rampen, Hügel, Gelände – wer hier fährt, braucht Mut, Kontrolle und Timing. In Deutschland fristet BMX ein Schattendasein. Vor allem im Norden. In Belgien, Frankreich und den Niederlanden ist es längst fester Teil der Jugendkultur. Ein Sport, wie hier Fußball. „Da werden BMX-Fahrer ganz anders gefördert“, erklärt Mama Steffi (46). Mia? Schreckt das nicht ab. Trainiert trotzdem. Drei Mal pro Woche in Zeven. Hin und zurück mit Mama oder Papa. Zehn, elf Stunden Training pro Woche sind Standard. Obendrauf: Zusatz-Einheiten in Hamburg. Krafttraining im Fitnessstudio in Stade. Eine BMX-Bahn in der Nähe gibt es nicht. Auch keinen Verein. Dafür einen Deich. „Papa sagt, ich soll da meine Starts üben“, erzählt Mia. Also steht sie an der Elbe und übt.
Viele ihrer Gegnerinnen fahren, seit sie laufen können. Mia fing erst mit 13 an. Und trotzdem: Platz vier bei der Deutschen Meisterschaft. Ihr größter Erfolg bisher. „Es kommt nicht nur aufs Alter an“, sagt sie. Erfahrung lässt sich aufholen – mit Biss. Und mit Tipps vom Papa. Vor 30 Jahren hörte Mario Gröning (57) auf. „Die erste Freundin war wichtiger“, sagt er. Doch das BMX-Fahren steckt in seiner DNA. Immer da. Als Mia anfing, konnte er nicht nur am Rand stehen. Schon war er wieder mittendrin.
„Ich war mal ziemlich bekannt”, sagt Papa Mario – mit einem Hauch Stolz. „Dass das jetzt wieder so ausartet, konnte ja keiner ahnen.”
Eat. Sleep. BMX. steht auf Marios T-Shirt. Der Stoff: ausgewaschen. Die Buchstaben: fast weg. Aber das Motto gilt. Bis heute.
„Ich suche Sponsoren“, sagt Mia. „Um weiterhin zu all den Rennen fahren zu können, brauche ich Unterstützung – für Fahrtkosten, Unterkünfte, Startgelder“, erklärt sie. Bisher stemmen ihre Eltern alles privat. Manchmal muss auch Mia mal etwas dazulegen. Es ist ein teures Hobby. 12.000 Euro kostet es der Familie Minimum jährlich für Unterkünfte, Benzin, Verschleiß am BMX, Startgelder und ein paar Klamotten. „Und da ist noch kein Essen dabei. Flüge auch nicht. Also wenn sie mal die weiteren internationalen Rennen fahren möchte, kämen da sicherlich noch weitere 10.000 bis 15.000 Euro hinzu“, so Steffi. Doch es geht nicht nur ums Geld: Mia will BMX in Deutschland sichtbarer machen – und mehr Mädchen für den Sport gewinnen. „Viele wissen gar nicht, was BMX überhaupt ist. Dabei ist das ein toller, fordernder Sport. Ich wünsche mir mehr Aufmerksamkeit – und auch mehr Förderung.“
Beim BMX geht es um Sekunden – 30 bis 40 Sekunden dauert ein Rennen, doch die Vorbereitung braucht Wochen. Kraft, Konzentration, Körpergefühl. BMX ist ein Extremsport. Stürze gehören dazu, besonders im Freestyle mit Sprüngen und Tricks. Schürfwunden, Prellungen, Knochenbrüche sind keine Seltenheit. Und bei Rennen steigt das Risiko: Kollisionen mit anderen Fahrern sind keine Ausnahme. „Am Anfang konnte ich nicht hinschauen, so sehr hatte ich Angst um sie“, sagt Mama Steffi. „Aber auf der anderen Seite bin ich so stolz, wie sie sich behauptet.“ Auch Mario hat Angst – um Mia und um sich selbst. „Ich muss sie ja immer sicher nach Hause bringen. Also darf ich mir nichts tun.“ Einmal stürzte er selbst, die Schulter war ausgekugelt. Nach der Erstversorgung setzte er sich trotzdem ans Steuer – und fuhr Mia heim. „Nicht ideal“, sagt er. „Aber so ist es halt.“ Der Sport hat ihn geprägt. Er habe durch BMX gelernt, mit Aufregung umzugehen. Und er liebt es, mit Mia etwas zu teilen, das beide erfüllt. Heute durchleben sie das Gleiche: Anspannung, Aufregung – und manchmal auch Enttäuschung. „Ich hätte nie gedacht, dass ich ausgerechnet mit Mia zusammen BMX fahre.“ Der 17-jährige Sohn? Spielt erfolgreich Fußball.
Wann immer Mario kann, fährt er mit Mia zum Training, zu Turnieren, zu Wettkämpfen. Vor ein paar Wochen wollten die Eltern mal ein Wochenende Pause haben. Dabei stand der 3-Nation-Cup in Belgien an. Das konnte Mia nicht zulassen. Sie bettelte und argumentierte. Schließlich ist „Papas Papa auch immer mit ihm so weit gefahren“, sagt sie. 1:0 für Mia. Ihre Prämie: Premiumbegleitung statt Pause. Ihre Mama begleitet sie das erste Mal. „Mario fährt bei Wettkämpfen oft selbst, kann nicht immer am Rand stehen. Ich schon“, so Steffi Gröning. Beide genossen es sehr. Fortsetzung folgt.
Die Saison hat es in sich. Elf Bundes- und Landesläufe, Norddeutsche und Deutsche Meisterschaft, drei internationale Cups, zwei Euroläufe – und die Weltmeisterschaft in Kopenhagen. Von Bispingen bis Schweden, von Bremen bis Belgien. Im Mai Leopoldshöhe und Weiterstadt, im Juni Geestland, im Juli Erlangen und Ängelholm, im September Hamburg, Vechta und Valkenswaard, im Oktober Ingersheim und Esselbach. Und die Erfahrung: Wer einmal in Kopenhagen gegen die Weltspitze startet, für den ist Deutschland ein Ponyhof.
Rampe.
Startgatter.
Stille.
Mia Gröning rollt an. „Wenn du willst, kann ich auch springen“, ruft sie zu ihrem Vater rüber. „Ja, mach mal! Dein Hinterrad war ja eben fast schon in der Luft.“ Sie klickt die Schuhe in die Pedale, dreht eine Runde im Leerlauf, hält das Gleichgewicht. Die Beine zittern. Mario drückt den Knopf. Signalton. Schranke fällt. Mia zieht an. Der Starthügel, der erste Sprung – alles in Sekunden. Angst? Fehlanzeige. „Ich hab nur Angst davor, nicht gut zu sein“, sagt sie. „Mia wollte schon immer überall die Beste sein“, sagt Steffi Gröning. Verletzt? Bisher kaum. Schürfwunden ja, Knochenbruch nein.
Elf Stunden Training pro Woche, Wettkämpfe quer durch Europa, Sprünge, Starts, Stürze. Alles für die paar Sekunden, in denen das sogenannte Gate fällt und der Puls steigt. Ihre Vorbilder: Die Australierin Saya Sakakibara und die Engländerin Bethany Shriever – Olympiafahrerinnen, denen sie auf Instagram folgt. Zeit für alles andere hat sie nicht wirklich. Ihre Freunde haben Verständnis, wissen, wie wichtig ihr der Sport ist. BMX ist Priorität. Ehrgeizig, ambitioniert, willensstark – so beschreiben ihre Eltern Mia. Sie geht in die zehnte Klasse des Vincent-Lübeck-Gymnasiums in Stade. Gelernt wird im Auto, auf dem Weg zum Training. Schule ist nicht ihr Schwerpunkt – doch das Abitur will sie trotzdem schaffen. Eine Ausbildung wäre im Moment nicht machbar. Mia: „Dafür hab ich ja gar keine Zeit.“

Text: Mona Adams · Fotos: Volker Schimkus

