Halbzeit schon nach 43 Minuten

Die treuen Seelen auf der Tribüne von D/A

Üblicherweise dauert eine Fußball-Halbzeit 45 Minuten. Üblicherweise ist dann aber die Chance auf ein gepflegtes Halbzeitbier mit Warten in der Schlange verbunden. Wer das leidvoll erfahren hat, kann schon auf die ungewöhnliche Idee kommen, zwei Minuten früher die Halbzeit auszurufen. Und dann als verschworene Gemeinschaft „43. Minute“ zum Club-Inventar der SV Drochtersen/Assel zu werden.

„43. Minute“ – der Name ist tatsächlich Programm. Vor der Gründung dieser Truppe kamen die Mitglieder wegen des großen Andrangs in der Halbzeitpause oft zu spät, um genüsslich ihr Halbzeitbier genießen zu können. „Das musste sich ändern“, erzählt Gründungsmitglied Hans-Wilhelm Bösch, Ex-Bürgermeister in Drochtersen, jetzt Kassenwart der 18 Vereinsmitglieder der Gruppe „43. Minute“, die unmittelbar nach dem Viertligaaufstieg im Jahr 2015 gegründet wurde.

Im Kehdinger Stadion des Viertligisten Drochtersen/Assel haben die Fans ihre nummerierten Sitzplätze auf der vorderen Tribünenseite. An der Rückwand prangt die große Fahne mit dem Logo. Als das Symbol dient eine Tischglocke, Marke Eigenbau von Peter Zey. Bisher führte der Weg in das alte Vereinshaus rechts herum. In das neue Vereinsheim wird jetzt nach links abgebogen. Der pünktlich zur zehnten Regionalligasaison fertig gewordene Neubau kann als wahres Schmuckkästchen bezeichnet werden. D/A-Präsident Rigo Gooßen sprach bei der Einweihung euphorisch von einer Zeitenwende in Drochtersen/Assel.

Natürlich wird die eigene Mannschaft lautstark unterstützt. Wenn der Gegner übermäßig hart in einen Zweikampf einsteigt, fallen die Unmutsäußerungen schon mal in deftiger Form aus. Davon sind auch manche Entscheidungen des Schiedsrichters nicht ausgenommen. Mit dem Abpfiff ist das Spiel nur auf dem Platz beendet. In der folgenden „3. Halbzeit“ gibt es zumeist viel Redebedarf, oft begleitet von heftigen Diskussionen. Lob und Kritik an der Mannschaft oder einzelnen Spielern gehören dazu.

Bei der Gründungsveranstaltung, am 16. August 2015, wurde die Zahl „18“ als Standardgröße festgelegt. Mehr Mitglieder sollen es nicht sein. Hans-Wilhelm Bösch: „Das haben wir gemacht, damit alles übersichtlich bleibt.“ Nur in einem Todesfall oder dem freiwilligen Ausscheiden eines Mitglieds kommt ein Nachrücker zum Zuge. Das war erst zweimal der Fall, zuletzt am Jahresende 2023, als Wolfgang Keitsch für Harald Wist Platz machte. Das Durchschnittsalter beträgt 66 Jahre. Ältestes Mitglied ist der 82 Jahre alte ehemalige Schiedsrichter Walter Mede, der die Mannschaft über viele Jahre im Fanbus zu den Auswärtsspielen begleitet hat. Die „43. Minute“ ist eine Männerdomäne.

Auf die Frage, warum denn keine Frauen dabei sind, antwortet Bösch süffisant: „Es haben sich noch keine gemeldet.“

Stets gut gelaunt: Jenny Witt belebt die Männergesellschaft im Vereinsheim.


Aber einer wie der Berufskraftfahrer Reinhard Ahrens, der bis 2017 den Mannschaftsbus mehr als ein Jahrzehnt quer durch Norddeutschland von Flensburg bis Göttingen, nach Wilhelmshaven, Osnabrück und Braunschweig gesteuert hat. Ahrens, der jetzt seinen Ruhestand genießt, ruft Erinnerungen wach, hat dazu die eine oder andere Anekdote parat. Beispiel: „Auf der Rückfahrt von einem Spiel haben wir nach einem Aufenthalt an der Autobahnraststätte Allertal bei der Weiterfahrt einen mitreisenden Fan vergessen. Das wurde erst bemerkt, als wir schon wieder unterwegs waren. Wir hätten eigentlich umkehren müssen“, so Ahrens. Da kam ihm das Glück zur Hilfe. Ein D/A-Spieler hatte sein privates Fahrzeug in Lüneburg geparkt. Der holte den „vergessenen Fan“ ab und brachte ihn zurück. Als eines seiner schönsten Erlebnisse schildert Ahrens die feuchtfröhliche und ausgelassene Heimreise nach dem Sieg im Niedersachsenpokal beim VfB Oldenburg. Ahrens kennt auch die andere Seite:

„Als großer D/A-Fan habe ich nach Niederlagen mit getrübter Stimmung auf der Heimfahrt oft genug leiden müssen.“

Bei der Gründung der „43. Minute“ wurde auch die Beitragshöhe festgelegt. Zu jedem Heimspiel sind fünf Euro fällig. Ob derjenige beim Spiel anwesend ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Das reichte während der Corona-Pandemie wegen der gestiegenen Kosten nicht mehr. „Wir haben den Betrag etwas nach oben angepasst“, sagt Kassenwart Hans-Wilhelm Bösch mit einem verschmitzten Lächeln. Angepasst bedeutete: Die Summe verdoppelte sich auf zehn Euro. Das Geld wird benötigt für verschiedene Anlässe und Feiern, wie das alljährlich vor Saisonbeginn veranstaltete Sommerfest und das vorweihnachtliche  Treffen  in „Andre´s kleine Kneipe“ mit dem traditionellen Grünkohlessen. Die kostenlosen Getränke vor, während und nach den Heimspielen gehören ebenfalls dazu.

Beim Sommerfest im Kehdinger Stadion wird Wolfgang Krause aktiv. Der Schlachtermeister aus Drochtersen steht dann am Grill, um die Anwesenden mit den Leckerbissen und Salaten aus seinem Fleischerfachgeschäft zu verwöhnen und für die kommenden Stunden bei guter Laune zu halten. „Was hier entstanden ist, ist fast schon einmalig“, sagt Krause mit dem Blick auf das Vereinsheim. Für die Getränke ist Jenny Witt zuständig. Sie wird von allen als „die treue Seele“ bezeichnet, die Dame steht hinter dem Tresen und sorgt dafür, dass immer gefüllte Gläser auf den Tischen stehen. „Ich mache das aus Leidenschaft und freue mich immer auf den Austausch mit den Fans“, sagt sie.

Die Tischglocke als Symbol mit Hans-Wilhelm Bösch (links) und Peter Zey.

Nach dem Essen wird es dann noch sportlich. Die Mitglieder präsentieren ihr fußballerisches Können, absolvieren fünf Schüsse auf ein kleines Mini-Tor. Daneben können sie sich am Tischkegeln beteiligen. Die jeweiligen Sieger erhalten eine Flasche mit alkoholischem Inhalt.

„Ich fühle mich hier auch deshalb sehr wohl, weil viele meiner langjährigen Kumpels da sind“, sagt Wilfried Trumpa. Peter Zey ergänzt: „Es geht uns vor allem um die Gemeinschaft und das vernünftige Miteinander.“

Hans-Wilhelm Bösch und Peter Zey blicken hoffnungsvoll nach vorn in das zehnte Jahr. Das stetig gewachsene Zusammengehörigkeitsgefühl soll in der neuen Heimstätte fortgeführt werden. Neun Jahre Regionalliga, da gehen die Gedanken bei einigen Mitgliedern noch ein Stück weiter. „Carlo“ Wist, als beinharter Abwehrstratege bei Güldenstern Stade den älteren Fußballfans noch gut in Erinnerung, ist optimistisch: „Ein Aufstieg in die 3. Liga wird schwer, ist aber nicht unmöglich.“

Text und Fotos: Dieter Albrecht

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