Im Topf sprudelt eine gelb-orange Flüssigkeit, die nach Sonne und Urlaub duftet. Die junge Frau in weißer Bäckerjacke und karierter Hose nimmt ihn von der Platte und gießt das Mango-Limetten-Fruchtmark in warme weiße Schokolade. Gegenüber bereiten Kollegen Teigteilchen mit frischem Obst, Sahne, Streuseln oder Konfitüre zu. Bäckereialltag meets Patisserie.
Text: Leonie Ratje · Fotos: Volker Schimkus
Anna-Lena Pfeiffer rührt und rührt und rührt. Durch die Hitze verbinden sich Kuvertüre und Fruchtmark. Immer wieder wirft sie kleine weiße Schoko-Tropfen (natürlich schabt hier niemand mit unbeholfener Klinge an viel zu harten Kuvertüreblöcken) in den Topf. „Um die Flüssigkeit zu kühlen“, erklärt sie. Dann versenkt sie den Kopf eines Stabmixers in der Masse. Ihre Bewegungen sind langsam, fast zärtlich, der Blick durch die Brillengläser konzentriert. „Es ist wichtig, nicht zu viel Luft drunter zu mixen.“ Lufteinschlüsse reduzieren die Lebensdauer der Pralinen, die frei von Konservierungsstoffen sind. Sechs bis acht Wochen sind sie haltbar – als ob irgendjemand sie so lang im Süßigkeiteneckschrank oder in der Naschischublade liegen lassen könnte.
Seit halb drei in der Nacht steht die 29-Jährige in der Backstube von Bäcker Pfeiffer in Steinkirchen, belegt Törtchen, backt Schokocroissants und Franzbrötchen, garniert Kuchen, füllt Biskuitböden oder taucht Mandelhörnchen in Schokolade. Um sechs Uhr sind die Transporter mit den Waren für die vier Pfeiffer-Filialen und die Verkaufswagen vom Hof gerollt. Nun laufen die Vorbereitungen für den nächsten Tag. Die Chefin widmet sich ihren Pralinen; dem Pflichtprogramm folgt die Kür.
Mit einem Thermometer checkt Anna-Lena Pfeiffer die Temperatur der Füllmasse. 40 Grad, zu heiß. Ungerührt rührt sie weiter und denkt zurück. An die Zeit, als sie ihren Vater in die Backstube begleitet und seine kunstvollen Hochzeitstoren bewundert hat.
Nach dem Schulabschluss zog es die damals 16-Jährige in den Süden Deutschlands. In der Nähe von Baden-Baden wurde sie zur Konditorin. Anschließend arbeitete sie in der Patisserie und Konditorei eines Frankfurter Hotels und schrieb sich dann an der Fachschule in Köln für den Lehrgang zur Konditormeisterin ein. Dem Abschluss folgte ein weiteres Jahr in Köln. 2016 kehrte sie zurück in die heimische Backstube. Im Gepäck der Meisterin: süße Ideen. Die Konditorei ist seitdem ihr Revier.
In zwei Jahren übernehmen Anna-Lena und ihr Bruder Maximilian Pfeiffer, der die Backstube leitet, die Bäckerei, die der Vater von seinem Vater übernommen hat. Bis dahin arbeiten zwei Generationen Seite an Seite. Ihrem Vater falle das Loslassen schwer, sagt die Süßwarenhandwerkerin, „aber er unterstützt alles, was wir machen und vorhaben.“
Das Thermometer zeigt 35 Grad. Anna-Lena Pfeiffer gibt die Butter, die als Bindemittel dient, in die Masse. Sie rührt und denkt über die Frage, was eine gute Praline ausmache, nach. „Das ausgewogene Zusammenspiel aus Frucht und Süße“, sagt sie. Und: „Die Kuvertüre muss glänzen, die Praline im Mund den richtigen Knack haben, der Schmelz stimmen. Die Konsistenz ist wichtig.“ Ihre liebste Praline? „Maracuja. Wegen der Säure.“ Die Kunden sehen das ähnlich: keine einzige Maracuja-Praline liegt an diesem Tag in der Auslage.
Die ersten Pralinen hat sich im 17. Jahrhundert der französische König Ludwig XIV. schmecken lassen. Heute wird nirgendwo auf der Welt mehr Schokolade gegessen als in Deutschland und in der Schweiz. Neun Kilogramm pro Kopf und Jahr. Die Corona-Pandemie hat das Geschäft beflügelt. Die Menschen blieben zuhause, ließen weniger Geld in der Gastronomie, wollten sich was gönnen. 2021 sei der Konsum höher gewesen als im Jahr 2019, sagen Marktforscher. Nervennahrung Schokolade. Schnaps-Pralinen gegen die Krise.
Einmal im Monat stellt Anna-Lena Pfeiffer rund 1000 frische Pralinen her. Die Trüffelhohlkugeln aus weißer, dunkler oder Vollmilchschokolade kauft sie ein. Alles andere ist Handarbeit. Jede einzelne Praline ein Unikat. Hochwertige Zutaten bilden die Basis. Richtung Weihnachten läuft das Geschäft auf Hochtouren. Auch zum Valentinstag und vor Ostern steigt die Nachfrage. Wie die berühmte Industriepraline Mon Chérie verabschieden sich Pfeiffers Pralinen im Sommer in eine Pause. Hitze und Pralinen vertragen sich nicht.
Anna-Lena Pfeiffers Schneebesen dreht weiter seine Kreise. Immer wieder checkt sie die Temperatur. Regalwagen mit Franzbrötchen, Croissants und anderen Leckereien rollen durch die Pralinenkulisse in die Kühlkammer. Ist die Füllung zu heiß, schmilzt die Schokokugel und die Praline ist ruiniert. Als das Thermometer die gewünschte Zahl zeigt, kippt sie die Mangomasse in einen Edelstahltrichter. Sie hebt ihn mit der rechten Hand, stützt ihn mit der linken, die Ellenbogen eng am Körper. So hält sie die Spannung, vermeidet Wackler. Sie führt das Gefäß über eine kleine Kugelöffnung und drückt mit dem Daumen der rechten Hand den Hebel des Portioniertrichters. Goldig-warmes Mangoglück träufelt in die Praline. 100-mal wiederholt sie den Vorgang. Professionalität ist, Schwieriges einfach aussehen zu lassen. Bei Raumtemperatur kühlt die Füllung ab. Sie muss „anhärten“, um die Praline Stunden später verschließen zu können.
Die Eierlikörpralinen hat die Konditormeisterin am Vortag gefüllt. Sie stellt die Bleche mit den weißen Kugeln vor sich auf die Arbeitsfläche. Als die flüssige Schokolade auf der Herdplatte den perfekten Schmelz erreicht, formt Anna-Lena Pfeiffer aus Backpapier eine Tüte und füllt die Kuvertüre mit einer Kelle hinein. Die Spitze schneidet sie ab. Aus einem winzigen Loch fließen Schokohauben auf 120 Eierlikörpralinen und verschließen sie.
So wie Journalisten in der Fremde Lokalzeitungen und Magazine kaufen, besucht die Altländerin auf Reisen Cafés und Konditoreien, um sich inspirieren zu lassen. An neuen Kreationen tüftelt sie allein. Nachmittags, wenn die Backstube leer ist. Das Pfeiffer-Team kostet zuerst, dann Familie und Freunde.
Seit Kurzem gibt es neben Pralinen auch Macarons – süßes Baisergebäck mit cremiger Füllung zwischen zwei bunten Deckeln – bei Pfeiffer.
Um halb zehn fegt im Nebenraum eine Kollegin Krümel von den Fliesen, ein Geselle füllt plätschernd Sahne in den Bläser, irgendwo spült jemand scheppernd Töpfe und Bleche, ein Telefon klingelt und Kühlraumtüren rumsen. Um Anna-Lena Pfeiffer wird es ruhig. Sie legt sich vier Pralinen in die linke Hand, greift mit den Fingern der rechten in den Topf mit der Kuvertüre und streichelt sie über die kleinen Kugeln. Vorsichtig rolliert sie die Pralinen in ihren Händen, bis sie rundum mit weißer Schokolade überzogen sind. So entsteht ihre unebene Struktur. Sachte drehen, vorsichtig ablegen. Pralinenmachen hat was Meditatives. Die Arbeit mit schönen Produkten sei ein großes Glück, sagt die Patissière. „Menschen glücklich zu machen, erfüllt mich und über tolles Feedback freue ich mich riesig.“
Zum Schluss der Feinschliff. Dunkle Schokipunkte aus einer Backpapierspritztüte für die weißen Eierlikörpralinen. Die Garnitur sieht schön aus, dient aber vor allem dazu, die Pralinen auseinanderzuhalten. Feine Schoko-
ladenfäden zieren die weißen Mangopralinen. Die Williams-Christ-Praline trägt einen dunklen Zartbittermantel, Champagner, Baileys und Weinberg Birne hüllen sich in Vollmilchschokolade und Garnitur. Außerdem gibt es Schnittpralinen bei Pfeiffer.
Eine Pralinenharfe, die ein bisschen wie ein großer Eierschneider aussieht, zerteilt die Mandel-Nougat-Masse in kleine Quadrate, die zum Abschluss des Arbeitstages bereit für ihren Tauchgang sind. Anna-Lena Pfeiffer legt jedes in den Topf mit dunkler Schokolade, dreht es mit der Pralinengabel einmal um die eigene Achse, hebt es nach dem Unterschokosalto heraus, streicht die Gabel am Topfrand ab und ruckelt die Praline von der Gabel herunter. Glatt und glänzend liegen sie auf dem Blech, zum Anbeißen.
Forrest Gump sagt, das Leben sei wie eine Schachtel Pralinen. Wer sie bei Anna-Lena Pfeiffer kauft, bekommt Liebe in Kugeln.
100 Gramm kosten 6,95 Euro. In Pralinenboxen oder Beuteln.