Elbfischer Lothar Buckow: »Die Natur stirbt, und niemand fühlt sich schuldig«
Lothar Buckow gehört zu den Letzten seiner Art. Seit 40 Jahren verdient der Altländer sein Geld als Elbfischer. Fast genauso lange ärgert er sich über die Großschifffahrt. Ein paar Jahre will er noch rausfahren, auf seinen Fluss, um den er sich sorgt und für den er weiter streiten wird.
Möwen kreischen in die Stille des frühen Morgens. Die Elbe plätschert träge an die Ufermauer. Über den Hafenkränen Hamburgs kriecht die rote Sonne hoch. Lothar Buckow steigt in ein kleines Boot und zieht die Motorschnur. Einmal. Zweimal. Dreimal. Beim vierten Versuch blubbert und qualmt der Außenmotor los. Buckow steuert aus dem Hafen Neuenschleuse in Jork hinaus auf die Elbe. Zwei Austernfischer sitzen auf der Kaimauer und blicken ihm nach.
Draußen auf der Elbe, hinter der Insel Hanskalbsand, schleicht sich in der Morgendämmerung ein Schiff vorbei. Buckows Boot mit dem 25-PS-Motor tanzt über die Wellen, die das größere verdrängt. An die Fahrrinne traut sich der Fischer nicht heran. Zu stark sei der Sog, der entsteht, wenn ein 100000-Tonnen-Containerschiff Wasser verdränge, sagt er. In Ufernähe der Elbinsel markieren Bojen seine Reusen. Buckow hievt ein Netz aus dem Wasser. Aale sind sein Hauptgeschäft. Außerdem fängt er Lachsforellen, Zander, Barsch oder Butt, die seine Frau in Buckows Fischgeschäft in Jork verkauft. An diesem kalten Märzmorgen sind seine Netze leer – keine Stinte mehr.. Er fährt hinüber zu seinem Kutter, der vor Hanskalbsand vor Anker liegt, und klettert an Bord. „Rita (seine Frau, d. Red.) sagt, dass ich ein hoffnungsloser Romantiker bin“, sagt Lothar Buckow. Er hebt den Blick, blinzelt in die Morgensonne und grinst. „Ich schätze, sie hat recht.“
Die Reusen sind nur ein Teil seiner Arbeit. Wenn im Februar das Wasser der Elbe wärmer wird, wandern Stinte von der Nordsee flussaufwärts zum Laichen. Stintsaison in Norddeutschland – und bei Buckows. Der Fischer ist dann jeden Tag auf seinem Kutter Elise. Bei Niedrigwasser lässt er die Netze in die Elbe und wartet, bis die Flut die silbrigen Fische in die Netze gespült hat. Rund sechs Stunden später, bei Hochwasser, holt er sie wieder ein und hebt die Stinte mit einem Kescher in Wasserbehälter. Dann beginnt die Plackerei von vorn. „Vor 15 Jahren habe ich in einer Saison 50 Tonnen Stint aus der Elbe geholt“, erzählt Buckow. Den gesamten Hamburger Fischmarkt hat er versorgt. In diesem Jahr waren es zweieinhalb Tonnen, bei wesentlich höherem Aufwand. An einem der letzten Tage dieser Saison zeigte die Waage 24 Kilogramm. „Das reicht kaum für unseren Laden.“ Mitte März hat er seine Elise abgetakelt, zwei Wochen früher als in den Vorjahren.
Lothar Buckow blickt den Fluss hinauf. Dorthin, wo das Herz der Stadt Hamburg schlägt. Der Hafen ist der Wirtschaftsmotor der Hansestadt, er sichert 150 000 Arbeitsplätze. Weil die Schiffe immer größer wurden, musste das Nadelöhr zum Hafen, die Elbe, angepasst werden. Auf 108 Kilometern, von der Mündung an der Nordsee bis Hamburg, wurde die Fahrrinnenanpassung vorgenommen. Millionen Tonnen Schlick kratzten die Baggerschiffe vom Grund, um eine Tiefe von 14,5 Metern herzustellen. 400 Meter lange und 60 Meter breite Containerriesen können nun in Deutschlands größten Hafen einlaufen. Anfang des Jahres hat der Hamburger Senat die Elbvertiefung offiziell für abgeschlossen erklärt.
Lothar Buckow lacht. „Die Elbvertiefung endet nie.“ Schlickbagger halten die Wassertiefe aufrecht, indem sie Fahrrinne und Hafenbecken pausenlos von Schlick befreien. „Und den verklappen sie direkt vor der Elbmündung in die Nordsee. Dreimal darfst du raten, wo er dann bald wieder landet.“ Die Flussströmung spült die Sedimente erneut die Elbe hinauf, wo die Sisyphosbagger sie wieder absaugen. Es sei Wahnsinn, den Schlick nicht aus dem System zu holen, sagt Buckow. „Die schaufeln der Elbe ihr Grab.“
Die Schlicksedimente trüben das Wasser und verhindern, dass Sonnenlicht in die Tiefe dringt. „Das erschwert die Photosynthese des pflanzlichen Planktons“, erklärt der Fischer. Hinzu komme, dass viele Uferpflanzen, wichtige Sauerstofflieferanten, dem Sog der Containerriesen nicht standhalten können. Wenn es im Sommer warm wird, entstehen Sauerstofflöcher. Die habe es immer gegeben, sagt Buckow. „Früher waren die nach ein bis zwei Tagen wieder verschwunden, heute bleiben sie vier bis sechs Wochen. Und alles, was da durchwill, stirbt.“ Die Folgen spürt der Elbfischer drei, vier Jahre später, wenn eine ganze Generation Stinte fehlt.
Wie viele andere hat Lothar Buckow jahrelang gegen die Elbvertiefung gekämpft – inklusive drei Verfahren am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Rund eine Viertelmillion Euro hat ihn dieser Streit gekostet. „Geld ist nicht alles“, sagt er. Dass er wie Don Quijote gegen Windmühlen kämpfte, spiele keine Rolle. „Wenn du nichts machst, passiert nichts. Meine Hoffnung stirbt zuletzt. Es muss einfach ein Umdenken geben.“
Der Altländer ist in einem Leuchtturm geboren. Seine Familie fischt seit Generationen, aber in den 80er-Jahren war die Elbe so verschmutzt, dass ihm der Mut fehlte, sich hauptberuflich als Fischer zu versuchen. Er hat Einzelhandelskaufmann gelernt, dann ab 1981 Software-Engineering in Lüneburg studiert. Die Angst vor dem Rollstuhl trieb ihn auf die Elbe. Lothar Buckow hat Muskelatrophie; ständiges Sitzen vor dem Bildschirm sei Gift für ihn, sagte sein Arzt damals zu ihm. Mit Elise setzte er alles auf eine Karte.
Der Blick des Fischers wandert über die Elbinsel. Auf der anderen Seite, dort, wo im Zuge der Elbvertiefung eine 385 Meter breite und acht Kilometer lange Begegnungsbox entstanden ist, sodass Megafrachter einander passieren können, befindet sich das Laichgebiet der Stinte. „Der Stint bleibt aus“, sagt Buckow. Biologen führen das neben dem Sauerstoffproblem auch darauf zurück, dass Schlicksedimente die Kiemen der gerade geschlüpften Fische verkleben. Ihr Sterben habe Folgen für andere Tiere. „Wenn es keine Stinte gibt, gibt es keine Seeschwalben“, sagt Buckow. „Der Preis für die Vertiefung ist zu hoch. Die Natur kommt zu Tode und niemand fühlt sich schuldig.“
In einem Song von Thees Uhlmann heißt es: „Wenn es eine Lektion gibt, habe ich sie gelernt: Das Leben ist wie Feuer, es brennt und es wärmt. Das Leben ist hart, aber das nehme ich in Kauf.“ Lothar Buckow lebt seit 40 Jahren im Rhythmus von Ebbe und Flut. Er hat sich oft geärgert; vor allem darüber, dass es auf der Elbe nur noch um wirtschaftliche Interessen gehe. Er streitet für sein Revier. Klagt gegen Reedereien, diskutiert mit Hafenbehörde und Umweltsenator, beschwert sich beim Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt und besucht Niedersachsens Umweltminister in Hannover. „Die Elbe ist immer gut zu mir gewesen. Als Fischer und Vater trage ich Verantwortung, ich möchte dem Fluss etwas zurückgeben. Eine Elbe, die wieder lebendig ist, dafür kämpfe ich.“
Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf, singt Thees Uhlmann weiter. Ein Elbfischer tut, was er tun muss. Bis er 70 ist, will Lothar Buckow rausfahren zum Fischen. Und eines Tages erfüllt er sich den großen Traum und schippert mit seiner Elise in den Sonnenuntergang vor Helgoland.