Wie die Stadtwerke mit Bodenraketen auf die Zukunft zielen

Das städtische Unternehmen aus Buxtehude treibt massiv den unterirdischen Glasfaser-Ausbau voran und erschließt sich mit Internet-Dienstleistungen ein neues Geschäftsfeld. Auch weil ungewiss ist, ob das fast 160 Jahre alte städtischen Gasnetz noch ein wirtschaftliches Standbein sein kann, wenn das Land aus der fossilen Energie aussteigt. Glasfaser ist daher nicht das einzige neue Zukunftsfeld, auf das man dort setzt.

„Capellini“ – so heißt eine extrem dünne Spaghetti-Sorte, die von den Freunden der italienischen Küche auch schon mal „Engelshaar“ genannt wird. Und das, was Volker Günsch da jetzt seinen Baustellen-Besuchern zu Demonstrationszwecken zeigt und zwischen Daumen und Zeigefinger dreht, sieht tatsächlich so aus wie eine einzige Capellini-Nudel. Nur eben ist sie sehr lang und um eine Trommel gewickelt. „Schauen Sie genau hin“, fordert er. Mit zusammengekniffenen Augen erkennt man dann eine Art Faden im gelben Kunststoffmantel, aus der diese scheinbare Nudel noch besteht: Eine haardünne Glasfaser ragt dort heraus. Kaum wahrnehmbar und doch kann sie Unmengen Daten über das Internet transportieren. Schneller und stabiler als die bisherigen Kupferkabel, die schon so mancher Videokonferenz den Garaus gemacht haben. Und diese Glasfaser-Technik ist es, mit der die Stadtwerke Buxtehude gerade für sich ein völlig neues Geschäftsfeld erschließen. Stadtweit wird dazu seit gut eineinhalb Jahren das Glasfasernetz ausgebaut. Zum Großteil direkt im Auftrag der Stadtwerke, die im Süden Buxtehudes und bis in die Ortsteile wie Eilendorf oder Neukloster und auch in der Nachbargemeinde Apensen damit neben ihren Gas-, Strom- und Trinkwasser-Leitungen ein neues, großes Versorgungsnetz aufbauen. Nicht um Energie zu liefern, sondern um eigene Internet-, Telefon- und TV-Pakete als Konkurrenz zu klassischen Anbietern wie Telekom, O2 und Co. im Programm zu haben. Eine Dienstleistung, die von dem städtischen Unternehmen zudem in anderen Glasfaser-Ausbaugebieten wie im Norden der Stadt oder auch in Horneburg oder Jork vermarktet wird, wo der eigentliche technische Netzausbau in der Regie des Unternehmens Glasfaser-Nordwest liegt, einem Joint Venture von Telekom und EWE AG. In etwa zwei Jahren, so schätzt man in der Stadtwerke-Zentrale am Ziegelkamp, wird das gesamte Stadtgebiet sowie Orte drum herum mit diesen dünnen, feinen Faserkabeln versorgt sein.

Sieht aus wie eine Nudel: Eine haardünne Glasfaser im Kunststoffmantel. Unmengen von Daten kann dieses Kabel übertragen.

Wie das technisch funktioniert, will uns heute Bauleiter Günsch von dem Schneverdinger Unternehmen HVF Leitungsbau zeigen, das von den Stadtwerken den Auftrag für das sogenannte Cluster 9 bekommen hat. Die Glasfaser-Planer haben die Stadt in elf solcher Gebiete aufgeteilt, zunächst wird jeweils mit der Vermarktung der Internet-Produkte gestartet; haben mindestens 40 Prozent der Haushalte dort einen Vertrag mit den Stadtwerken abgeschlossen, startet der eigentliche Ausbau des Netzes in dem jeweiligen Quartier. Eine Zahl, die bisher immer erreicht wurde. So eben auch im Cluster 9, das die Wohngebiete zwischen B73, Apensener Straße und Ottensener Weg umfasst. Rund 5,5 Millionen Euro beträgt das Auftragsvolumen für diesen Abschnitt, insgesamt werden die Stadtwerke gut 50 Millionen in Glasfaser investieren, schätzt man dort.

Im Prinzip wird das Netz aus einigen großen und mehreren kleineren Verteilstationen und etlichen Verbindungen dazwischen bestehen. Der Buxtehuder Zentralknoten ist etwa so groß wie eine Garage und sieht auch so unscheinbar aus. Er steht auf dem parkähnlichen Gelände der Stadtwerke in Altkloster und ist mit dem großen nationalen Internet-Knoten in Hamburg verbunden. Von dem Stadtwerkegelände gibt es Verbindungen zu anderen zentralen Verteilstationen in der Stadt. Im Cluster 9 befindet sich beispielsweise eine beim Schulzentrum Süd. Von dort geht es dann zu den grauen Netzverteilschränken, den NVTs, die in einzelnen Wohnquartieren stehen. Und von dort schließlich führen die kleinen Glasfaserkabel direkt bis in die Häuser. Immer wieder sieht man in der Stadt daher riesige Kabeltrommeln mit bunten Strängen, die in etwa 60 Zentimetern Tiefe entlang von Straßen und Fußwegen verlegt werden. In diesen armdicken Rohrverbänden wiederum sind mehrere verschiedenfarbige Röhren zusammengefasst. Die Farben dienen dazu, die richtigen Zuordnungen zu Häusern und Verzweigungen zu setzen. Die eigentlichen Glasfaserkabel werden später in diese Leerrohre eingeblasen, erklärt Bauleiter Günsch. Bis 1.000 Meter am Stück flutscht dann die moderne Lichtwellen-Faser durch ein solches buntes Röhrchen zu ihrem Bestimmungsort.

Vorteil der Glasfaser

Glasfaserkabel sind „Lichtwellenleiter“, die als haardünne Fasern in einem Kunststoffmantel stecken. Daten der Internet-Kommunikation werden so mit Hilfe von Licht übertragen. Weil Licht im Glas weniger störanfällig ist als ein elektrisches Signal in einem Kupferkabel, lassen sich so große Datenmengen verschicken. Die Stadtwerke bieten beispielsweise Pakete mit 300, 500 und 1000 Mbit/s im Download an. Doch eine einzelne Glasfaser kann theoretisch viel mehr, die Technik steht erst am Anfang: So schickten britische Forscher kürzlich 178 Terabit an Daten pro Sekunde durch eine Glasfaser. Damit ließen sich sämtliche Film- und Fernsehprogramme, die ein Mensch in seinem Leben anschaut, in wenigen Sekunden übertragen, hieß es. Zudem geht in der Glasfaser viel weniger Energie als im Kupferkabel verloren. Weiterer Vorteil: Bei dem derzeitigen Ausbau wird in Buxtehude Glasfaser bis in die Häuser verlegt, sodass dort immer 100 Prozent der gebuchten Leistung zur Verfügung stehen. Bei anderen Systemen mit Kupferkabeln auf den letzten Metern vom Verteilkasten bis zum Haus hängen Leistung und Stabilität des Netzes oft davon ab, wieviel Nachbarn gerade zeitgleich surfen.

Nun könnte man denken, es werden jetzt in einem solchen Ausbaugebiet massenhaft die Gärten umgegraben, um die Verbindungen zwischen Verteilsträngen im Fußweg und den eigentlichen Hausanschlüssen zu schaffen. Doch hier kommt nun eine „Bodenrakete“ zum Einsatz, die eigentlich eine Mischung aus Roboter-Maulwurf und Presslufthammer ist und die Günsch und sein Team bei diesem Baustellenbesuch vorstellen: Die „Rakete“ ist etwa 50 Zentimeter lang und breit wie ein Staubsaugerrohr. Mit Hilfe von Pressluft arbeitet sie sich stoßweise unter Rasen und Staudenbeeten hindurch bis zur Kellerwand und schafft so die Verbindung für das spätere Glasfaserkabel. Auch bei Straßenkreuzungen wird eine solche Bodenrakete eingesetzt, die eine gute Viertelstunde für zehn Meter benötigt, sagt Günsch. Wer in der Nähe steht, merkt vielleicht ein leichtes Vibrieren, hört das stoßweise Rucken, viel zu sehen ist davon aber nicht. Auch eben später nicht. Minimalinvasiver Eingriff würde man in der Medizintechnik sagen.

Der Glasfaser-Ausbau ist dabei so etwas wie eine vierte, wichtige Säule, die sich die Stadtwerke gerade aufbauen. Seit fast 160 Jahren liefert das Unternehmen schon Gas, 1864 brannten in Buxtehude die ersten Gaslaternen, später wurde das Netz um die vielen Hausanschlüsse erweitert. Seit mehr als 100 Jahren sind die heutigen Stadtwerke in Buxtehude auch für die Versorgung mit Trinkwasser und Strom zuständig. 26.000 Strom-Kunden hat das Unternehmen und noch sind es 16.000 Haushalte oder Betriebe, die ihr Gas von den Stadtwerken beziehen.

Die Bauleiter Volker Günsch (HVF Leitungsbau, l.) und Manfried Stahnke (Stadtwerke) vor einem kleinen Glasfaser-Verteilkasten, von hier führen die haardünnen Leitungen bis in die Häuser einer Straße. & An vielen Ecken von Buxtehude und den umliegenden Orten werden derzeit solche bunten Glasfasersträn- ge verlegt, teils eben mt Hilfe von speziellen „Bodenraketen“.

Doch gerade die Zukunft des weitverzweigten Gasnetzes dürfte ungewiss sein, da das Land bis 2045 klimaneutral sein will. Ob dann andere, nicht fossile Gase durch die Leitungen fließen, ist längst noch nicht ausgemacht. Das Geschäftsfeld „Gas“, so scheint es, dürfte in den nächsten Jahren schrumpfen, so dass man sich beizeiten nach einem neuen umschauen musste. Und da liegt der Glasfaserausbau nahe.

„Das passt, mit Leitungsbau kennen wir uns aus, wir wissen, wie man schnell eine Straße aufbuddelt und wieder zumacht, so dass man nichts sieht“, sagt Marcel Schwarzwälder, der bei den Stadtwerken für das Marketing zuständig ist.

Nun ist Glasfaser aber nicht das einzige neue Pferd, auf das man bei den Stadtwerken angesichts der Umwälzungen in der Energieversorgung setzt. Das absehbare Ende von Erdgas hat gerade in jüngster Zeit die Diskussion um Wärmepumpen und Wärmenetzen aufleben lassen. Viel Verunsicherung gibt es da bei Hausbesitzern und Mietern. Muss man nun teuer sanieren, um die von der Ampel-Regierung favorisierte Wärmepumpe einbauen zu können? Kann man eine solche Heizung überhaupt finanzieren? Oder gibt es bald in Buxtehude ein Fernwärmenetz, an das man sich alternativ anschließen kann? Solche Fragen beschäftigen viele, die einst sichere Altersversorgung Eigenheim wird da zum schwer kalkulierbaren Faktor. „Wir haben aber für jeden eine Lösung“, versichert Stadtwerke-Energieexperte Marco Lunden. Wie die aussehen könnte, stellte er erst kürzlich bei gleich zwei großen, gut besuchten Bürger-Infoveranstaltungen vor: So bieten die Stadtwerke mittlerweile auch Pacht-Modelle an. Hausbesitzer können beispielsweise eine Wärmepumpe mieten, statt sie zu kaufen. Einbau, Wartung und Förderanträge werden dabei übernommen. Ähnliche Modell gibt es für Solardächer. Und die Stadtwerke sind bereits in das Thema Fernwärme-Planung eingestiegen: Zunächst soll es eine Machbarkeitsstudie für die Innenstadt geben, wo oft kaum Platz für eine Wärmepumpe sein dürfte. Doch ein solches Netz wäre sehr teuer, gut 100 Millionen Euro würde der Aufbau allein für die Innenstadt kosten, schätzt Lunden. In der Überlegung sind dabei verschiedene Wärmquellen. Eine Flußwasser-Großwärmepumpe in der Nähe der Este beispielsweise oder auch die Wärmegewinnung aus Abwasser unten am Melkerstieg. Auch große Wärmepumpen, die mit Biogas betrieben werden, gehören zu diesen ersten Überlegungen. „Es wird einen Mix geben“, so Lunden. In wenigen Jahren dürften erste Ergebnisse der Planung vorliegen, schätzt er. Doch wie weit das städtische Wärmenetz einmal reichen wird, könne heute noch niemand sagen. „Es wird aber wachsen“, versichert Energieexperte Lunden. Klar sei nur, dass es Alternativen zum Erdgas geben muss. „Wir können gerade dabei zugucken, wie uns dieses Standbein langsam wegbricht“, sagt der Energieexperte.

Drei Fragen an die Geschäftsleitung der Stadtwerke Buxtehude

Gas, Wasser, Strom – das war bisher seit Jahrzehnten das Kerngeschäft der Stadtwerke. Nun ist Glasfaser-Ausbau und Internet-Dienstleistung als neues Geschäftsfeld hinzugekommen. Warum?

Die drei Produkte Strom, Gas und Trinkwasser sind das Brot-und Butter-Geschäft der Stadtwerke Buxtehude, das ist richtig. Aber wir beschränken uns schon seit vielen Jahren nicht mehr auf die reine Energie- und Wasserlieferung. Äußerst beliebt sind zum Beispiel unsere Full-Service-Leistungen rund um die Themen Wärmeversorgung, Solardachanlagen, Stromspeicher oder Ladesäulen für das E-Auto. Basis für unser Geschäft bleibt natürlich weiterhin die Kompetenz im Netzbetrieb, und hier bot sich eine Ausweitung auf Glasfasernetze einfach an. Unsere Nähe zu den Kunden und die Detailkenntnis über die bestehenden Netzinfrastrukturen machen uns zu einem prädestinierten Partner für den Breitbandausbau in Buxtehude und in Apensen.

Viele Hausbesitzer stehen vor der Frage, ob sie in absehbarer Zukunft auf eine Wärmepumpe umsteigen müssen, weil Gas und Öl teurer werden oder irgendwann gar nicht mehr in Heizungen verfeuert werden dürfen. Mancher hofft da auf Fern- oder Nahwärmenetze der Stadt. Eine realistische Hoffnung in Buxtehude?

Wie sich die Wärmeversorgung in Buxtehude und in den Umlandgemeinden in Zukunft ändern könnte, untersuchen wir aktuell gemeinsam mit einer kompetenten Unternehmensberatung. Da lernen wir auch noch sehr viel hinzu. In Teilgebieten von Buxtehude (oder auch im Umland) wird sicherlich ein Wärmenetz attraktiv sein, wenn zum Beispiel die Gebäude hohe Wärmeabnahmen haben oder für alternative Wärmetechnologien kein Platz ist. Ein Wärmenetz und die dazugehörige Wärmeerzeugung aufzubauen ist aber auch sehr aufwändig und teuer. Das wird sich nicht flächendeckend realisieren lassen. In vielen Gebäuden wird sich daher eine Wärmepumpe sehr gut rechnen – die Effizienz einer Wärmepumpe ist einfach extrem gut.

Ein Blick in die Glaskugel: Buxtehude 2045, das Land sollte klimaneutral sein. Was ist passiert mit dem Gasnetz der Stadtwerke?

Das ist die Frage, die auch uns umtreibt. Viele Mitarbeiter kümmern sich aktuell um das Erdgasnetz, und Stand heute macht Erdgas einen großen Teil unseres Umsatzes aus. Ein komplettes Stilllegen des umfangreichen Erdgasnetzes können wir uns aktuell auch noch nicht vorstellen. Wahrscheinlich werden wir auch 2045 noch Teile des Rohrnetzes betreiben, und dafür gibt es noch einige zu bewertende Optionen. Wir könnten mit klimaneutralen Gasen arbeiten, z.B. Biogas einspeisen oder auch auf grünen Wasserstoff umrüsten. In der Industrie und bei Wärmeabnehmern mit sehr hohen Temperaturbedarfen wird da sicherlich ein Bedarf entstehen. Für das kleine Einfamilienhaus ist das aber voraussichtlich nicht die günstigste Lösung.

Stefan Babis ist Geschäftsführer der Stadtwerke, Daniel Berheide Prokurist

Deichlust

Text: Axel Tiedemann · Fotos: Volker Schimkus