VIEBROCK-FRAUENPOWER in der SmartCity

Vier Expertinnen managen die Großbaustelle

Die SmartCity als Innovationsprojekt der Bauwirtschaft – an dieser Einschätzung wird niemand der gut 350 Teilnehmer des Symposiums zweifeln, die am 22. September vor Ort in Harsefeld hören und erleben, was unter einer nachhaltigen und klimaneutralen Bauweise zu verstehen ist. Doch die SmartCity ist auch ein Projekt der Emanzipation. Vier Managerinnen sind für die SmartCity verantwortlich. Vier Expertinnen, die auf der Großbaustalle das Sagen haben. Dabei sind nach der Statistik des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie gerade einmal sieben Prozent der Frauen in Führungspositionen in der Bauwirtschaft aktiv. Vier in der SmartCity. Zufall oder Programm?

„Ich rede lieber von Kompetenz“, sagt Andreas Viebrock, der sich die Frauen in das Projekt der Viebrockhaus AG geholt hat. Durchaus mit einem wichtigen Motiv: „Ich weiß, dass Frauen weniger Alphatiermentalität haben und sich nicht in den Vordergrund drängen“, sagt der Seniorchef und Ideengeber der Smart-City, der sich zuerst mit Dr. Elena Paul eine Expertin als Projektleiterin ins Boot geholt hat, die einerseits auf seiner innovativen Linie liegt, aber andererseits auch in der Lage ist, dem Chef eine Idee auf ihre Art auszureden. Mit Kompetenz und dialektischer Argumentation. Was sind die Merkmale dieser Frauenpower in Harsefeld? „Wir stellen das Projekt in den Vordergrund“, sagt Annika Dankers, eine der vier Expertinnen, die einen weiteren Grund für diese Art der Frauenförderung sieht: „Wir sind in der Lage auch zuzuhören.“ Und wenn ihre Entscheidungen nicht auf fruchtbaren Boden in der Männerwelt fallen? „Dann geht bei uns allen vier ganz schnell der Humor aus.“

Eine Wissenschaftlerin, die die Architektur schon früh als Passion für sich entdeckte und in Wolgograd auch folgerichtig studiert hat. Drei Jahre arbeitete sie danach als Architektin in Russland, wo sie eher im konventionellen Bereich Häuser entwarf. Aber Elena Paul wollte mehr, die Themen Umwelt und Energien interessierten sie zunehmend. In Moskau oder St. Petersburg hätte sie weiter studieren können, aber durch einen Cousin der Mutter hatte sie Kontakte nach Deutschland. Die ersten Erfahrungen mit dem Westen waren allerdings negativ, ihre auf Englisch geschriebenen Promotionsplatz-Bewerbungen an diversen deutschen Universitäten blieben ohne Erfolg. Also erstmal die deutsche Sprache lernen. Und so entschied sich die 25-Jährige damals zum Neustart im Westen. Der Verwandte half ihr zunächst beim Start und sie lernte im westfälischen Siegen in einem halben Jahr die deutsche Sprache so gut, dass sie sich für ein Studium bewerben konnte. Nach vier Semestern Masterstudiengang in Hannover bekam sie eine Festanstellung als wissenschaftliche Mitarbeiterin, verbunden mit der Promotion. Nach sechs Jahren wurde sie promovierte Ingenieurin, was allein schon nicht üblich ist, schon gar nicht für eine Frau, die ohne deutsche Sprachkenntnisse sechs Jahre zuvor in den Westen kam. Aber wer den Ehrgeiz hat, neben dem Sprachunterricht auch Theaterkurse zu besuchen, gezielt ein deutsches Umfeld zu pflegen und für die Aussprache auch bei einem Logopäden Unterricht zu nehmen, kann in diese Sphären kommen. Nach zwei Jahren in der Männerwelt des Baus in Harsefeld ist sie sich in ihrem Standing sicher. Ihren Umgang auf der Baustelle beschreibt sie so: „Menschlichkeit und Freundlichkeit dürfen nicht mit Schwäche verwechselt werden.“

Ihre Handschrift ist das Interieur: Esther Tomfohrde verantwortet die Bemusterung der SmartCity. Schon ihre Ausbildung absolvierte sie in der Baubranche, insofern ist es keine Überraschung, dass sie nun einen Bereich verantwortet, der üblicherweise von Innenarchitekten gemanagt wird. „Ich bin da reingewachsen“, sagt die gelernte Bürokauffrau, die letztlich alle Materialien bestimmt, die in den Häusern verbaut und installiert werden. Von den Bodenbelägen bis zu den Innentüren, von den Bädern bis zu den Küchen, auch die Gartenplanung der Musterhäuser geht über ihren Schreibtisch. Bei der Auswahl aus dem „Smart-City-Sortiment“ konnten die künftigen Bewohner selber entscheiden und so wurde jedes der Häuser individuell gestaltet. Mit klaren Vorgaben: „Die Nachhaltigkeit muss auch in diesen Bereichen gewahrt werden, um das Gesamtergebnis der CO2-Bilanz der SmartCity nicht zu gefährden. „Wer in die SmartCity zieht, weiß, was ihn erwartet, deshalb zieht er schließlich in die SmartCity“, sagt die Ausstattungs-Managerin, die jeden zusätzlichen Kundenwunsch zunächst auf Nachhaltigkeit prüft und immer für alle Beteiligten eine passende Lösung findet. Auch die Verblendfassaden wurden von Esther Tomfohrde gestaltet: hier wurden Rückbauverblendsteine aus Schlesien mit anderen Verblendsteinen kombiniert und durch aufwendige Handsortierungen einzigartige und individuelle Hausansichten kreiert. Ob sie als Frau auf dem Bau Probleme mit ihrem Standing hat: „Nein, das klappt wirklich immer ganz gut.“

Sie hat den nervenaufreibendsten Job in der SmartCity: Susanne Karrasch verantwortet alle Abläufe am Bau. Kein Handwerker kann ohne ihr Einverständnis wirken, jede Änderung muss mit ihr besprochen und von ihr abgesegnet werden. „Jeder Tag ist anders mit vielfältigen Herausforderungen“, sagt die Managerin. Es gibt Zeiten, da arbeiten 30 Gewerke gleichzeitig auf der Großbaustelle SmartCity. „Und alle haben Probleme und Fragen.“ Weil bis ins kleinste Detail Innovationen geplant, verändert und installiert werden, gibt es viel Diskussionsbedarf. Oder Umstrukturierungen: Baubegleitende Planungen sind in der SmartCity der Alltag und diese müssen gemanagt werden. „Bei einem Haus war es unser Ehrgeiz, eine absolute Messeneuheit auch sofort in die SmartCity zu integrieren“, sagt die Managerin. Nach Prüfung des Baustandes sei klar gewesen, dass Veränderungen im Baukörper notwendig sind –im laufenden Prozess – da sei erfahrenes Management erforderlich. Diese Messeneuheit machte den Technikraum überflüssig, da alle Module der Haustechnik im Hauseingangsflur Platz finden. „Damit sind wir der Branche auch wieder mindestens zwei Schritte voraus“, sagt die studierte Architektin, die im August ihr zehnjähriges Jubiläum bei der Viebrockhaus AG hatte. Im normalen Viebrockhaus-Leben leitet sie die Abteilung Musterhäuser & Musterhausparks, bis sie vor ein paar Monaten als Bau-Managerin in die SmartCity berufen wurde. Mit einer sportlichen Aktivität verlegte sie innerhalb von zwei Tagen ihren Schreibtisch vom Musterhauspark in Bad Fallingbostel in die SmartCity nach Harsefeld. So eine brauchten sie auf der Baustelle: Eine smarte Persönlichkeit, kompetent, offen, freundlich und mit Fingerspitzengefühl. Vorgaben an die Gewerke werden klar, sachlich und präzise formuliert – kommt es zu Abweichungen – lernen die Gewerke ihr Durchsetzungsvermögen kennen. Dann kann es auch mal krachen. Wer auf der SmartCity Baustelle nach dem Chef fragt, bekommt die Antwort: „Es gibt hier keinen Chef, wir haben eine Chefin.“

Beim Blick auf die SmartCity fallen die begrünten Schrägdächer besonders auf – als ein wichtiges Modul des innovativen Projektes. Auf der einen Seite Solarpanele und auf der anderen Seite eine grüne Naturfläche. Eigentlich fehlte in der Stellenbeschreibung noch der Part der Gärtnerin, aber auch das war kein Problem, denn für dieses Knowhow wurde einer verpflichtet, der das Grün immer besonders im Blick haben muss: Der Verantwortliche des Greenkeepings des HSV. Er ist Berater im Team von Annika Danckert, die dafür sorgen muss, dass die Gründächer ins System der Viebrockhaus AG eingepflegt werden. „Es ist eine der ersten Innovationen aus der SmartCity, die wir elementar in die Angebote unserer Systemhäuser gebracht haben“, sagt die studierte Architektin, die in der Innovationsabteilung beschäftigt war und ist, aber seit Jahresbeginn ihr Büro in der Smart-City bezogen hat. Gründächer als ein Element auf den Viebrock-Häusern. „Nicht irgendwelche Gründächer“, wirft Annika Danckert ein, „wir haben Gründächer als Steildächer entwickelt, die gab es so vorher noch nicht.“ Die erste Innovation waren die Wannen, die großflächig verlegt aus recyceltem Kunststoff hergestellt werden. Danckert: „Mit dem Hersteller haben wir gemeinsam ein Modul aus recyceltem Kunststoff entwickelt.“ Darauf werden Matten mit Sedumpflanzen verlegt, eine Pflanzenart, die ideal für die Dachbepflanzung ist: Ein Gründach, robust, dekorativ und Heimstätte vieler Pflanzen. Je nach Jahreszeit verändern sich die Farben. Dass damit nach dem Baugesetzbuch weniger versiegelte Flächen in der Öko-Bilanz eines Hauses stehen, sei ein willkommener Nebeneffekt. Der Haupteffekt ist der Schall- und Wärmeschutz, die Regenwassergewinnung und die Schaffung des Lebensraums für Pflanzen und Tiere. Annika Danckert: „Wir erzeugen damit eine Signalwirkung der Naturverbundenheit.“ Freilich: Die Natur auf dem Dach hat ihren Preis: Das Gründach ist etwa 50 Prozent teurer als eine herkömmliche Eindeckung mit Ziegeln. Aber: „So ein Gründach ist wie die Visitenkarte eines Hauses und das sichtbare Zeichen einer nachhaltigen Bauweise, unser Gründach lebt“, sagt die Architektin, die den Entwicklungsprozess noch lange nicht als abgeschlossen bezeichnet: „Wir forschen ständig weiter.“

Deichlust

Text: Wolfgang Stephan · Fotos: Volker Schimkus