Lasst uns über ein Tabu-Thema sprechen

KOLUMNE: HIER SCHREIBT DIE JOURNALISTIN UND MUTTER

Eine Frau zu sein, kann schmerzhaft sein. Mädchen lernen das früh. Ich bekam meine Tage, als ich 14 war. Meine Binden hatten Flügel, ich war niedergeschlagen. Zyklustag zwei verbrachte ich in der Regel im Bett. Ein Waschlappen auf der Stirn, eine Wärmflasche auf dem Krampfbauch. Später halfen Tabletten. Meine Freundinnen und ich erlangten die Fähigkeit, einander unbemerkt Tampons zu reichen, die Werbung zeigte blaues Menstruationsblut, und bis heute sehen wir die Menstruation so: am liebsten gar nicht. Frauen funktionieren, egal, was ist.

Meinen Söhnen, 10 und 7, bleibt dieses Thema erspart. Weder war die Periode ihrer Mutter bislang Thema am Familientisch, noch werden sie selbst davon betroffen sein. Aber ich wäre froh, wenn sie sich später einmal gut um ihre Mädchen kümmern, wenn die ihre Periode haben. Spanien hat 2023 als erstes europäisches Land ein Gesetz eingeführt, das bei starken Menstruationsbeschwerden bis zu fünf Tage bezahlten Urlaub vorsieht. Und während sich einige Leserinnen und Leser gewiss fragen, ob das wirklich sein muss, wünsche ich mir, dass wir anfangen, offen und ehrlich über den weiblichen Zyklus zu sprechen.

Hormone spielen eine entscheidende Rolle im Leben einer Frau. Sie beeinflussen unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. Allein 500-mal bekommen wir unsere Tage. Von weiteren einschneidenden hormonellen Phasen – Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett, Stillzeit – und dem Cocktail aus synthetisierten Hormonen, den ich mir mit der Antibabypille einwarf, will ich gar nicht anfangen.

Ich steuere auf einen Wendepunkt zu. Mein halbes Leben ist vorbei. Bald schon werde ich, 42, keine Kinder mehr bekommen können. Dieser Abschied schmerzt stärker als erwartet. Für die Welt werde ich derweil unsichtbar, wie alle alten Frauen. So will es das Patriarchat. Da nützen all das Hanteltraining, die Proteine und die Haarfarbe nichts. Mein Körper spürt den Wandel, ehe ich ihn begreife. Er verändert sich, wird weicher, die Falten tiefer. Mein Zyklus länger, die Blutungen stärker. Als würde alles in mir brüllen: Da, ein Eisprung! Ergreife die Chance, es könnte die letzte sein. Im Durchschnitt sind Frauen bei ihrer letzten Regelblutung 51 Jahre alt. Doch der Rückgang der Hormonproduktion in den Eierstöcken geschieht nicht plötzlich, er kündigt sich an. Zaghaft klopft sie an: Hallo, ruft sie, nicht erschrecken! Ich bin’s, die Prämenopause. Das Östrogen schleicht sich wie ein Dieb davon und nimmt das pralle Gewebe mit sich. Und nachts liege ich plötzlich wach.

Ich bin gespannt auf die heiße Phase. Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen, Gelenkschmerzen, depressive Verstimmungen, Konzentrationsstörungen, trockene (Schleim-)haut. Alles kann, nichts muss. Studien zeigen: 30 Prozent der Frauen leiden unter leichten, 50 Prozent unter stärkeren Problemen in den Wechseljahren. Oh, du schöner Hormonabbau. Und obwohl so viele Menschen betroffen sind – in Deutschland aktuell rund neun Millionen Frauen – haftet die Scham auch an diesem Thema wie Konrads Spezialkleber an Pippis Fußsohlen.

Was ich mir wünsche für meine Wechseljahre? Liebe, Gelassenheit, Verständnis. Was mir Mut macht? Das Wissen um die vielen Frauen, die diesen Weg bereits gegangen sind, und die, die ihn mit mir gehen werden. Die Hoffnung, dass wir das Thema privat und am Arbeitsplatz endlich ernst nehmen. Die unbändige Freude am Leben, auch im Alter.

Die meisten weiblichen Tiere sterben, sobald ihre Fruchtbarkeit endet. Menschen, Blattläuse und Orcas nicht. Wenn es gut läuft, liegt nach der Menopause noch ein Drittel Leben vor mir.

Meine Mutter sagt, dass sie im nächsten Leben lieber ein Mann wäre. Ich bin unsicher. „Eine Frau, die seit Wochen schlecht schläft und jede Nacht ihr T-Shirt durchschwitzt, die Brain Fog hat, wird in einem neuropsychologischen Gedächtnistest immer noch besser abschneiden als ein Mann gleichen Alters“, sagt die Neurowissenschaftlerin und Nuklearmedizinerin Dr. Lisa Mosconi. Vielleicht ist all der Schmerz, eine Frau zu sein, es ja doch wert.

Leonie Ratje ist Journalistin, Mutter zweier Kinder und schreibt für die DEICHLUST.

Deichlust

Text: Leonie Ratje