Bunte Blüten und blaues Blut: Ihre Majestät Martina Brockmann begründete das Adelsgeschlecht der Blütenköniginnen.
Einmal Altländer Blütenkönigin sein. Davon träumen seit mehr als vier Jahrzehnten Mädchen und junge Frauen im Alten Land. In traditioneller Altländer Festtagstracht mit fünfreihiger Filigrankette und beeindruckendem Flunkkranz auf dem Haupt sind die Majestätinnen bedeutsame Repräsentantinnen des Alten Landes. Danach sah es bei der Inthronisierung von Königin Martina I. vor 42 Jahren freilich gar nicht aus.
„Nee“, sagt Martina Brockmann, geborene Imlau, schüttelt den Kopf, streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lehnt sich auf ihrem Stuhl zurück, „die Tracht musste ich nicht tragen. Ich bin die einzige Blütenkönigin, die etwas anderes anhatte.“ Als sich die Jorker Werbegemeinschaft 1982 das Altländer Blütenfest zur Ankurbelung der hiesigen Wirtschaftswelt einfallen ließ, wollten die Männer auch eine Blütenkönigin inthronisieren. Auf eine entsprechende Anzeige bewarben sich jedoch vor allem kleine Mädchen im Grundschulalter. Friseurmeisterin Gabriele Müller hob daraufhin kurzerhand ihre Auszubildende in das Amt. Die Chefin kam eines Tages und sagte: „Du wirst Altländer Blütenkönigin“, erinnert sich Martina Brockmann. Widerstand zwecklos – ohnehin auch nicht vorhanden. „Ich habe mich geschmeichelt gefühlt“, sagt sie. Und natürlich habe sie ihrer Chefin einen Gefallen tun wollen.
Für die erste Blütenkönigin galt der royale Dresscode nicht
Das schicke Outfit suchte sie sich im Jorker Modehaus Meyns aus, ein neues Paar Schuhe fand sie im Schuhhaus Beck. Am großen Tag hat ihre Chefin ihr die Haare gemacht – Blütenkranz inklusive. Dann fuhr auch schon die königliche Kutsche vor. „Wir sind von der Friseurstube an der Borsteler Reihe ins alte Rathaus gefahren“, erzählt Martina Brockmann. Ehe die 18-Jährige mit Bürgermeister Cord Michelsen auf die Bühne trat und der Jorker Dorfgemeinschaft als neue Regentin präsentiert wurde, habe sie sich auf einer Tafel kurz die Historie Jorks angesehen. Schnell hat sie ein paar Fakten über Apfelsorten und Obstbau gelesen, falls jemand von der Presse fragt, und dann raus auf die Bühne. Nett aussehen, freundlich lächeln, viel mehr wurde von Martina Imlau nicht erwartet. Ohnehin seien nur ein paar Menschen da gewesen, um ihrer Krönung beizuwohnen. Aber immerhin habe es einen Ochsen am Spieß gegeben. „Ich weiß noch, dass es sehr kalt war und ich tierisch gefroren habe“, erzählt sie. Fotos zeigen die 18-Jährige mit der weißen Stola ihrer Mutter um die Schultern. Nach der Krönung ist die erste Blütenkönigin an der Seite von Bürgermeister Cord Michelsen in einer Kutsche durch den Ort gefahren. Und bis heute führen die neuen Majestäten den Blütenkorso durch das Alte Land an. „Wir waren noch schick im Herbstprinz essen, das war auf jeden Fall was ganz Besonderes“, sagt Martina Brockmann.
Die Krönung der Altländer Blütenkönigin steht seit 1982 im Zentrum des Blütenfestes. Doch davon abgesehen hatte Königin Martina nur wenige Auftritte in der Öffentlichkeit: Ihrer Inthronisierung folgte einige Wochen später ein Werbeauftritt für den Hamburger Spirituosenhersteller Hansen Rum inklusive Meldung in der Bildzeitung und schließlich die Amtsübergabe beim zweiten Blütenfest 1983.
Kaum öffentliche Auftritte für Martina Imlau
Zur Belohnung für das Amtsjahr gab es für die Blütenkönigin einen Hubschrauberrundflug über das Alte Land an der Elbe. „Das war alles längst nicht so groß und bedeutsam wie heute“, sagt sie. Für ihre Eltern jedenfalls sei das „kein großes Ding“ gewesen.
Ihre Nachfolgerin, Andrea Hermann, eine Kollegin der ersten Königin aus dem Friseursalon, trug 1983 bei der zweiten Auflage des Blütenfestes bereits die traditionelle Festtagstracht der Altländerinnen von 1860. Diese wurde bis etwa zur Jahrhundertwende von verheirateten Altländer Frauen an Sonn- und Festtagen getragen. „Ursel Zupp hat die Nachbildung genäht“, erzählt die Altländer Archivarin Dr. Kai Janofsky, die derzeit mit ihrer Kollegin Barbara Wetegrove eine Ausstellung rund um die Altländer Blütenkönigin im Museum Altes Land vorbereitet. Sie soll am 30. Juni eröffnet werden. Gemeinsam haben sie auch Aufsätze über die Geschichte der Altländer Blütenkönigin und des Altländer Blütenfestes verfasst, die in diesem Jahr im Jahrbuch des Altländer Archivs erscheinen.
Die Kosten für die Tracht der Blütenkönigin und später auch den Schmuck übernahm die damalige Altländer Sparkasse. Die Idee, die Blütenkönigin in eine traditionelle Tracht zu stecken, fand gleichwohl nicht überall Zustimmung. Altbacken nannten kritische Stimmen den Aufzug. „Ich habe mich sehr gefreut, dass ich ein moderneres Outfit getragen habe“, gesteht auch Martina Brockmann. Bis heute ist sie stolz darauf, die einzige Altländer Blütenkönigin zu sein, die anders als alle anderen aussah. Den weißen Glockenrock mit den Blüten und die weiße Bluse fand sie gleich toll. „Ich habe mich natürlich auch sehr darüber gefreut, dass ich die Sachen hinterher behalten durfte.“
Während die Altländer das erste Blütenfest noch unter sich feierten, kamen zur zweiten Auflage bereits mehr als 10.000 Besucherinnen und Besucher. 1985 warb die Werbegemeinschaft in der Harburger Rundschau um Bewerbungen für das Amt der Blütenkönigin. „Jung, hübsch und freundlich soll sie sein, aber auch etwas Sinn für traditionelles Brauchtum mitbringen. Sie soll mindestens 17 Jahre alt und im Alten Land zu Hause sein: Die Werbegemeinschaft Jork sucht eine neue Blütenkönigin, die das Alte Land in der Öffentlichkeit repräsentieren soll.“
Mit dem Blütenfest wächst die Bedeutung der Majestät
„Ursprünglich war nicht geplant, dass die Blütenkönigin außerhalb des Festes eine Funktion übernimmt“, sagt Kai Janofsky. Die Werbegemeinschaft habe sich vor allem von dem Fest einen Nutzen für die Altländer Wirtschaft erhofft, nicht so sehr von der Königin. Doch als mit jedem Jahr mehr Gäste das Blütenfest besuchten, stieg auch die Bedeutung der Blütenkönigin. Bald trudelten die ersten Anfragen für Auftritte der Blütenkönigin bei der Werbegemeinschaft ein. Zunächst bezogen sich diese auf die Region um das Alte Land, aber mit steigendem überregionalem Interesse am Blütenfest wurde die Blütenkönigin zusehends zu einer Botschafterin des Alten Landes. Uta Heinrich, die 1985 gekrönt wurde, war in ihrem Regentschaftsjahr bereits zehnmal im Einsatz. Auch Martina Brockmann erinnert sich, dass das Blütenfest zum Ende der 1980er-Jahre hin immer größer geworden sei. „Ich habe damals sogar bei meiner Tante in Lübeck eine Radiowerbung für das Altländer Blütenfest gehört.“
In den 1990er-Jahren strömten Zigtausende Menschen nach Jork, um das Blütenfest im Alten Land zu feiern. Das Fernsehen berichtete über die Krönung der Altländer Blütenköniginnen. 1990 und 1991 wurde die Blütenkönigin wie bei einer Misswahl direkt auf dem Blütenfest gewählt. Die Professionalisierung des Amtes schritt in dieser Zeit rasant voran. „Carola Müller, die Blütenkönigin von 90/91, hat alles Wissenswerte für die Blütenkönigin zusammengefasst“, sagt Kai Janofsky. Viele Blütenköniginnen trugen im Laufe der Jahre Trachten, die zum Teil aus alten Famillienerbstücken bestanden und noch von den Ur-Ur-Großmüttern der Regentinnen getragen wurden.
Königinmutter oder Hofdame hilft beim Ankleiden
Weil es so kompliziert ist, die rund vier Kilogramm schwere Tracht anzuziehen, hat es sich schon bald ergeben, dass die Blütenkönigin eine Vertraute an ihrer Seite hat. Häufig ist es die Königinmutter oder eine befreundete Hofdame. Die Königinmutter hilft ihrer Majestät beim Ankleiden und begleitet sie zu offiziellen Terminen. Die ersten geheimen Anproben finden bereits rund vier Wochen vor dem Blütenfest statt. Gekrönt wird die Majestät streng genommen freilich nicht. Die Blütenkönigin trägt keine Krone. Stattdessen wird ihr eine Kette umgelegt. Dieser Festakt ist ihre Inthronisation. Die fünfreihige Filigrankette ist das Zeichen ihrer königlichen Macht. Es ist aber in erster Linie der Flunkkranz mit den 500 Seidenblüten und den Brokat-Windmühlenflügeln (Flunk: Flügel) in symbolischer Freudenstellung, der die Altländer Majestät deutlich von anderen Produktköniginnen in Deutschland unterscheidet. „Wenn die Blütenkönigin ihren Flunkkranz angelegt hat, kann sie wegen der Flügelhöhe nicht mehr normal im Auto sitzen“, sagt Kai Janofsky, „sie wird halb liegend gefahren.“
Heute ist die Blütenkönigin längst ein Tourismusmultiplikator. „Sie ist eine Produktkönigin, die nicht nur eine Produktgruppe oder eine Marke repräsentiert, sondern für eine ganze Region wirbt“, so die Archivarin und Museumsleiterin. In den wenigen Tagen bis zu ihrer Krönung macht sich die frisch auserwählte Blütenkönigin fit in Sachen Obstbau und Altes Land. „Als oberste Repräsentantin muss sie Bescheid wissen und auch mal eine Frage beantworten können.“
Majestätinnen des Verbandes der Deutschen Königinnen oder ein Weinfest an der Mosel: Die Altländer Blütenkönigin ist während ihres Amtsjahres quasi nonstop unterwegs. „Sie absolviert um die 30 bis 40 Termine im Jahr“, sagt Kai Janofsky. Ist sie einmal verhindert, wird sie von ihrer Vorgängerin vertreten.
Martina Brockmann hat die Aufnahmen aus ihrer Zeit als Blütenkönigin in einem Fotoalbum gesammelt. Eine Autogrammkarte wie viele ihrer Thronfolgerinnen hatte sie nicht. In einem Kartensammelspiel hätte die Karte mit Königin Martina I. als Begründerin des Altländer Adelsgeschlechts der Blütenköniginnen aber vermutlich einen besonderen Wert. Allein schon wegen des einzigartigen königlichen Gewands.
Fakten zur Blütenkönigin
Zwei Amtszeiten:
Carolina Sofia Wolf wurde 2013 und 2022 zur Altländer Blütenkönigin gekürt.
Längste Regentschaft:
Marina Tajger saß von 2019 bis 2022 auf dem Thron der Altländer Blütenkönigin. Wegen der Corona-Pandemie fielen das Blütenfest und die Wahl der Blütenkönigin in den Jahren 2020 und 2021 aus.
Text: Leonie Ratje · Fotos: Volker Schimkus