Ein Fan mit dem Mikro in der Hand: Radio Hamburg-Moderator Christian Stübinger als Stadionsprecher im Volkspark
Moderator. Stadionsprecher. Traumjob. Und dann zwei Tore zum Saisonauftakt in der Nachspielzeit. Das sind die Momente, in denen sich schon mal die Stimme von Christian Stübinger überschlägt. Nicht nur, weil er sich bei den 57.000 Fans im Volkspark mit seiner Stimme durchsetzen muss. Vielmehr, weil sein Herz für den HSV schlägt. Schon immer. Ein Fan am Mikro, der bekennt: „Ich würde den Job im Stadion auch machen, wenn ich Geld mitbringen müsste.“
Es war der Moment seines aktuellen Seins: Den wird er nie vergessen, als er während einer Golfrunde den Anruf vom HSV bekam. Ob er sich vorstellen könne…? Noch bevor der Satz vollendet war, kam das Ja-Wort. Christian Stübinger hatte irgendwie geahnt, dass er so ein Angebot bekommen könnte, als Radio Hamburg- und zuvor Radio- Energy-Moderator hatte ihm seine Stimme in Hamburg einen Namen verschafft, die Liebe zum HSV war in Hamburg auch bekannt und der Job als Stadionsprecher vakant. Es war eine Mischung aus Ehrfurcht, Vorfreude und Nervosität, als er am 18. September 2020 erstmals das Mikro im Volkspark in der Hand hielt. Zusammen mit Christina Rann moderierte er die Stadion-Show und durfte im ersten Spiel der Saison gleich einen Heimsieg gegen Düsseldorf verkünden. Zweimal Simon Terodde besiegelten den Saisonauftakt in der damals besonderen Atmosphäre im Volkspark, denn wegen der Pandemie waren nur 1.000 Zuschauer zugelassen. Kein Vergleich zum Saisonauftakt drei Jahre später im vergangenen Juli: 5:3 gegen Schalke 04, ein Spiel für die Geschichtsbücher des HSV, schon das 3:3 bis zur 90. Minute wäre ein Highlight-Spiel gewesen. Dass Robert Glatzel und Jean-Luc Dompé dann den Sieg besiegelten und die HSV-Fans ins oberste Level der Euphorie versetzen, war auch für Christian Stübinger einer der Höhepunkte seiner Volkspark-Geschichte, auch mit einer Besonderheit behaftet, denn in dieser Saison hat er die alleinige Mikro-Hoheit im Stadion. „Zwei Tore in der Nach spielzeit in dieser unfassbaren Atmosphäre – mehr geht nicht“, sagt der 34-Jährige, der selbst lange in der Nordkurve gestanden und vieles erlebt hat, was HSV-Fans leidvoll erleben: Von den Tränen des Abstiegs bis hin zum Platzsturm, nach dem in letzter Minute verhinderten Abstieg 2017 und einem Stückchen Rasen als Trophäe des Sieges. „HSV-Fan zu sein bedeutet, die ganze Bandbreite der Emotionen des Fußballs zu erleben.“ Von Wolke sieben bis zur tiefen Trauer, die einem das ganze Wochenende versauen kann. Gefühlt ist Christian Stübinger „schon immer HSV-Fan“. Dabei ist er in Kiel geboren und aufgewachsen, aber in seiner Zeit an der Förde spielte Holstein noch keine große Rolle und Handball war nie sein Ding. Mit dem Studium ab 2007 in Hamburg entfachte die Liebe zum HSV. Beim FC Winterhude erlebte er die harten Zeiten des Fußballs, denn in der Kreisliga wurde auf Grandplätzen gespielt, in der Nordkurve beim HSV dagegen gab es die Highlights mit den Kumpeln im HSV-Trikot in der Kurve die Siege feiern. Später gönnte sich die Truppe dann auch Sitzplätze. Christian Stübinger war nach dem Studium (Anglistik und Medien-Kommunikation) über ein Praktikum zum Volontariat bei Radio Energy gekommen. An seine erste Begegnung beim Sender erinnert er sich jeden Tag: Jenny Borchert öffnete ihm die Tür. Liebe auf den ersten Blick? „Von meiner Seite aus unbedingt.“ Bei ihr hat das etwas länger gedauert. Heute ist er mit der Buxtehuderin seit vier Jahren verheiratet, Sohn Leo geht in den Kindergarten.
Eine ganz normale Hamburger Familie? Das sind die Stübingers nicht ganz, denn im Hauptjob moderiert Christian zusammen mit Alicia Alvarez und John Ment die Radio Hamburg-Morningshow. Auch ein Traumjob für „Stübi“, wie er in der Sendung gerne genannt wird. Aber halt mit einer Arbeitszeit am Mikro ab fünf Uhr am Morgen. „Um 3.45 Uhr klingelt der Wecker“. Bis zehn Uhr wird moderiert, dann die Sendung für den nächsten Tag vorbereitet und im Feierabend am Mittag 90 Minuten geschlafen. Übliche Bettzeit des Frühaufstehers: 22 Uhr. Mittlerweile kann er unabhängig vom Ausgang der HSV-Spiele gut schlafen. Was weniger am HSV als vielmehr an seinem professionellen Umgang im Job und der Familie liegt. „Ich kann es mir nicht und ich will es mir nicht mehr erlauben, wegen einer Niederlage ein Wochenende schlecht gelaunt zu sein.“ Im Umkehrschluss ist Jenny Stübinger aber deshalb HSV-Fan geworden: „Ich drücke immer die Daumen, weil er nach einem Sieg halt noch besser gelaunt ist“, sagt die Radio Energy-Mitarbeiterin. Nicht zuletzt wegen ihr hat „Stübi“ auch die Fußball-Karriere an den Nagel gehängt. Das Blut in der Bettwäsche von den Verletzungen vom Grandplatz sei stets ein Thema gewesen, erzählt er mit einem verschmitzten Lachen. Seither spielt er Golf und Tennis neben seinen Traumjobs. „Ja, auch die Morningshow-Moderation ist genau mein Ding“, sagt er. Weil er locker, flockig und ernsthaft am Mikro so sein kann, wie er ist. Locker, flockig und ernsthaft. Den einstigen Traum von der Sportschau-Moderation im Fernsehen hat er zur Seite gelegt, auch weil er gespürt hat, dass Radio mehr sein Ding sei, auch weil er vom Fernsehen schlicht keine Ahnung habe.
Sagen wir es so: Von Montag bis Freitag eine wunderbare Arbeit beim Sender und alle vierzehn Tagen das Highlight im Volkspark. Als Fan mit dem Mikro in der Hand. Wobei diese drei Stunden mit locker-flockig wenig zu tun hätten. Stübinger: „Ich bin mir meiner Verantwortung jederzeit bewusst“ Immerhin würden 57.000 meist euphorisierte Fans seine Stimme hören, oft auch auf ihn hören. Wobei er seine eigenen Fan-Emotionen weitgehend bändigen möchte, denn Fairplay und Respekt gegenüber der gegnerischen Mannschaft gehörten zum Anforderungsprofil eines Stadionsprechers. Wie auch das Fachwissen bei den Interviews, die er auf Augenhöhe und mit Tiefgang führen möchte. Sein Interview vor dem legendären Schalke-Spiel mit dem verletzten Kapitän Sebastian Schonlau taugt als Anschauungsunterricht für TV-Moderatoren am Spielfeldrand. Dass ihm die Spieler einschließlich Trainer Tim Walter mit Empathie begegnen, bemerkt er im Gespräch beiläufig, dass ihm das viel bedeutet, wird deutlich. Dass er sich nach jeder Moderation hinterfragt und nach Schwachpunkten fahndet, ist Beleg für die Ernsthaftigkeit des Journalisten Christian Stübinger, der natürlich noch ein großes Ziel hat. Doch das liegt nicht in seiner Hand. Aber Bundesliga-Stadionsprecher wäre halt die Krönung. Im Volkspark natürlich.
Text: Wolfgang Stephan · Fotos: Norbert Gettschat